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Gerechtes Urteil für Jozef Tiso

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Er war Präsident eines Landes von Hitlers Gnaden. Die Slowaken denken grundsätzlich gut über ihn - und werden dafür vom Ausland kritisiert.

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Er war Präsident eines Landes von Hitlers Gnaden. Die Slowaken denken grundsätzlich gut über ihn - und werden dafür vom Ausland kritisiert.

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Die Erinnerungen der Slowaken an den ersten slowakischen Staat von 1939 bis 1945, geführt von dem Priester-Präsidenten Jozef Tiso, sind nach den Worten des Vorsitzenden der slowakischen Christdemokraten und früheren slowakischen Premiers Jan Carnogursky „ziemlich gut". „Aus der innerslowakischen Perspektive, lassen wir andere Politikbereiche einmal beiseite, war Tiso eine Bremse der Nazifizierung oder Germanisierung der Slowakei, der sich also dem Einfluß Deutschlands widersetzte", beschreibt Carnogursky in einem Gespräch mit der furche die gegenwärtige slowakische Beurteilung des nach einem Schauprozeß 1947 hingerichteten Prälaten. Sogar der spätere Ministerpräsident der Tschechoslowakei, der kommunistische Funktionär Viliam Siroky, habe 1943 in einem aus dem Gefängnis in Bratislava geschmuggelten Brief die kommunistischen Zellen der Slowakei aufgefordert, nicht gegen Tiso zu kämpfen, da dieser unter den gegebenen Umständen der annehmbarste Politiker sei.

Carnogursky verweist in diesem Zusamenhang auch auf ihm vorliegende Informationen, wonach sogar Judenvertreter daran interessiert gewesen seien, daß Tiso im Amt bleibe. „Denn in der damaligen Zeit waren die einzige Alternative zu Tiso Vojtech Tuka und Sano Mach; also viel radikalere, pro-deutsche, pro-nazistische Politiker. Die Slowaken haben Tiso als einen Verteidiger der slowakischen Interessen auch gegenüber den Deutschen angesehen." Deshalb blieb er den Slowaken als positive Gestalt im Gedächtnis haften.

Der Christdemokrat Carnogursky gibt aber zu, daß Tiso bei weitem nicht so gut wegkomme, „wenn wir an seine Tätigkeit nicht mit innerslowakischen, sondern heute geltenden europäischen oder universellen Kriterien herangehen". Dann stelle sich lies als „viel schlimmer" heraus. „Wenn wir Karl Jaspers Schrift von der Schuld heranziehen und sie auf Tisos Tätigkeit anwenden, dann war Tiso schuldig. Und ich verstehe auch, daß die Welt, daß Europa nicht slowakische Kriterien anwendet, sondern eben universelle. Des-

halb ist das Urteil über Tiso von außen natürlich viel schlimmer als innerhalb der Slowakei."

Hinsichtlich des Einflusses der Nazi-Politik auf die Tiso-Judenpolitik betont Carnogursky, daß die Slowakei zwar nicht die Nürnberger Gesetze angewendet, diese aber in eigenen Gesetzen „nachvollzogen" habe. Deshalb mache die „formelle Unabhängigkeit" der damaligen Slowakei diese auch verantwortlich für die entsprechenden Gesetze. Letztlich sei es politisch, außenpolitisch und geopolitsch der Slowakei nicht möglich gewesen, sich dem Einfluß Hitler-Deutschlands zu widersetzen. Carnogursky: „Tiso selbst

hat sich - soweit ich informiert bin - politisch und verfassungsrechtlich nicht den größeren Radikalen widersetzt. Das Judengesetz beispielsweise, in dem die Nürnberger Gesetze nachvollzogen wurden, wurde von der Regierang angenommen, nicht vom Parlament. Und Tiso ist öffentlich nie direkt gegen diesen Kodex aufgetreten, sondern hat nur Ausnahmen davon erlassen, zu denen er als Präsident berechtigt war." Eine Ausnahme beispielsweise betraf die sogenannten „wirtschaftlich unersetzlichen Juden". Zusammenfassend kann man nach Carnogursky sagen, Tiso habe antijüdische Maßnahmen nicht forciert, sich ihnen aber auch nicht stark genug widersetzt.

Hat die Geschichte mit der Hinrichtung Tisos ein gerechtes Urteil über den Prälaten gesprochen? Carnogursky meint nein, denn die Judendeportationen - ab 1942 wurden mehrere zehntausend Juden an Nazi-Deutschland ausgeliefert, von 90.000 slowakischen Juden kamen 70.000 ums Leben - hätten im Gerichtsurteil „nur eine ganz geringe Rolle gespielt". Die Hauptschuld nach dem Gerichtsurteil bestand in der von Tiso betriebenen „Aufsplitterung der Tschechoslowakei". Und

gerade dieser vHauptpunkt der Anklage, betont Carnogursky, sei durch die historischen Ereignisse widerlegt worden. Es sei bewiesen, daß die Slowakei und Tiso persönlich seinerzeit von Hitler vor ein Dilemma gestellt wurden: entweder Unabhängigkeit oder Aufteilung zwischen Polen, Un-arn und Deutschland. „Nur ein Narr hätte die Aufteilung in Kauf genommen", erklärt Carnogursky in diesem Zusammenhang und verweist auf die jüngsten Ereignisse: die Teilung der Tschecho-Slowakei von 1993 sei durch ganz andere als christliche oder katholische Kräfte betrieben worden, was beweise, daß < die Tschecho-Slowakei einfach innerlich schwach gewesen sei. „Durch die zweite Teilung der Tschechoslowakei ist Tisos Schuld an der ersten Teilung relativiert worden."

Tendenzen, Tiso heiligsprechen zu wollen, erteilt der Ex-Premier eine klare Absage. Das sei eine Angelegenheit vor der Wende gewesen und von einem Exil-Priester betrieben worden. In der Slowakei selbst und im Vatikan habe dieser Vorschlag keinen Widerhall gefunden. Jetzt haben diese Bestrebungen überhaupt nachgelassen und das Tiso-Problem werde zunehmend als historisches ohne gegenwärtige Relevanz gesehen. Zusammenfassend beschreibt Ex-Premier Carnogursky die Haltung der Slowaken zu Tiso: „Die Katholiken eher positiv, die Protestanten neutral bis negativ, die Juden natürlich negativ und die Kommunisten eher negativ."

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