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Die CSFR vor dem Zerfall

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Von der Kremlführung wurde die Tschechoslowakei anfang der fünfziger Jahre als Schwerindustrieland für den Warschauer Pakt ausgewählt. Ab dieser Zeit begann eine wahnsinnige Unterstützung der Kohlen- und Hüttenindustrie mit Zentren in Nord-Böhmen (Most/Brüx) und Nord-Mähren (Ostrava/Ostrau).

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Von der Kremlführung wurde die Tschechoslowakei anfang der fünfziger Jahre als Schwerindustrieland für den Warschauer Pakt ausgewählt. Ab dieser Zeit begann eine wahnsinnige Unterstützung der Kohlen- und Hüttenindustrie mit Zentren in Nord-Böhmen (Most/Brüx) und Nord-Mähren (Ostrava/Ostrau).

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Massen von Arbeitern wurden in diese Gebiete geschickt, die Zentren vergrößerten sich mehrfach, ganz neue Städte wurden aufgebaut. Auf der anderen Seite hat man die traditionelle konkurrenzfähige Leichtindustrie und das Kunstgewerbe in Böhmen und Mähren fallengelassen, wodurch schwere ökologische Schäden entstanden.

In der West-Slowakei (Martin) hat man die Militärindustrie errichtet und seit dem Jahre 1970 wurden große Investitionen in die Maschinenindustrie und in den Hochbau getätigt. Seit dieser Zeit hat also die Slowakei nicht nur eine modernere technologische Ausrüstung, sondern auch die bessere Umwelt als Böhmen und Mähren. Wegen fehlender Industrietradition ist allerdings in der Slowakei die Produktivität wesentlich niedriger.

Dazu kommt heute die Schwierigkeit mit der Rüstungskonversion und einer entsprechenden Neuqualifizierung. Das hat sich heuer klar gezeigt. Denn die Slowakische Republik wird der Föderation etwa zehn Milliarden Kronen schuldig bleiben, während die Tschechische Republik ihr Budget ausgeglichen halten kann. Im Hinblick auf die erwartete Trennung bedeutet die nicht ideale slowakische Industriestruktur einen gewissen Nachteil.

Die tschecho-slowakische Landwirtschaft wurde während der vergangenen 50 Jahre durch Zwangskollektivierung grundsätzlich umgebaut. Es hat sich später allerdings gezeigt, daß dieser Prozeß mehr Positives als Negatives bewirkte. Die größeren Feldflächen ermöglichten einen massiven Einsatz von Landwirtschaftstechnik, auch den effektiveren Gebrauch von Natur- und Kunstdünger. Die Produktivität wurde damit wesentlich erhöht und liegt heute auf befriedigendem Niveau.

Obwohl staatliche Subventionen und der Kunstdüngergebrauch höher als in westlichen Ländern sind, hat die CSFR-Landwirtschaft beim Start in den europäischen Markt bessere Voraussetzungen als die Industrie. Es ist nur zu hoffen, daß die zu drastische Privatisierung und Restitution nicht zur Atomisierung von Bodenkomplexen, sondern zur Etablierung moderner Farmen mit mehreren Eigentümern führt. Ähnlich dem Industriebereich ist die slowakische Nahrungsmittelproduktion geringer als die von Böhmen und Mähren.

Die rasche Privatisierung läßt Konzernen und Fabriken keine Zeit zu notwendiger Restrukturierung. Es ist deshalb ein Zusammenkrachen mehrerer Unternehmen, begleitet vom billigen Verkauf an ausländische Firmen zu erwarten. Deutsche Firmen haben bisher mehr als 80 Prozent erobert, diese Monopolisierung wird -befürchtet man - zur Ausbeutung der tschechischen Arbeitskraft und zu hoher Arbeitslosigkeit führen. Die großen Umweltschäden sowie die partielle Umwandlung des Ölversorgungssystems wird viele Investitions-Milliarden erfordern. Weil das „Gabä-kovo-Nagymaros-Monstrum" an der Donau zur Zeit der Föderation gebaut wurde, wird dieses Projekt höchstwahrscheinlich auch die Tschechische Republik etwas kosten.

Die schlechtere Effektivität und Struktur der Industrie bringt die Slowakei in große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Dazu kommt noch die nötige Lösung des Gaböikovo-Problems sowie die Umwandlung des Militärkomplexes. Auch die östliche Lage ist für die Slowakei hinsichtlich westlicher Investitionsluste kein Vorteil. Gewisse Erleichterungen könnte die erhoffte Hilfe amerikanischer Slowaken bringen.

Während die ersten freien Wahlen in der Tschecho-Slowakei 1990 eine Manifestation gegen den Kommunismus waren, waren die Wahlergebnisse 1992 in Böhmen und Mähren Folge einer Medienkampagne für Privatisierung, in der Slowakei einer für Souveränität. Zwei harte, zentralisti-sche Männer standen einander gegenüber - Vaclav Klaus aus der Bürgerlich demokratischen Partei und Vladimir Meciar aus der Bewegung für eine demokratische Slowakei. Erste-rer wollte den alten föderalistischen Staat mit der Steuerungszentrale in Prag halten, der andere hatte den Leuten eine freie Konföderation mit internationaler politischer Anerkennung der Slowakei versprochen.

Das Hauptproblem bildet hier die politische Wiederanerkennung Mährens - eine für die Prager Pragmatiker unannehmbare Forderung. Obwohl alle Parteien - mit Ausnahme der Bürgerlichen Demokraten - entweder einen Bundesstaat oder eine Föderation Böhmens und Mährens im Wahlprogramm hatten, sieht gegenwärtig die Situation ein bißchen anders aus. Die Volkspartei hat sich als Koalitionspartner wie üblich den Bürgerlichen Demokraten angepaßt und rasch auf ihr Wahlversprechen vergessen. In den Verhandlungen mit Klaus beginnen auch die Sozialdemokraten Mähren als eine mögliche Austauschware zu betrachten. Weil aber die regierende Koalition 60 Prozent der Stimmen im Parlament für die neue Verfassung braucht, ist die Entscheidung noch nicht perfekt. Die Trennung in Böhmen-Mähren und Slowakei ist für den 1. Jänner 1993 geplant, daher muß die Verfassung bis Ende dieses Jahres angenommen werden.

Die Medien wünschen sich als tschechischen Präsidenten Vaclav Havel, der damit eine inoffizielle und kostenlose Kampagne bekommt.

Das größte politische Problem in der Slowakei stellt ohne Zweifel die ungarische Minderheit mit einer Sieben-Prozent-Vertretung im Parlament dar. Diese große Minderheit hat sehr heftig für eine gemeinsame föderative CSFR gekämpft und will im neuen Slowakischen Staat eine Art Autonomie haben.

Der Hauptfavorit für das Amt des ersten Slowakischen Präsidenten, der seit dem Autounfall im August im Koma gelegene Alexander Dubcek, ist am Samstag gestorben. In dieser Situation geben politische Experten Jozef Prokes dem Kandidaten der Slowakischen Nationalpartei, die größten Chancen für das Präsidentenamt, denn die Bewegung für eine demokratische Slowakei wird vermutlich keinen Gegenkandidaten stellen.

Die internationale Anerkennung der neuen Republiken ist sicher von der Art und Weise ihres Auseinandergehens abhängig. Es gibt zwar sehr gute Voraussetzungen für einen ruhigen Ablauf, aber bei der politischen Härte beider führender Männer ist alles drinnen.

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