Gespenstisches in der Slowakei

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Der Priester-Politiker Andrej Hlinka soll vom Pressburger Parlament zum "Vater der Nation" erklärt werden.

Diesen Tag haben die Slowaken nie vergessen: Vor 100 Jahren, am 27. Oktober 1907 kamen bei der Einweihung der neuen Kirche in dem nordslowakischen Dorf Cernová, heute eingemeindet in die Stadt Ružomberok, 15 Personen ums Leben, 10 wurden schwer, 60 leicht verletzt. Der Proponent des Kirchenbaues, der aus Cernová gebürtige Rosenberger Pfarrer Andrej Hlinka, war zu diesem Zeitpunkt wegen seines Kampfes gegen die Unterdrückung der Slowaken von der Ausübung seiner priesterlichen Funktionen suspendiert. Als die Gläubigen den vom Bischof an Hlinkas Stelle mit der Weihe beauftragten Nachbarpfarrer am Betreten des Ortsgebiets hinderten, erteilte der Stuhlrichter von Ružomberok Schießbefehl.

Ein Märtyrer

Nach zwei Jahren aus der Haft entlassen, entwickelte sich Hlinka rasch zum bedeutendsten Führer der Slowaken im Königreich Ungarn und später in der Tschechoslowakischen Republik. Deren Gründung im Jahr 1918 hatte er noch befürwortet, doch bald schon geriet er auch mit ihr in Konflikt, da die Versprechungen einer bundesstaatlichen Gliederung des Landes nicht erfüllt wurden. Ein weiterer Gefängnisaufenthalt und Attentatsversuche machten ihn bei seinen Anhängern vollends zum Märtyrer, und nach einem Intermezzo als Minister in der Prager Regierung orientierte er sich zunehmend an den damals in Europa um sich greifenden Diktaturen. Die Umbenennung der von ihm gegründeten Volkspartei in Hlinka-Volkspartei machte seine Hinwendung zum Führerprinzip offensichtlich.

Aufging die Saat, wie immer man sie beurteilen mag, jedoch erst nach seinem Tod am 16. August 1938. Das einen Monat später geschlossene Münchener Abkommen sanktionierte nicht nur die Abspaltung des Sudetenlandes, sondern auch die Föderalisierung des Rumpfstaates. Ministerpräsident des slowakischen Landesteils wurde Hlinkas politischer Ziehsohn Josef Tiso und am 14. März 1939 exekutierte dieser die von Hitler erzwungene, aber durchaus willkommene völlige Loslösung vom nunmehrigen Protektorat Böhmen und Mähren. Die zwei Wochen vor Hlinkas Tod angeblich ohne sein Zutun gegründete Hlinka-Garde wurde zum Synonym für den radikalen Flügel im so genannten Slowakischen Staat. Sie war beteiligt an der Niederschlagung des Slowakischen Volksaufstands von 1944, vor allem aber an der Deportation von 70.000 Juden nach Auschwitz.

Lex Hlinka

Schon im April 1939 beschloss der damalige Slowakische Nationalrat ein Gesetz, wonach sich "Andrej Hlinka um das slowakische Volk verdient gemacht" habe. Daran knüpft nun ein Gesetzesantrag des Nationalrats von 2007 an, der den Prälaten möglicherweise noch in dieser Woche zum "Vater des Volkes" erklärt; in erster Lesung ist der Gesetzesentwurf mit den Stimmen aller Parlamentsparteien außer der Partei der Ungarischen Koalition (SMK) angenommen worden. Initiiert hatte ihn die vor allem für ihre roma- und ungarnfeindliche Ausrichtung bekannte Slowakische Nationalpartei (SNS) Ján Slotas, doch dann versuchte die Christdemokratische Bewegung (KDH) auf den Zug aufzuspringen und brachte einen Parallelantrag ein.

Hatte der Antrag der nationalslowakischen Rabauken niemanden überrascht, so rief der Schwenk der streng katholischen KDH Verwunderung hervor. Seit sie im Vorjahr die zusammen mit der SMK und der Slowakischen Demokratischen und Christlichen Union (SDKÚ) des damaligen Ministerpräsidenten Mikuláš Dzurinda gebildete Koalition gesprengt hat, schwelt in ihr ein Richtungsstreit. Parteivorsitzender Pavol Hrušovský möchte die Türen gegenüber der linkspopulistischen SMER des nunmehrigen Ministerpräsidenten Robert Fico für den Fall offenhalten, dass die Nationalisten aus dessen Regierungskoalition ausscheiden; sein im Ringen um den Parteivorsitz unterlegener Kontrahent Vladimír Palko hingegen steuert einen Konfrontationskurs und möchte gerade im slowakisch-nationalen Lager auf Stimmenfang gehen.

Staatsaktion

Andrej Hlinka ist so wie sein Nachfolger Josef Tiso vom kommunistischen Regime benutzt worden, die katholische Kirche mit dem Faschismus gleichzusetzen, und in einem Reflex wurden so gerade die katholischen Dissidenten zu Verteidigern der beiden problematischen Politiker.

Die prominentesten Laien der Untergrundkirche - der spätere Ministerpräsident Ján Carnogurský und der spätere Parlamentspräsident František Mikloško - halten sich zugute, zum Unterschied von Ján Slota der Tragödie von Cernová schon gedacht zu haben, als dies unter dem kommunistischen Regime schlimme Folgen haben konnte, und gehören heute zu den vehementen Befürwortern der Proklamation Hlinkas zum "Vater des Volkes".

Wie auch immer die Abstimmung ausgeht - das dreitägige Gedenken an die Tragödie von Cernová am Ort des Geschehens Ende Oktober hat jedenfalls den Charakter einer Staatsaktion: Den Ehrenschutz hat Präsident Ivan Gašparovic übernommen, einer der beiden Gottesdienste wird vom öffentlich-rechtlichen STV direkt übertragen und die Post präsentiert eine Briefmarke.

Im Liptauer Museum in Ružomberok (die Gegend ist die Heimat des auch in Österreich seit den Tagen der Monarchie beliebten Brotaufstrichs) wird eine erneuerte Dauerausstellung über "Leben und Werk Andrej Hlinkas" eröffnet und eine internationale Konferenz schon zuvor soll die Ereignisse vor hundert Jahren auf "Mythos und Realität" abklopfen. Tagungsort ist das Historische Institut der Katholischen Universität Ružomberok, einer Kaderschmiede, die vielleicht nicht ganz zufällig in der Heimat Andrej Hlinkas angesiedelt wurde.

Polarisierung

Wie emotionell die Auseinandersetzung auf der Ebene unterhalb der Parlamentsreden und Petitionen geführt wird, zeigt ein Blick in den Chatroom der führenden Pressburger Tageszeitung SME. Für die Gegner des Gesetzesantrags ist dieser "absurd wie bei Monty Python" und das einzig Positive an ihm sei, dass man "einen Vater kastrieren und ritual abschlachten kann". Dass "ohne Hlinka die Chatter längst Tschechen und der Rest madjarisiert" wären, bekümmert sie nicht; lieber wollen sie "in Freiheit Tschechisch als in einer faschistischen Diktatur Slowakisch sprechen".

Einen schweren Stand haben da liberale Persönlichkeiten wie der frühere slowakische Botschafter in den USA Martin Bútora, der in einem Kommentar in der SME meinte, Hlinka gebühre sowohl Anerkennung "für unstrittige Verdienste und Sternaugenblicke als auch kritische Distanz wegen seiner Fehler".

Nicht zuletzt seine Pauschalurteile über den "jüdischen Kapitalismus und Bolschewismus" sowie über die Lutheraner als "Geschwür am Leib des slowakischen Volks" disqualifizieren Hlinka in den Augen Bútoras aber für eine Auszeichnung.

Der Autor ist freier Publizist.

Mit der bis heute gültigen 1000-Kronen-Note bekannte sich die 1993 wiedergegründete Slowakische Republik schon vor Jahren zu Andrej Hlinka.

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