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Polens Wälder: „Wie eine asiatische Wüste . .

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Lange, allzu lange sind im kommunistischen Osteuropa Probleme des Umweltschutzes unter den Teppich gekehrt worden. Mit fortschreitender Zerstörung der Natur erwachen aber auch in den roten Landen die „Grünen”, zum Beispiel im Land an der Weichsel.

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Lange, allzu lange sind im kommunistischen Osteuropa Probleme des Umweltschutzes unter den Teppich gekehrt worden. Mit fortschreitender Zerstörung der Natur erwachen aber auch in den roten Landen die „Grünen”, zum Beispiel im Land an der Weichsel.

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Wir atmen vergiftete Luft, wir haben vergiftete Flüsse und Seen, wir leben im Lärm, die Grünflächen verschwinden, die Müll- und Abfallhalden wachsen.” So die Warschauer Zeitung „Express Wieczorny”. So allgemein klagend und wenig faktenreich hatte schon bisher die Regimepresse in Polen gelegentlich über die Umweltproblematik schreiben dürfen.

Viel ernster, klarer und konkreter hat sich nun die illegal und im Untergrund erscheinende Zweiwochenschrift KOS, herausgegeben in Warschau von einem „Komitee für sozialen Widerstand”, mit der Bedrohung der natürlichen Umwelt in Polen befaßt.

Einleitend heißt es in dem Bericht der „Grünen” im Land an der Weichsel: „Die meisten von uns wissen, daß die Lage schlecht ist, aber nur wenige wissen, wie schlecht sie tatsächlich ist und was die Ursachen dafür sind.”

Konkret listet die Untergrundzeitschrift auf:

• Die landwirtschaftliche Anbaufläche in Polen ist seit 1946 um 0,50 Hektar pro Kopf zurückgegangen, die Bodenqualität nimmt infolge der Luftverschmutzung, insbesondere des „sauren Regens” laufend ab. Und wörtlich: „Wenn die gegenwärtige Zunahme von Schwefeldioxyd in der Atmosphäre weiter anhält, wird die Fruchtbarkeit, d. h. die Bodenproduktivität, um rund die Hälfte zurückgehen!

Was das in einem Land wie Polen mit seinen permanenten Versorgungsschwierigkeiten bedeutet, ist leicht vorstellbar - nämlich auch eine Verschärfung der sozialen und wirtschaftlichen Lage.

• DieVerseuchungderGewässer ist laut den polnischen „Grünen” in „regelmäßiger Zunahme” begriffen.

Wörtlich: „Das Volumen der ungereinigten Abwässer, die den Seen und Flüssen unseres Landes zugeführt werden, nimmt zu. Gleichzeitig werden die Grundwasserreserven überbeansprucht, sodaß eine landesweite Trinkwasservergiftung droht. 1967 gehörten noch 31,7 Prozent der fließenden Gewässer offiziell zur Kategorie I (Trinkwasser qualität), 1977 waren es nur noch 10,1 Prozent.”

Nach einer Schätzung von polnischen Wissenschaftlern, die noch nicht öffentlich publiziert wurde, auf die sich aber die Untergrundzeitschrift KOS beruft, sind heute schon 33 Prozent der fließenden Gewässer in Polen nicht einmal für Bewässerungszwecke zu verwenden, weil sie der schlechtesten Kategorie zugerechnet werden müssen. # Was die Luftverschmutzung angeht, so behaupten die Autoren von KOS, habe Polen den „europäischen Rekord” erreicht — vor allem im Kohlenrevier in Oberschlesien. Denn „die Energieversorgung basiert auf Brennstoffen mit starkem Gehalt an Schwefel, den man praktisch ungehindert in die Luft läßt.

Die — auch gesundheitlichen Folgen müßten eigentlich die roten Warnlichter in Warschau aufleuchten lassen. In der Woiwodschaft Kattowitz, dem „industriellen Herz” Polens, hat die Bevölkerung um 15 Prozent mehr Kreislaufbeschwerden, um 3o Prozent mehr Tumore und um 47 Prozent mehr Erkrankungen der Atemwege aufzuweisen als in anderen Landesteilen.

In einem Lagebericht des Polnischen Ökologischen Klubs (er wurde 1980 gegründet) wird unter anderem festgestellt, daß in den Gemüsegärten der Arbeitersiedlungen — dicht bei den Fabriken und Bergwerken der Provinz Kattowitz - der Bleigehalt des Bodens zwischen 42 und 8.890 Milligramm ausmacht — die amtliche Höchstgrenze liegt bei 2o Milligramm.

Vergiftung hängt auch der Zusammenbruch der Wasserversorgung wie ein Menetekel über der Provinz Kattowitz und auch Krakau.

Im Sommer 84 berichtete die Zeitung „Zycie Warszawy” von einem katastrophalen Wassermangel in Krakau - unter anderem auch deswegen, „weil das Flußwasser zu viel Salz aus dem oberschlesischen Industriegebiet mit sich führt”.

Die Untergrundzeitschrift KOS deckt auf, warum: „Die Bergwerke in der Provinz pumpen ständig salziges Grubenwasser in die Flüsse, wodurch nicht nur der Grundwasserspiegel sinkt und der Ackerboden austrocknet, sondern das versalzt auch den Boden und führt Bodensenkungen herbei. Das hat dazu geführt, daß in der Provinz zwischen 1975 und 1981 rund 300.000 Wohnungen zerstört wurden.”

Das Waldsterben ist natürlich ein auch in Polen bekanntes Phänomen. Weil es auch in der Regimepresse relativ ausführlich behandelt wird, kommt es in dem Untergrunddokument der polnischen „Grünen” kaum vor. Da gibt es schon - auch bei den Offiziellen - genug Problembewußtsein.

Wie die Zeitung „Zycie Warszawy” geschrieben hat, wird es „in zwanzig Jahren, wenn die Luftverschmutzung weiter anhält, keinen Nadelwald mehr in Polen geben.”

In der Wochenzeitung „Kato-lik”: „Das Ausmaß der Katastrophe übersteigt alle Erwartungen. In der Umgebung der chemischen Werke von Police ist - beispielsweise — die ganze Natur abgestorben. Der einstmals üppige Wald mit zahlreichen Beständen geschützter Tiere, etwa dem Elch und dem Seeadler, hat sich in raschem Tempo in eine asiatische Wüste verwandelt.”

Zu Beginn der 70er Jahre war der Wald bei Police noch so gut wie intakt, lediglich 72 Hektar schienen „leichte Schäden” aufzuweisen.

Die riesigen Wälder von Olkusz und Chrzanow (nördlich und westlich von Krakau) sind - laut „Katolik” - „eigentlich nur noch ein Todesstreifen”.

Während der „Katolik”, herausgegeben von der regimetreuen „Pax”-Bewegung, keine Systemkritik zu üben wagt, aber immerhin von „Raubwirtschaft” und „Plünderung” spricht, nehmen sich die Autoren in der Untergrundzeitschrift KOS kein Blatt vor den Mund. Sie sagen klipp und klar, wen und was sie für die Umweltkatastrophe in Polen verantwortlich halten:

„Die bis 1986 vorgesehenen Maßnahmen der Regierung sind angesichts der jahrelangen Vernachlässigung lächerlich klein. Wir müssen uns auf eine Verschlechterung der Umwelt- und Gesundheitsbedingungen gefaßt machen. Zu vermeiden sind sie nur durch grundlegende politische Veränderungen, welche die Gesellschaft zu motivieren vermöchten.”

Und: „Der Zustand unserer Umwelt ist nicht einfach eine traurige, aber unausweichliche Konsequenz des wirtschaftlichen Fortschritts, sondern hängt vielmehr direkt mit dem polnischen Regierungssystem zusammen, ja ist in größerem Ausmaß sein Ergebnis.”

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