Priester und Troubadour

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Rudolf Dilong war der markanteste Vertreter der Katholischen Moderne in der Slowakei. Eine Hommage von Wolfgang Bahr

Rudolf Dilong wurde am 1. August 1905, zwei Tage vor Kardinal König, geboren, sollte wie dieser als Stiefkind in ländlichem Milieu aufwachsen und die geistliche Laufbahn einschlagen. Doch der weitere Lebenslauf des Slowaken hätte unterschiedlicher nicht sein können, und das hat viel mit der Geschichte seiner Heimat zu tun.

Als Rudolf Dilong zum Priester geweiht wurde und erste literarische Versuche unternahm, schickten sich die Slowaken gerade an, sich innerhalb der Tschechoslowakei zu emanzipieren. Eine junge katholische Intelligenz wollte sich gegenüber dem traditionell protestantischen Establishment profilieren, mit den Tschechen kulturell gleichziehen und sich auch international Gehör verschaffen.

Katholischer Surrealist

Keiner ging darin so weit wie der junge Franziskaner, für den Katholischsein umfassendes Freisein bedeutete: Freisein von tschechischer Bevormundung, von dichterischen Konventionen, aber auch von hierarchischer Gängelung. Als er 1934 mit seiner Gedichtsammlung "Sterne und Trauer" surrealistische Töne anschlug, schieden sich an ihm die Geister. Dilong wurde zur Galionsfigur einer vor allem an französischen Vorbildern orientierten Katholischen Moderne und Anführer einer ansehnlichen Riege von Dichtern zumeist im Priesterstand, als Exzentriker, der mit dem Motorrad von Lesung zu Lesung flitzte und sich in Künstlerkneipen herumtrieb, aber auch zum Enfant terrible der katholischen Kirche.

Die von ihm als Befreiungsschlag gefeierte Ausrufung des "Slowakischen Staates" 1939 sollte Dilong vor große Prüfungen stellen, denn er hatte auch linksgerichtete Freunde, und seine Geliebte Ria Valé (Valeria Reissová) war Jüdin. Für sie und die 1943 geborene Tochter erwirkte der Priester bei Präsident Tiso das Unterbleiben der Deportation ins kz, er selbst wurde als Feldkurat an die Ostfront beordert. Sein nationales Engagement blieb von all dem unberührt: Den Slowakischen Volksaufstand im Jahr darauf geißelte er als Verrat an der slowakischen Sache und als Vatermord.

1945 seinerseits als Verräter an der tschechoslowakischen Sache und Kommunistenhasser gebrandmarkt, wählte der erst 40-Jährige das Exil. Über Prag, Bayern und Österreich gelangte er nach Rom, wo er sich im Vatikan für die Rehabilitierung des Slowakischen Staates und seiner Exponenten stark machte. 1947, im Jahr von Tisos Hinrichtung, zog er nach Argentinien weiter; als sein dortiges Kloster in Flammen aufging, übersiedelte er in die usa. Nur einmal noch betrat er heimatlichen Boden: 1969 traf er in Wien und Pressburg seine Tochter Dagmar. Nicht bereit, eine Verzichtserklärung auf jegliche politische Betätigung zu unterschreiben, nahm er davon Abstand, seinen Lebensabend in der Slowakei zu verbringen, und starb 1986 in Pittsburgh.

Ein solches Leben schreit nach einer Dramatisierung, und kürzlich wurde sie gewagt. Kein Theater war dazu so prädestiniert wie jenes in Trnava. Gleich hinter dem ältesten bis heute bespielten Theaterbau der Slowakei befindet sich die Zentrale des Sankt-Adalbert-Vereins, der am heftigsten gegen den "slowakischen Rimbaud" agitiert hatte, und ihr gegenüber das Franziskanerkloster, in das Rudolf Dilong als Fünfzehnjähriger eingetreten war.

Das Theater trägt selbst den Namen eines anderen Priesterdichters, Ján Palárik, der hier 1869 die ersten Theateraufführungen in Slowakisch in einem festen Theater initiiert hatte; vorher war überwiegend deutsch gespielt worden und später dominierte jahrzehntelang trotz slowakischer Bevölkerungsmehrheit das Ungarische. Das nationale Reizklima im "slowakischen Rom" prägte auch den jungen Dilong.

Das Theater in Trnava

Heute verbindet die Landesbühne des Tyrnauer Kreises kritisches Nationalbewusstsein mit Weltoffenheit. Alle Premieren dieser Spielzeit sind slowakische Erstaufführungen, darunter Elfriede Jelineks "Raststätte" und Goethes "Urfaust". Einen besonderen Akzent setzt Prinzipal Emil Nedielka mit Aufführungen und Gastspielen slowenischer und kroatischer Autoren.

Die Erarbeitung des Dilong-Stücks "Sternschnuppen" hat Nedielka einem jungen Team anvertraut, das den inneren Konflikt des Helden herausstreicht und gerade dadurch dessen Verstrickung in das Zeitgeschehen verdeutlicht. In holzschnittartige Dialoge sind Dilongs zumeist geraffte, mitunter aber auch aleatorische Gedichte eingestreut; saftiges Bewegungstheater wechselt ab mit Konzentration auf das Wort und Stilisierung mit Psychologie.

Gebannt verfolgen die Schüler des Erzbischöflichen Gymnasiums die Aufführung, die der Rezensent besucht. Die Kirchenleitung mache von Dilong nicht viel Aufhebens und sei nicht gerade stolz auf ihn, meint Direktor Nedielka, aber immerhin sei der von den Kommunisten Totgeschwiegene heute fester Bestandteil der slowakischen Lehrpläne.

Ein jährlicher landesweiter Rezitationswettbewerb trägt den Namen des Dichters, den Ehrenschutz über ein Symposion übernahm Parlamentspräsident HruÇsovsk´y, und kurz vor Weihnachten wurde bei der Eröffnung der Ausstellung "Das katholische Buch" im Pressburger Primatialpalais auch des 100. Geburtstags Rudolf Dilongs gedacht. Der "Dichter der verlorenen Freiheit" wird in der wieder gewonnenen Freiheit seines Volkes wieder entdeckt.

DER BRAUNE PRÄLAT

Den verfemten Präsidenten Tiso auf die Bühne zu bringen, blieb dem Pressburger Arena-Theater vorbehalten. Seit April ist der fast zur Gänze aus Reden des Prälaten kompilierte Monolog Stadtgespräch und die Aufführung mit dem in jeder Hinsicht rollendeckenden Marián Labuda ausverkauft. Gespenstisch unauffällig verwandelt sich der Volksfreund, der vor den Gefahren des Alkoholismus warnt und in einer Weihnachtsansprache den "Fürsten des dauernden und weltweiten Friedens" begrüßt, in den Vater der "geordneten Familie" des slowakischen Volkes, um schließlich Gott zu bitten, er möge die Deutschen den Krieg nicht verlieren lassen, "weil dann alle Juden zurückkämen".

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