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„Brontosaurus“ will überleben

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Tote Wälder und kranke Kinder: Die Verschmutzung der Umwelt in der Tschechoslowakei nimmt lebensbedrohende Formen an. Umweltgruppen sind polizeilicher Willkür ausgesetzt.

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Tote Wälder und kranke Kinder: Die Verschmutzung der Umwelt in der Tschechoslowakei nimmt lebensbedrohende Formen an. Umweltgruppen sind polizeilicher Willkür ausgesetzt.

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Ein Leser der reformorientierten Literaturzeitschrift „Literarny Tyzdennik“ war erbost: ein Kommentator des CSSR-Ferosehens hatte einen Atomreaktor mit einer brennenden Pfeife verglichen. Der sowjetische Dokumentarfilm „Die Glocke von Tschernobyl“ wurde im CSSR-Fernsehen derart verstümmelt wiedergegeben, „daß die Autoren ihr Werk sicher nicht mehr wiedererkannt hätten“, höhnte der Leser, der das Original im sowjetischen TV gesehen hatte.

Alle Aspekte, die auf Schlamperei und Dilettantismus als Ursache des Desasters hinwiesen, waren fein säuberlich herausgeschnitten worden. Die Zensurbehörden wußten, was Tschechen und Slowaken zu „voreiligen“ Schlüssen animieren könnte.

Die Tschechoslowakei ist nämlich auf dem Weg zum Atomstaat: acht Reaktoren sind in Betrieb, acht in Bau und weitere 20 befinden sich im Planungsstadium. Angeblich will man so der furchtbaren Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke einen Riegel vorschieben.

Aber die Lage ist bei weitem nicht so rosig, wie sie in der offiziellen Sprachregelung dargestellt wird. Schon treten Komplikationen auf. So hat man beim slowakischen Atomkraftwerk Mochovce, das 150 Kilometer von Wien errichtet wird und nächstes Jahr in Betrieb gehen soll, Bedenken. Das Gebäude sackt ab. Der Untergrund hält der Belastung nicht stand. Westliche Fachleute erstellten ein Gutachten und forderten sofortigen Baustop. Aber es wird weitergebaut - das Gutachten verstaubt in einer Schublade eines Preßburger Ministeriums.

Vergangenen Februar ließ die Prager Akademie der Wissenschaften in einem Bericht zur Lage der Umwelt verlauten, daß das Problem der Entschwefelung mit dem Bau von Atomkraftwerken nicht umgangen werden könne. Damit würde man sich bloß andere ökonomische und ökologische Verluste einhandeln. Die vernünftigste Lösungwäre die Installation von Filteranlagen, aber dafür hat man in der CSSR kein Geld

3,5 Millionen Tonnen Schwefeldioxyd gehen jährlich bei unserem Nachbarn auf Wald und Wiesen nieder. Nordböhmen ist dabei nicht das einzige Sorgenkind. Im nahe bei Wien gelegenen Preßburg müßte an ungefähr 130 Tagen im Jahr Smogalarm gegeben werden. Die Rußkonzentration hat an manchen Tagen schon um 2.000 Prozent die zugelassene Norm überschritten. Eine Schließung aller gesundheitsschädigenden Betriebe in Preßburg würde aber für die CSSR eine wirtschaftliche Katastrophe bedeuten.

Der Chemiekonzern Dimitrow läßt jährlich acht Millionen hundertprozentige Schwefelsäure direkt in die Donaufließen. Dazu kommen noch die Abwässer der 150.000 Einwohner der Preßburger Satelliten Petrzalka. Das bedeutet, daß sich das Staubecken von Gabcikovo bald mit allerhand übelriechenden Giften füllen wird Kein Wunder, daß den Magyaren davor graut.

Die frei fließende Donau konnte noch auf natürliche Weise mit dem “ Unrat fertig werden - jetzt müssen Kläranlagen her. Aber darauf wird man noch warten müssen. Gabcikovo prophezeite die Akademie der Wissenschaften übrigens auch eine kurze Lebensdauer. Das äußerst flache Staubecken würde sich binnen der nächsten drei bis vier Jahre mit Schlamm füllen. Vorerst will man diesen ausbaggern. Niemand weiß aber, wohin damit. Als Dünger ist er völlig ungeeignet.

Dem „Aufbau des Sozialismus“ müssen offenbar Opfer gebracht werden. In Nordböhmen, dem Freilichtmuseum fürs Waldsterben, ist nun auch die Erde dabei, endgültig „umzukippen“. Nichts will mehr gedeihen. Die Böden werden immer saurer. Die Pflanzen könnte man genausogut in ein Essigbad legen.

Die Negativerzählung ließe sich beliebigfortsetzen. Trotz der politischen Eiszeit formieren sich aber auch auf dem Gebiet des Umweltschutzes Bürgerinitiativen mit regimekritischen Aktivitäten.

Mit dem Motto „Der Brontosaurus hat nicht überlebt, machen wir alles, daß wir überleben!“ arbeitet der Verein „Brontosaurus“ seit Beginn der siebziger Jahre gegen Bauvorhaben in Naturschutzgebieten. Obwohl eine Gründung des offiziellen sozialistischen Jugendbundes, setzte und setzt der Verein viele nonkonforme Aktionen und agiert ziemlich unabhängig. Er ist auch gegen Gabcikovo aufgetreten.

Der „Baum des Lebens“ ist die slowakische Version von „Brontosaurus“. Allerdings wagen sich nur Basisgruppen an „problematische“ Sachen heran. Die Vereinsleitung ist regimekonform.

Beschränkt sind auch die Aktivitäten des „Tschechischen Bundes der Naturschützer“, der von regimekonformen Funktionären geleitet wird. In Prag wird allerdings die ausgezeichnete Umweltzeitschrift „Nika“ herausgegeben, die regelmäßig Umweltskandale aufzeigt und auch den Bau von Atomkraftwerken kritisiert.

Der „Slowakische Bund der Natur- und Umweltschützer“ verfolgt, da die Funktionäre von der Basis ausgewählt werden, viele regimekritische Aktivitäten. Als die ungarische Regierung den Baustop für Nagymaros verkündete, sandte der Verein ein Glückwunschtelegramm an Budapest.

Praktisch stehen die Aktivitäten aller Umweltgruppen in der CSSR unter Polizeikontrolle. Durchsuchungen der Vereinsräume, Abhören der Telefone der Führungsmitglieder, aber auch Festnahmen- wie erst vergangene Woche aus Prag bekanntgeworden - gehören zur Alltagspraxis.

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