Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Preßburg und das „Tauwetter“
Am 22. August dieses Jahres veröffentlichte die tschechoslowakische Presse die Nachricht über die Revi- ion der politischen Prozesse in der Zeit von 1949 bis 1954. Von den früher Verurteilten wurden dabei insgesamt 60 Namen von Rehabilitierten zitiert. Daß die Nachricht gerade in den Tagen des Besuches von Chruschtschow in Jugoslawien veröffentlicht wurde, ist vielleicht kein Zufall … Unter den Rehabilitierten befinden sich auch höhere Parteifunktionäre, die wegen verräterischen „Tito- Revisionismus“ seinerzeit verurteilt worden waren. Die Tatsache, daß auch die Namen der Rehabilitierten veröffentlicht wurden, beweist, daß der Druck auf die derzeitigen Parteiführer in der CSSR von seiten sowjetischer Kreise, aber auch aus den eigenen Parteireihen wächst.
Wie bekannt, wird der Hauptwider- stand gegen die jetzige Parteiführung in der CSSR von der Slowakei betrieben. Der Kampf gegen den Personenkult und für die Entstalinisierung, den die slowakischen Schriftsteller • und Journalisten entfacht haben, hat anfangs Juni ein solches Maß angenommen, daß der Sekretär des Zentralkomitees der KP, Präsident A. N o- v o t n y, persönlich aus Prag nach Kaschau eilte, um dem von ihm zusammengerufenen Aktiv der ostslowakischen Kommunisten beizuwohnen (12. Juni 1963). Die Parteiführung befürchtete, die Entstalinisierungswelle könne ihr über den Kopf wachsen.
Erst einmal behauptete Novotny in Kaschau, die Partei habe auch in der Periode des Personenkultes „recht gehabt". Die Verurteilung der bourgeoisen Nationalisten bleibe auch heute noch aufrecht. Er griff diejenigen an, die sich für separatistische Strömungen in der Slowakei einsetzen, unter ihnen besonders T. Kalisky. Die Äußerungen bei der Tagung der slowakischen Schriftsteller nannte er „Hysterie“ und griff besonders M. Hyskoan.
Novotnys Ansprache in Kaschau schlug in der Slowakei wie eine Bombe ein. Seine gereizten, drohenden Worte und besonders sein scharfer Angriff gegen den slowakischen bourgeoisen Nationalismus wurde zum Wasser auf die Mühle seiner Gegner. Die slowakischen Kommunisten hatten nicht einmal den Mut, die Ansprache Novotnys zu veröffentlichen. Die Zeitung mit dem Originaltext der Ansprache wurde zurückgezogen. Die Restexemplare aber wurden unter der Hand um 30 Kronen verkauft…
Die slowakische „Kolonie"
Novotnys Ansprache hat die in der Slowakei schon lange brennende Wunde noch mehr aufgehrochen. Die slowakischen Kommunisten tragen schwer daran, daß der ehemalige Parteisekretär der slowakischen '- KP, Bacilek, ein gebürtiger Tscheche, die ganze slowakische Intelligenz des bourgeoisen Nationalismus angeklagt und rücksichtslos aus der Parteiführung entfernt hat. Der slowakische Industrialisierungsplan nehme ferner auf die lokalen Verhältnisse keine Rücksicht. Es würden Mammutfabriken gebaut, für die im Lande kein Rohstoff vorhanden sei. In den tschechischen Ländern übersteige der Arbeiterlohn den der Slowaken um 2900 Kronen; die höheren slowakischen Offiziere seien aus der Armeeführung ausgeschlossen worden, und die Mehrheit der Fabriksleiter seien Tschechen. Die Slowaken haben das Gefühl, eine Kolonie der tschechischen Länder zu sein. Auch von slowakischen kommunistischen Stellen erhoben sich Stimmen für eine geschlossene slowakische Ökonomie. So legte im Frühjahr dieses Jahres der Preßburger Geschichtsprofessor Gosiorovsky den 60seiti- gen Vorschlag einer tschechoslowakischen Föderationsbildung vor.
Im ganzen ist das tschechisch-slowakische Verhältnis gespannt wie noch nie. Bei den gläubigen Slowaken kommt hinzu, daß die Verbreitung des Atheismus aus Prag geführt wird; auch hier wieder vorwiegend von Tschechen.
Es lohnt sich, darauf hinzuweisen, daß der angegriffene Dozent Hysko auf der Tagung der slowakischen Journalisten mit 150 Stimmen in das Komitee gewählt wurde, und daß Toman Kalisky nach der vom „Kulturny život“ veranstalteten Enquete zum populärsten Autor in der Slowakei wurde.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!