6761857-1968_20_02.jpg
Digital In Arbeit

Wie unter F. J. I.

Werbung
Werbung
Werbung

Am 23. Mai werden 350 Jahre vergangen sein, seitdem der Prager Fenstersturz stattgefunden hat. Mit diesem Fenstersturz begann der Aufstand der böhmischen. Adeligen gegen das Haus Habsburg, und begann auch der 30jährige Krieg.

Am 28. Oktober d. J. werden 50 Jahre vergangen sein, seitdem die unabhängige tschechoslowakische Republik ins Leben gerufen wurde. Ein Jahr voller Feiern.

Aber gerade jetzt erklärt ein Prof. Svitak in Prag, der Vorsitzender des Verbandes der Parteilosen ist, daß die 'Tschechen wünschten, nicht mehr und nicht weniger Rechte zu haben als sie unter Franz Josef besaßen.

Die Forderung scheint etwas kühn, denn vielfach — zumindest offiziell — wurde die alte Donaumonarchie doch als der Völkerkerker bezeichnet

Die nationale Lage der Tschechen vor Beginn des ersten Weltkriegs war allerdings unendlich besser als die Lage der Rolen in Rußland oder der Iren in Großbritannien oder der Flamen in Belgien zur gleichen Zeit. Von den Negern in den USA gar nicht zu reden.

Am Vorabend des ersten Weltkrieges besaßen die Tschechen im alten Österreich ein komplettes Schulwesen, von den Volksschulen angefangen bis zu den Hochschulen. Mehr als hundert Abgeordnete vertraten die tschechischen Belange im österreichischen Reichsrat. In Mähren existierte seit 1905 eine vollkommene nationale Autonomie für Tschechen und Deutsche. In Böhmen trennte Tschechen und Deutsche nur noch eine „hauchdünne Wand“. In den böhmischen Ländern wurde bei Aufnahme der Beamten streng auf Einhaltung eines nationalen Schlüssels gesehen: auf drei Deutsche wurden fünf tschechische Anwärter eingestellt. In den tschechischen Mittelschulen war Deutsch nicht Pflichtfach, sondern Freigegenstand, ebenso wie die tschechische Sprache in den deutschen Mittelschulen (der Unterschied bestand nur darin, daß die Tschechen Deutsch, aber die Deutschen nicht Tschechisch, lernten). Did Versammlungs- und Koalitionsfreiheit, die für ganz Österreich galt, kam natürlich auch den Tschechen zugute. Ebenso die Pressefreiheit und Lehrfreiheit auf den Hochschulen. Natürlich hatten . die Tschechen auch Wünsche auf nationalem wie auf sozialem Gebiet. Aber derartige Wünsche hatten alle Nationalitäten im alten Österreich.

Wer alle diese Zustände mit den heutigen vergleicht, muß natürlich als Tscheche zur Überzeugung kommen, daß die eigene Nation unter Franz Josef wesentlich viel mehr Rechte hatte als sie heute besitzt. Mancher wird sagen, daß diese Erkenntnis zu spät kommt. Davon soll hier nicht geredet werden, dagegen die Tatsache als positiv erkannt werden, daß angesichts dieser zwei großen Gedenktage von 1618 und 1918 solche Worte überhaupt gesprochen werden konnten. Wie sagte der alte Palacky: „Die Wahrheit siegt.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung