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Havel als Provokateur

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Veiner Abspaltung der „Slowakischen Nationalpartei”, organisierten anti-tschechischen Demonstration schreitet; dann wäre er politisch der große Mann, der zur Linderung der nationalen Spannung beigetragen hat, ein Held gewissermaßen, gewesen. ,

Mit der tatsächlich eingetretenen zweiten Möglichkeit, daß Havel dabei angespuckt wird, habe der Präsident einen Märtyrer-Anstrich bekommen. Die Slowaken selbst seien damit in der Weltöffentlichkeit als Barbaren, als Balkan-Bewohner, Asiaten, mit denen man nicht sprechen könne, die noch nicht reif für die Demokratie westlichen Musters seien, denunziert worden. Slowakische Beobachter sind tief traurig über die Vorgänge in ihrem Land - und nicht gut auf Havel zu sprechen, dem sie vorwerfen, beide Möglichkeiten genau vorauskalkuliert zu haben. „Das beste wäre gewesen” - so ein Mitarbeiter der slowakischen Kirchenzeitung „Kato-lickenoviny” zur FURCHE - „wenn Havel einfach gar nicht hingegangen wäre. Aber Havel ist ein großer Dramatiker und kein großer Politiker. Für ihn ist der Konflikt wichtig, der in sein dramaturgisches

Spiel passen muß.”

Havels Auftritt und Vortrag bei den Truppen in Trendin, die der Ostverteidigung der CSFR dienen, wird von slowakischen Beobachtern als Demonstration des Staatspräsidenten gewertet, daß die Armee hinter ihm stehe. Zur Last wird Havel auch jenes Gespräch auf der Burg in Bratislava gelegt, das er mit einem Redakteur der Studentenzeitung „Echo” führte. „Echo” hatte vor kurzem verbreitet, daß der slowakische Premier Vladimir Me&ar gemeinsam mit Altkommunisten und ehemaligen STB-Geheimdienst-leuten einen „linksnationalistischen Putsch” plane. „Und mit solchen Leuten spricht Havel, während er Vertreter der großen Tageszeitungen der Slowakei nicht empfängt”, gibt man sich in Bratislava empört über „Havels Ignoranz und politische Dummheit”.

Innenpolitisch ist es in der jungen Demokratie Slowakei ebenfalls nicht zum Besten bestellt. Ministerpräsident Vladimir MeCiar, der sich von der „Öffentlichkeit gegen Gewalt” (mit 29 Prozent stärkste Partei im slowakischen Parlament) mit einer eigenen Gruppe abgespalten hat, steht vor der Ablösung. Die starken Männer der „Öffentlichkeit”, Fedor Gal und Jan Kuce-rak, haben am Mittwoch dieser Woche im Parlament einen Antrag zum Sturz Meäars eingebracht. Zu Redaktionsschluß am Dienstag konnte noch nicht vorausgesehen werden, wie diese Abstimmung ausgehen wird. Slowakische politische Beobachter nahmen jedoch an, daß Meciars Abgang besiegelt ist. Dies auch deswegen, weil Vizepremier Jan Carnogursky von den Christdemokraten (zweitstärkste Fraktion mit 19 Prozent) seine Chance wittert und dem Antrag zustimmen wird. Carnogursky glaubt an den Zerfall der „Öffentlichkeit gegen Gewalt” und hofft, sich mit der CD an die Spitze setzen zu können. Viele Slowaken halten diese Entwicklung deswegen für schlecht, weil sich Me£iar international bis jetzt schon einen Namen gemacht hat und keine Persönlichkeit seines Ranges zur Nachfolge vorhanden ist. Zudem sei die gespaltene „Öffentlichkeit” noch immer stark genug, um sich gegenüber den Christdemokraten behaupten zu könnört.

Me&ar selbst gilt als Vertreter einer starken, selbständigen Slowakei innerhalb der tschecho-slö-wakischen Föderation, wird aber -wie alle anderen politischen Gruppierungen und auch die im Volk stark verwurzelte katholische Kirche - von den nationalistischen Bestrebungen vor sich hergetrieben. Einig sind sich alle Slowaken in der Abwehr eines von den Tschechen -wie die Slowaken es nennen -„ununterbrochenen Paternalis-mus”, der den Slowaken zutiefst zuwider ist. „Jede Nation, so auch die slowakische” - betonte am vergangenen Freitag der frühere slowakische Geheimbischof und jetzige Oberhirte von Nitra/Neutra, Jan Korec, in Wien - „hat das Recht auf Selbständigkeit und Souveränität in einem eigenen Staat.” Daß manche Slowaken diesbezüglich an ein schreckliches historisches Vorbild, die „selbständige Slowakei” von Hitlers Gnaden unter dem katholischen Prälaten Jozef Tiso, anknüpfen, bereitet Korec offenbar wenig Kopfzerbrechen. Die Kirche hält sich in dem Nationenstreit zurück, auch die Kirchenzeitung „kann es nicht wagen, in dieser Situation etwas zu schreiben” - so ein Mitarbeiter -, steht aber ganz deutlich auf der Seite der Souveränitätsbefürworter. Wesentlich ist für die Kirche die selbständige Slowakei, die auch viele junge Menschen verlangen, die keine Reminiszenzen an den faschistoiden Tiso-Staat haben.

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