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Gift kennt keine Grenze

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Seit Jahren opfert die ČSSR ihre Wälder dem Wirtschaftswachstum. Heute gleicht das Erzgebirge einer Mondlandschaft. Und der „Eiserne Vorhang” hindert Giftschwaden nicht am illegalen Grenzübertritt. Hauptbetroffene sind Österreichs und Bayerns Wälder.

Die prachtvollen Wälder Böhmens, im Riesengebirge, im Erzgebirge, sterben, sind kaum mehr zu retten. Denn die Tschechoslowakei hat ihr Plansoll im Bereich Umweltschäden mehr als nur erfüllt: Sie ist heute die absolute Nummer eins unter allen Luft- und Wasserverpestern Europas.

Auf jeden ihrer Bewohner kommen pro Jahr 727 Kilo Industriestaub und 206 Kilo Schwefeldioxid (SO*). Zwar gilt das Ausmaß an Umweltschäden als Staatsge-

heimnis, und den Zeitungen ist es verboten, Informationen über sauren Regen und bronzefarbene Gaswolken zu veröffentlichen. Dennoch läßt sich das wahre Ausmaß der Katastrophe nicht mehr vertuschen.

Aber selbst die mit einem Maulkorb versehenen CSSR-Medien konnten nicht mehr verheimlichen, daß „drei Millionen Bewohner Nordböhmens in gefährlich ungesunder Luft leben”. Sie berichteten sogar, daß die Gasemissionen über der CSSR 1980 bereits 3,2 Millionen Tonnen erreichten. Heute qualmt nahezu ebensoviel SO* aus tschechischen Schornsteinen in den Himmel wie in der wirtschaftlich unvergleichlich potenterenBundesrepublik

Deutschland. Weitere Zahlen aus der Umwelt-Grusel-Statistik der CSSR:

• 7000 Flußkilometer, ungefähr 28 Prozent aller größeren Wasserläufe, weisen den Verunrieini- gungsgrad III oder IV auf. In solch verschmutzten Gewässern ist der lebenswichtige Sauerstoff gering oder überhaupt nicht mehr vorhanden. Und wenn es darin überhaupt noch Fische gibt, so sind sie für den Menschen ungenießbar.

• 700.000 Hektar Wald, ein Drittel aller Forstflächen in der CSSR, sollen abgestorben oder unwiederbringlich geschädigt sein.

• 1,24 Millionen Hektar landwirtschaftlichen Bodens sollen einen gefährlichen Grad an Verseuchung aufweisen.

Die Bürgerrechtsbewegung „Charta 77” (siehe nebenstehender Kasten) widmet ihr neuestes Dokument denn auch fast ausschließlich der „ökologischen Katastrophe in der CSSR”.

Laut diesem „Charta”-Doku- ment ist die Gesundheitsgefährdung in der CSSR schon alarmierend. Der Prozentsatz von Fehlgeburten und deformiert geborenen Kindern steige ständig, das Knochenwachstum der Kinder verzögere sich um zwölf Monate, die sonst seltenen Fälle von offenem Hautkrebs und Augenkrebs würden gehäuft auftreten. Chronische Infektionen der Atemwege bei Kindern werden auch offiziell zugegeben.

Am allerschlimmsten — so die

Noch zu retten?

„Charta 77” — zeige sich das Geringschätzen der Umwelt im nordböhmischen Raum zwischen Usti und Chomutov, wo sich der Grundstock der tschechoslowakischen Industrie, ein 80 mal 20 Kilometer großes Braunkohlerevier, befindet, in dem vier Fünftel der heimischen Produktion gefördert und zwei Fünftel des Stromes der CSSR erzeugt werden.

Ernst Bobek vom Bundesministerium für Umweltschutz vergleicht weite Flächen des Erzgebirges mit einer Mondlandschaft, bedeckt mit Kohlestaub. Den Horizont prägten Schlote und Kühltürme von Wärmekraftwerken. Auf großen Flächen stünden nur mehr entlaubte Baumruinen, die als Schadholz gefällt und exportiert werden müßten.

Dieser ökologische Holokaust ist Ergebnis einer jahrzehntelangen Entwicklung, in der die CSSR ihre Industrie ohne jede Rücksicht auf Natur und Umwelt auf Wachstum trimmte, obwohl schon 1967 ein Gesetz zur Reinhaltung der Luft und 1977 zum Schutz der Wälder erlassen wurde.

Da es der CSSR an umweltfreundlichen Energiequellen mangelt, muß sie weiterhin die suspekte, weil schwefelreiche Braunkohle in ihren Wärmekraftwerken verfeuern. Diesen fehlen aber sogar, so Bobek, „die primitivsten Filteranlagen”.

Heute produzieren diese Anlagen Rekordwerte an grenzüber-

(Karikatur Candea/Rheinische Post)

schreitender Luftverschmutzung.

Werner Schnappauf, Pressesprecher des Bayrischen Umweltschutzministeriums, beziffert die giftige Luftfracht aus der CSSR nach Deutschland mit 180.000 Tonnen Schwefeldioxid jährlich. Obwohl die Hauptwindrichtung von West nach Ost verläuft, importiert Deutschland mehr, als es selbst aus „sauren” Wolken auf CSSR-Gebiet niederrieseln läßt.

In Österreich präsentiert sich die Situation mit nur geringen Unterschieden. Österreich gibt im Jahr etwa 440.000 Tonnen SO* in die Atmosphäre ab, davon werden etwa 125.000 Tonnen im Land selbst abgelagert. Die Gesamtbelastung mit SOä-Ablagerungen aber beträgt 790.000 Tonnen.

„Je Kopf der Bevölkerung gerechnet”, so Oberrat Bobek vom Umweltministerium, „ist die CSSR der Schadstoffimporteur Nummer eins nach Österreich.”

Mit Österreich gibt es im Rahmen der „Konvention über weiträumige grenzüberschreitende Umweltverschmutzung” ein Abkommen, in dem sich die CSSR bereit erklärt, die Luftverschmutzung binnen zehn Jahren um ein Drittel abzusenken. Allein diese Absichtserklärung wertet Bobek schon als Fortschritt: „Wenn schon nicht aus Liebe zur Natur, so doch unter wirtschaftlichem Zwang werden sie etwas gegen das Waldsterben unternehmen müssen.”

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