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Molltöne an der Moldau

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Trotz der üblichen grellen Propagandafanfaren herrschen beim 16. Parteitag der tschechoslowakischen Kommunisten, der Montag in Prag eröffnet wurde, die Molltöne vor. Als Devise gilt: Das Erreichte bewahren!

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Trotz der üblichen grellen Propagandafanfaren herrschen beim 16. Parteitag der tschechoslowakischen Kommunisten, der Montag in Prag eröffnet wurde, die Molltöne vor. Als Devise gilt: Das Erreichte bewahren!

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Natürlich knallen - wie bei jedem Parteitag - auch diesmal die roten Transparente mit ihrer weißen Schrift die „Losungen“ ins Prager Stadtbild. Aber selbst hier geht’s leiser zu als in vergangenen Jahren. Nur 30 solcher Schlagworte sind diesmal von der vorbereitenden Parteitagskommission verabschiedet worden, von denen sich immerhin sechs mit der Wirtschaftslage befassen.

Eines von ihnen ist besonders typisch: „Qualität, Effizienz und Sparsamkeit!" Kein einziges Mal ist von einer „Übererfüllung des Planes“ die Rede, wozu sonst immer angespornt wurde.

Kein Wunder - denn es ist beileibe nicht so, wie es offiziell etwas verschämt heißt, daß nämlich der 6. Fünfjahresplan (von 1976 - 80) „in einigen Indikatoren“ nicht erfüllt werden konnte; vielmehr ist wirtschaftlich so ziemlich alles unter der 1976 recht hoch gelegten ökonomischen Latte geblieben.

Gedämpfter Optimismus

Das Nationaleinkommen sollte laut Plan um 27 bis 29 Prozent steigen, tatsächlich wuchs es nur um 20 Prozent in den vergangenen fünf Jahren an.

Der neue Fünfjahresplan, dessen Verabschiedung eigentlich die wichtigste Aufgabe des Parteitages sein wird, gibt sich in diesem Bereich schon sehr bescheiden: Er sieht nur noch eine Steigerung des Nationaleinkommens um 14-16 Prozent vor. (Laut dem bereits im Februar im Parteiorgan „Rude pravo“ veröffentlichten Entwurf).

Auch im Detail ist, wohin man blickt, der alte Fünfjahresplan wesentlich unter seinen Zielen stecken geblieben.

Am Chemiesektor ist es noch am besten gelaufen. Statt der geplanten 36 - 39 Prozent erreichte man immerhin in den vergangenen Fünf Jahren 30 Prozent Produktionszuwachs. Wie gedämpft der Wirtschaftsoptimismus der Prager Planer vor diesem Parteitag allerdings ist, zeigt sich an der Planziffer Für die Chemieindustrie 1981 -1985: Es wird nur eine Steigerung von rund zwei Prozent jährlich anvisiert.

Überhaupt läßt sich eindeutig analysieren, daß der neue Fünfjahresplan weniger konkrete Planziffern enthält als früher und sie deutlich niedriger ansetzt. v

Wie man damit einen „höheren Export“ - so steht’s im Plan - erreichen will, bleibt unbeantwortet und dürfte die Quadratur des Kreises sein.

Im Vergleich zu Polen, der Sowjetunion, Rumänien und auch Bulgarien hat die CSSR nach wie vor ein relativ hohes Konsumgüterniveau und eine funktionierende Versorgung mit Grundnahrungsmitteln. Der Mangel an Schuhen, Textilien, Glas, Farbfernsehern, Autos usw., der immer spürbarer wird (vieles muß in den Export gehen), wird insoferne etwas kompensiert, als immerhin die Lebensmittelversorgung relativ klaglos funktioniert.

Für einen größeren Kühlschrank oder einen etwas besseren Anzug muß der Tscheche einen Durchschnittslohn, Für einen schwarzweißen TV-Apparat acht und Für den billigsten Skoda über zwanzig Monatslöhne auf den Tisch legen.

Auch beim Wohnungsbau wird es zusehends düsterer. In den vergangenen

zwei Fünfjahresplänen prahlte das Regime noch mit seinen Erfolgen: 1976 — 1980 wurden etwa 640.000 Wohneinheiten errichtet. Die Wartezeit für eine Neubauwohnung beträgt dennoch durchschnittlichzehnJahreundesdürfte noch schlimmer werden. Denn: Im neuen Fünfjahresplan ist nur noch die Errichtung von 550.000 Wohneinheiten vorgesehen, also um 90.000 weniger.

Das schwerwiegendste Problem in den kommenden Jahren in der CSSR - und es wird voll auf den Konsumenten durchschlagen - ist aber nicht das langsamer wachsende Nationaleinkommen, die sich verschärfenden Engpässe in der Versorgung, sondern die zu erwartende gewaltige Energieverteuerung.

Die Sowjetunion ist nicht bereit, ihre Erdöl- und Erdgaslieferungen Für die CSSR wesentlich zu steigern, es sei denn Für West-Valuten.

Die Verteuerung der Energie wird die inoffizielle Inflation (derzeit etwa geschätzte 5 bis 7 Prozent) dramatisch an- heizeit. 1980 kaufte die CSSR ein Barrel sowjetisches Rohöl zu 80,45 Kronen oder 10,05 Rubel nach der offiziellen Umrechnung. Für die 18,800.000 Tonnen Rohöl, die 1981 von der CSSR aus der Sowjetunion importiert werden müssen, muß Prag 112,70 Kronen oder 14,08 Rubel pro Barrel berappen.

Politisch ist vom Parteitag in Prag, der diese Woche abgeschlossen wird, nicht viel an Bewegung zu erwarten:

Die Führungsspitze feiert anläßlich ihrer großen Show ihr lOjähriges Jubiläum, sie ist - nach dem endgültigen Sturz Dubčeks im April 1969 - personell unverändert, sieht man davon ab, daß der verstorbene Staatspräsident Ludvik Svoboda ausgeschieden ist.

Totaler Immobilismus

Der immerhin schon 68jährige Gustav Husäk ist fest im Sattel, Moskau an keinen Veränderungen in der Parteispitze interessiert. Diese ist feinnervig und penibel austariert - die „Dogmatiker“ wie Bilak, Indra, Hoffmann und Sagovic und der mehr liberal-technokratische Flügel um Premier Lubomir Strougal halten sich die Waage.

Die Stabilität der Prager Führung - und das entspricht dem Moskauer Vorbild - ist gleichzeitig auch ihr Handikap: Es herrscht totaler Immobilis- mus.

Die Untergrundopposition - die Bürgerrechtsbewegung „Charta 77" - lebt zwar noch, ist aber personell dezimiert worden und hat viel von ihrer Schlagkraft und Beweglichkeit eingebüßt.

Dafiir hat sich in den letzten Monaten eine relativ potente und mutige religiöse Untergrundkirche (vor allem in der Slowakei) herausgebildet, die momentan dem Prager Sicherheitsdienst mehr aufzulösen gibt als die ganze „Charta 77“. Die Repression ist dementsprechend umfassend und hart.

Aber sowohl die „Charta“ - sie hat sich zuletzt im Jänner 1981 gerührt - als auch die „Untergrundkirche“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der „kleine Mann“ in der CSSR in seiner Masse in politische Abstinenz verfallen und in „innere Emigration“ gegangen ist!

Der „Schwejk von heute“ murrt und raunzt zwar wie eh und je in den bis zum Bersten gefiillten Bierstuben; aber im übrigen überläßt er die Sorgen ums Morgen „denen da oben“, die ihn ja bisher auch nicht gefragt haben ...

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