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Hypothek der Vergangenheit

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Europas jüngste Republik ist die Slowakei. Zur Zeit ist das Land daran, seine Armee aufzustellen. Hypotheken aus der jüngsten Vergangenheit lasten schwer auf dem jungen Staat, der sich kaum vom Nationalismus freispielen kann.

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Europas jüngste Republik ist die Slowakei. Zur Zeit ist das Land daran, seine Armee aufzustellen. Hypotheken aus der jüngsten Vergangenheit lasten schwer auf dem jungen Staat, der sich kaum vom Nationalismus freispielen kann.

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Die Slowakei hat keinerlei nennenswerte historische Vergangenheit - abgesehen davon, daß in der Zeit der Völkerwanderung, also vor mehr als 1.000 Jahren, in jenen Gebieten, die den Donauraum und Mähren betreffen, ein slawisches Volk, die „Slowaken"?, ein Reich hatte. Dieses ließ sich 896 kampflos von den Ungarn unterwerfen. Danach besaß das Königreich Ungarn jene Gebiete der Slowaken, die sich innerhalb des nördlichen und nordöstlichen Karpatenbek-kens erstreckten. Bis 1918 war die Slowakei mit dem Namen „Oberungarn" Bestandteil der Stephanskrone.

Im 19. Jahrhundert erwachte auch der slowakische Nationalismus. Aufstände - eher Hungerrevolten - und die politische Führung der slowakischen Intelligenz hatten dabei eine gewisse Rolle gespielt. Die sture Magyarisie-rung der zentralen ungarischen Regierung in Budapest spielte eine weitere Rolle. Eine verfehlte ungarische Nationalpolitik - abgestellt auf Assimilierung der Völker der Stephanskrone - half mit, 1918, nach dem Zerfall der k.u. k. Monarchie Ungarn zu zerstückeln.

Die Slowakei wurde Bestandteil des neugegründeten Tschechoslowakischen Staates mit Prag als Hauptstadt.

1938 wurde in Wien mit Unterstützung Deutschlands und Italiens ein „Schiedsspruch" zugunsten der Ungarn gefällt: Ein Teil der vornehmlich von Ungarn bewohnten Gebiete der Slowakei kam - mit dem Einverständnis Prags - nach Ungarn zurück. Mitte März 1939 zerfiel die Rest-Tschechoslowakei. Die Westmächte überließen Prag Hitler, um den Frieden in Europa zu sichern. Die Slowakei wurde „selbständig". Sie stellte sich freiwillig dem Deutschen Reich zur Verfügung und wurde sein Vasall. Eine klerikal-faschistische Regierung (mit einer dementsprechenden Ideologie) wurde gebildet.

Mit Begeisterung nahmen die slowakischen Truppen am Krieg gegen Polen teil. Im Krieg gegen die Sowjetunion nahm die Slowakische Armee vorerst mit einem Armeekorps, später mit zwei Divisionen teil. Slowakische Soldaten kämpften 1942/43 im Kaukasus. Später mußte man die Slowaken allerdings entwaffnen. Ein Teil desertierte zur Roten Armee, der andere Teil wurde als Arbeitsdienst-Truppe verwendet. Im September 1944 brach in der Slowakei ein Volksaufstand gegen das faschistische Regime von Prälat Jozef Tiso aus. Er konnte nur mit deutscher Hilfe niedergeschlagen werden. Die slowakische Armee wurde von den Deutschen entwaffnet, in den Augen Hitlers galt sie als unzuverlässig.

Tiso und seine Regierung wurden nach Kriegsende in Österreich gefunden und an Prag ausgeliefert. Der Prozeß gegen ihn und seine Leute fand in Preßburg statt. Tiso und einige Gefährten wurden als Kriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet.

Seit 1. Jänner 1993 existiert wieder eine Slowakische Republik. Preßburg will eine Streitmacht von 45.000 Mann aufstellen. Zur Zeit verfügt man - teilweise aus tschechischen Arsenalen -

über475 Panzer, 680 gepanzerte Fahrzeuge, 115 Kampfflugzeuge und 25 Kampfhelikopter. Die Slowakei hat auch zehn MIG-29 Flugzeuge, ein Novum, weil man bisher nur darüber wußte, daß mit diesen neuesten Kampfflugzeugen außer der GUS-Armee nur die ehemalige DDR-„Volks-armee" ausgerüstet gewesen war.

Große Schwierigkeiten bereitet dem jungen Staat die Tatsache, daß man über keinen geeigneten Militärflugplatz verfügt.

Mit der Moral der Armee ist man sich noch nicht im klaren. Man weiß, daß die meisten Offiziere, auch die Slowaken, danach trachteten, ihre Karriere in der Tschechischen Armee fortzusetzen. Jetzt versucht man dagegen zu wirken, indem man die Offiziersgehälter erhöht. Ministerpräsident Vladimir Meciar hält viel von einer starken Armee. Geld hat er nicht dafür. Als ehemaliger kommunistischer Spitzenfunktionär glaubt er noch immer daran, daß er für seine Ziele Auslandshilfe bekommt, das heißt, daß die Staatskasse nach seinen Anordnungen Geld für die Armee ohne

(Archiv)

weiteres zur Verfügung stellt. Parlamentarische Erfahrungen hat die neue Slowakische Republik nicht. Meciar sagt: die Armee müsse Verteidigungsdispositionen haben. Er wolle niemanden angreifen, aber jedem möglichen Gegner wolle man Angst einjagen.

Hinzuzufügen wäre noch, daß in den vergangenen zehn Jahren Moskau in der Slowakei eine starke Rüstungsindustrie aufgebaut hat; nicht für die Slowakei, sondern für die früheren Staaten des Warschauer Paktes. Meciar produziert jetzt weiterhin exsowjetische Panzer des Typs T-72 und versucht, diese Panzermonster gegen Devisen in Dritte-Welt-Länder zu verkaufen. Er weiß anscheinend nicht, daß diese Panzer technisch bereits veraltet sind, enormen Sprit brauchen und die optisch-technischen Einrichtungen dem Standard der achtziger Jahre entsprechen.

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