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Aus CSSR wird CSFSR

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50 Jahre nach Begründung der Tschechoslowakei oder der „Ersten Republik hat eine Verfassungsänderung Österreichs nördlichen Nachbarn in eine Föderation zweier völlig souveräner Teilstaaten umgewandelt. An sich ist der Föderalismus für die Tschechen nichts Neues, denn schon vor 1918 war ihr Kampf um das böhmische Staatsrecht ein Teilsektor des Bemühens um einen föderativen Staatsausbau Österreichs. Dann aber folgten die Jahre der Zwischenkriegszeit, in der der Zentralismus dominierte, schließlich die Zeit nach 1945 mit unterschiedlichen, aber auch überwiegend zentralistischen Tendenzen und Praktiken.

Trialismus abgelehnt

Fallengelassen hat man vor allem einen „Trialismus“, also einen aus drei Teilstaaten, aus Böhmen, Mähren-Schlesien und der Slowakei bestehenden Gesamtstaat, der einen relativ idealen Ausgleich zwischen den Bewohnern dieser drei Länder in einem beiläufigen Kräfteverhältnis

5:4:4 ergeben hätte. Ein solcher Plan war vom südmährischen Kreis bis ins Detail ausgearbeitet worden, wurde aber nicht akzeptiert.

Durchgesetzt hat sich aber das Nationalitätenprinzip im Rahmen der Föderalisierung, ähnlich wie wir es etwa in Jugoslawien beobachten können und wo es vorerst nicht schlecht funktioniert. Hat man sich also zwischen Territorial- und Natio- nalitätenprinzip klar entschieden, so war es schon schwieriger, einen Kompromiß auf einem anderen Gebiet zu finden. Waren die Slowaken verständlicherweise für eine Gleichheit der Republiken eingetreten, so warfen die Tschechen das damit verletzte Prinzip der Gleichheit der Staatsbürger in die Waagschale. Verfassung und nachfolgende Praxis werden also ein Kompromiß zwischen beiden Prinzipien finden müssen.

Was ist die „symmetrische Lösung“?

Eingeführt durch das Kaschauer Programm vom Jahre 1945, das Programm der ersten tschechoslowakischen Nachkriegsregierung, bestand neben der Prager Regierung eine Art Landesregierung in der Slowakei, deren Mitglieder den Titel „pove- renec“ (Beauftragte) führten. Auph über einen eigenen slowakischen Nationalausschuß, eine Art Landtag, verfügten die Slowaken. Mögen auch diese Institutionen unterschiedlich funktioniert haben und entsprechend der mehrmals geänderten Verfassung verschiedene Machtvollkommenheiten besessen haben, so standen ihnen doch für die böhmisch-mährischen Länder keinerlei Parallelinstitutionen gegenüber. Das holten die Tschechen erst am 7. Juli 1968 nach, als das — gewiß auch nur bedingt zuständige — Prager Parlament 150 Mitglieder eines tschechischen Nationalrates wählte, von denen 30 Parlamentsmitglieder sind. Vorsitzender wurde der bekannte Politiker Cisar, doch stellt die ganze Wahl selbstverständlich nur ein Provisorium bis zur ersten regulären Wahl dar, von der man ursprünglich vermutete, sie würde nach der Verfassungsänderung, also nach dem 28. Oktober und vor dem 31. Dezember 1968, erfolgen. Die gegenwärtigen abnormalen Verhältnisse dürften kaum diesen Wahlterminen dienlich sein.

Großteil der Verfassung hinfällig

Nach der neuen Verfassung wird es also künftig zwei völlig souveräne Teilstaaten geben, die freiwillig auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten. Es wird also auch zwei Landesverfassungen und eine solche des Gesamtstaates geben, auf die man sich vorerst konzentrierte. Auch wenn man die gegenwärtige Verfassung nicht ungültig erklären und völlig ersetzen wird, so dürften doch rund 60 Prozent der bisherigen Verfassung hinfällig werden.

Der Gesamtstaat wird vor allem durch den Staatspräsidenten und die Nationalversammlung repräsentiert, bei dessen Struktur sich ebenfalls die Slowaken durchgesetzt haben. Die Nationalversammlung wird ver-mutlich aus zwei Kammern, einem Volkshaus und einem Nationenhaus bestehen. Die Tschechen hätten lieber ein Parlament mit Kurien gehabt, wobei ein Überstimmen in den Kurien nicht möglich gewesen wäre.

Der letzte Rest

Deutlicher wird der künftige Föderalismus bei der Exekutive sichtbar. Drei Ministerien sollen ausschließlich der CSFSR, also dem Bundesstaat zustehen (Außenministerium, Verteidigungsministerium und ein Ministerium, das Wirtschaft und Finanzen umfaßt); Drei Ministerien werden sowohl Im Bund wie in den beiden Republiken Agenden betreuen, und drei Ministerien (unter ihnen Kultus und Unterricht) werden nur in den Teilrepubliken vorhanden sein.

All diese Pläne um eine staatsrechtliche Umgruppierung der Tsche- schechoslowakei gehören an sich zum Gesamtpaket dessen, was man als Errungenschaften des „Prager Frühlings“ bezeichnet.’Nach dem Verbleib sowjetischer Truppen, nach dem Abstoppen der ersten Anzeichen einer eigenständigen Prager Außenpolitik, nach der Liquidierung aller Demokratisierungsmaßnahmen verbleibt diese Föderalisierung des Staates vorerst als letztes Relikt der Reformergruppe. Hinzu soll allerdings noch ein Minderheitengesetz kommen, in dem erstmals nach 1945 auch wieder die Deutschen aufscheinen sollen. Während bisher immer in erster Linie die slawischen Minder heiten, Polen und Ukrainer, und dann die Ungarn genannt worden waren, soll jetzt nach der Größe (Ungarn, Deutsche, Ukrainer, Polen) zitiert werden.

So betrachtet, scheint der neue Föderalismus, wird er nur vernünftig gehandhabt, keine Gefahr für den tschechoslowakischen Gesamtstaat darzustellen. Hinzu kommt, daß die Slowaken — und das wissen sie sehr genau — praktisch keine andere Alternativen haben. Auch eine neue Selbständigkeit ist heute keine Alternative mehr. Anderseits sind sich die Tschechen und Slowaken in letzter Zeit wirklich nahe gekommen und die letzten Monate haben sie zusätzlich zusammengeschweißt.

So scheint das Experiment der künftigen CSFSR, der Tschecho-Slo- wakischen Föderativen Sozialistischen Republik natürlich ein Experiment mit Chancen und Gefahren. Auch hier wird es vorerst auf die Menschen ankommen, die die neue Verfassung und die neue Struktur mit Leben zu erfüllen haben.

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