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Schiebt uns nicht beiseite!

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Ist der Slowakei zu trauen, kann sie zu einem verläßlichen EU-Partner werden? Dazu Staatspräsident Michal Kovac.

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Ist der Slowakei zu trauen, kann sie zu einem verläßlichen EU-Partner werden? Dazu Staatspräsident Michal Kovac.

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Der „berechtigten Hoffnung, möglichst bald in die Gemeinschaft der entwickelten europäischen Länder aufgenommen zu werden”, die der slowakische Staatspräsident Michal Kovac in einem Gespräch mit der furche ausspricht, steht ein Image der jungen Republik in Westeuropa entgegen, das in etwa an mittelamerikanische „Bananenrepubliken” gemahnt.

Staatspräsident Kovac weiß und sagt dies auch ganz deutlich, daß „einige Schwierigkeiten”, die die Slowakei gegenwärtig hat, „nicht ökonomischer oder sozialer, sondern eher subjektiv-politischer Natur” sind. Ohne seinen mächtigen Widerpart, Ministerpräsident Vladimir Meciar, der seit Wochen offenbar ernsthaft krank ist, nur einmal ausdrücklich zu nennen, ist klar, wen Kovac meint, wenn er bittet, die Reife der Demokratie in der Slowakei „nicht nur nach irgendwelchen Schritten des Parlaments oder der Regierung zu beurteilen”. Der slowakische Staatspräsident wörtlich zur furche: „Die demokratischen Mechanismen sind nicht nur eine Frage der Beschlüsse der Regierung und der Annahme bestimmter Gesetze, sondern eine des Funktionierens des gesamten Systems - vom Präsidenten über den Obersten Gerichtshof bis hin zu den freiwilligen Organisationen der Bürger. Wir wissen nur zu gut, daß alle Länder, die EU-Mitglieder sein möchten, eine gut funktionierende Demokratie aufweisen müssen. Wir sind gerade dabei, unser Rechtssystem mit dem der EU zu vergleichen und anzunähern. Gesetze, die im Wi-' derspruch zu EU-Recht stehen, werden wir korrigieren.” Die nach Kovacs Worten politischen „Schönheitsfehler” -mit diesem Begriff hat der slowakische Staatspräsident beim jüngsten Treffen der mittel-euopäischen Präsidenten in Polen auf kritische Einwände der Amtskollegen geantwortet - dürften nicht entscheidend dafür sein, ob die Slowakei in die Europäische Union aufgenommen wird oder nicht. In diesem Zusammenhang spricht der Präsident von einem „innenpolitischen Kampf um den Sinn der Demokratie” in der Slowakei, der immerhin eines beweise, nämlich, „daß das demokratische System hier besteht”. „In diesem Kampf werden wir die Spielregeln der Demokratie befestigen, die Leute sind gezwungen, sich tiefer damit zu beschäftigen, was demokratisch und was un-demokratisch ist.”

Obwohl die Bilanz der vergangenen sechs Jahre seit der friedlichen Bevolution für Präsident Kovac sehr positiv ausfällt - „Wir haben eine unglaublich dichte soziale, ökonomische und politische Entwicklung durchgemacht” — bestünden noch große Überreste totalitären Denkens und Handelns unter den Slowaken. Der Präsident wörtlich. „Wir sind noch nicht ganz imstande, die Bedeutung des Falles des kommunistischen Systems zu bewerten. Natürlich sind wir nicht der Meinung, daß alles allein durch den Fall des Kommunismus gelöst worden ist. Aber es wird noch eine gewisse Zeit dauern, bis die demokratischen Mechanismen die totalitären Überbleibsel überwinden werden. Ich glaube, daß wir große Perspektiven haben, das stimmt mich hoffnungsvoll.” Die Slowaken fühlten sich als „vitale, junge Nation”, die wisse, in einer Be-gion zu leben, die ähnliche Ziele verfolge. Dadurch, daß die junge Bepublik noch nicht stark von der Konsumgesellschaft des Westens beeinflußt sei, könne die Slowakei sogar etwas Positives ins neue Europa einbringen: „Unsere Überzeugung, daß Grundrechte ge-. ehrt und weiterentwickelt gehören, unsere Entschlossenheit, die moralische und geistige Erneuerung der Gesellschaft voranzutreiben.”

Bei dem - vorhin schon genannten - mitteleuropäischen Präsidententreffen (an dem auch Österreichs Staatsoberhaupt Thomas Klestil teilgenommen hatte) habe er, Kovac, zur Kenntnis nehmen müssen, daß seine Amtskollegen ein „Verweilen der Slowakei in der jetzigen (politischen) Situation für schädlich hielten ”. Er wiederum habe darauf verwiesen, daß der Demokratie in der Slowakei nicht dadurch geholfen werde, daß das Land beiseite geschoben, quasi vor der Tür gelassen werde. Nur in dem allgemeinen. Bah-men Europas werde sich die Slowakei positiv beeinflussen lassen, dann würden sich auch die „Schönheitsfehler” beseitigen lassen.

Nur Schönheitsfehler - oder doch eine möglicherweise größere Gefahr, wenn man sieht, was geheimdienstliche Kräfte - in wessen Auftrag? -heute alles anrichten in der „neuen” Slowakei?: Da wird ein ehemaliger Parlamentspräsident niedergeschlagen, Autos werden in die Luft gesprengt, es gibt Tote, der Sohn des Präsidenten wird entführt, die Aufklärung der Sache droht zu versickern, aufklärungswillige Sicherheitskräfte werden bedroht und setzen sich im Westen ab, beim Vorsitzenden der Bischofskonferenz gibt es eine merkwürdige Hausdurchsuchung der Polizei - alles nur „Schönheitsfehler”? Staatspräsident Kovac gibt zu, daß das „ernste Probleme”, aber überwindbar seien. „Die sind nicht systemimmanent und müssen nicht für alle Ewigkeit so bleiben. Wir betrachten das als ernste Probleme, mit denen sich die Gesellschaft aber bald auseinandersetzen wird. Natürlich brauchen wir Hilfe dazu, die darin bestehen muß, daß man uns nicht beiseite schiebt.” Also: Das slowakische Staatsoberhaupt will keine Vertröstung auf spätere Zeit, sondern erwartet einen Beginn der EU-Verhandlungen Anfang 1998 . „Sie werden wahrscheinlich vier bis fünf Jahre dauern -und in dieser Zeit”, fügt er gar nichtso kryptisch hinzu, „kann es noch zwei weitere Begie-rungen geben.”

Er selbst bleibe, obwohl er auch in der eigenen Familie große Probleme habe, optimistisch und lasse sich von solchen Vorkommnissen wie die Aktionen gegen seinen Sohn nicht fertigmachen. „Ich versuche die Lage realistisch einzuschätzen, und aus diesem Grund kann ich sagen, daß wir imstande sind, uns solchen Problemen zu stellen.”

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