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Das Gleichgewicht ist wiederhergestellt

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Die Bundesanstalt für Wasserbiologie und Abwässerforschung schlug vor, die Abwässer der Stadt Zell nicht mehr in den See, sondern in den Abfluß zur Salzach zu leiten. Damit war das Problem gelöst — die biologische Selbstreinigung stellte das gesunde Gleichgewicht des Lebens im See bald wieder her.

Unter biologischer Selbstreinigung verstehen die Fachleute die Fähigkeit jedes natürlichen Gewässers, Verunreinigungen pflanzlicher oder tierischer Herkunft selbst abzubauen. Sie funktioniert um so besser, je vielfältiger das Leben im See oder Fluß ist.

Gewinnen aber jene Bakterien, die in eimem organisch verschmutzten Gewässer besonders gut gedeihen, die Überhand, dann geht der Sauerstoff gehalt des Wassers so zurück, daß kein Fisch mehr darin existieren kann. Anderseits erzeugen die Pflanzen, zum Beispiel Algen, durch Assimilation Sauerstoff — aber nur bei Licht Ergebnis: Der Sauerstoff-gehalt steigt bei Tag und sinkt in der Nacht. Damit ist die Tatsache erklärt, daß das große Fischsterben sehr oft zwischen zwei und drei Uhr morgens beginnt. Der Erstickungstod überrascht die Fische im Schlaf.

Das große Fischsterben

Eines Tages treiben hunderte Welse, Grundein, Hechte und Weißfische mit weit aufgerissenen Mäu-lem tot die March hinunter. Sie sind in den Abwässern von Zuckerfabriken erstickt.

Dann wiederum sterben eines Tages in der Aschach auf einer langen Strecke alle Forellen, Hechte, Weißfische. Abwässer einer Fabrik haben ihnen bei niedrigem Wasserstand den Garaus gemacht.

Kurze Zeit später eine neue Meldung. Diesmal sind in der Perschling oberhalb von Tulln tausende Fische den Abwässern einer Schweinemastanstalt zum Opfer gefallen.

Ein Schwall Abwässer aus einer oberösterreichischen Lederfabrik; Fazit: 25.000 tote Fische treiben die „dürre Aschach“ flußab.

Ein technisches Gebrechen in den Kläranlagen einer Lederfabrik in der Nähe von Stadlau; Ergebnis: 60.000 tote Fische im „Mühlwasser“.

Das Benediktinerstift Lambach und einige andere Interessenten wollten sich eines Tages nicht mehr so ohne weiteres damit abfinden, daß ihre Fischerei-Erträge durch industrielle Abwässer immer mehr zurückgehen und die Fische auch längst nicht mehr so schmecken, wie sie sollen. Sie führten Prozeß gegen zwei Werke der Zellwolle-umd Zellstoffindustrie. Ergebnis der Vergleichsverhandlungen: 11.000 S pro Jahr.

Fischsterben im Mödlingbach. Fischsterben bei Ried im Innkreis. Fischsterben in der Großen Gusen.

Fisohsterben, weil ein Bauer in Radingdorf 50 m3 Jauche in den Bach pumpt. Fischsterben, weil zwei Arbeiter 16001 Kupferbeize einfach in die Piesting leiten, die daraufhin auf einer Strecke von 30 km vergiftet wird. Fiichsterben, weil ein Wolkenbruch Teerprodukte von einer frisch eingelassenen Straße in den Reiterbach schwemmt. 150.000 Zuchtforellen gehen ein.

Jahr für Jahr solche Meldungen. Nicht nur in Österreich. Auf der ganzen Welt alarmieren Fachleute die Öffentlichkeit. Denn die zahlreichen Pischsterben sind ein Zeichen dafür, daß die Sauberkeit des Lebenselementes Wasser heute auf der ganzen Linie gefährdet ist.

Das Gebäude ist längst zu klein

In Österreich wurde bald nach dem Krieg die Bundesanstalt für Wasserbiologie und Abwässerforschung geschaffen, die mit 31 Mann Personal und zwei Fahrzeugen ausgerüstet ist und in ganz Österreich für die Reinerhaltung der Gewässer zu sorgen hat. Das Gebäude an der Alten Donau ist ihr längst zu klein geworden, mit der Errichtung eines Neubaues wurde bereits begonnen, einstweilen sind Abteilungen in der Hochschule für Bodenkultur und bei anderen Gastgebern untergebracht.

Trotz schwieriger Arbeitsbedingungen hat die Bundesanstalt bereits einen internationalen Namen. Ihr Leiter, Diplomingenieur Professor Dr. Reinhard Liepolt, hat — um nur ein Beispiel zu nennen — ein neues Verfahren zum Auslaugen der Rüben in den Zuckerfabriken empfohlen. Die Erfindung vermindert die Verschmutzung der Flüsse, in die die Abwässer der Zuckerfabriken geleitet werden, und wird auch im Ausland bereits angewendet. Die Abwässer der Zuckerfabriken sind ja ein ganz besonderes Problem des Gewässerschutzes. Sie sind unerhört nährstoffreich und ermöglichen eine geradezu explosive Vermehrung der unerwünschten Bakterien, so daß in der Zeit der jährlichen Zuckerrübenkampagne Fischsterben in der March einstmals an der Tagesordnung waren.

Ein anderes Sorgenkind der österreichischen Wasserbiologen ist seit dem Krieg die Mur. Damals wurden zahlreiche Industrien in die Steiermark verlegt. Die Mur ist heute Österreichs schmutzigster Fluß, auf weite Strecken führt sie praktisch nur Wasser der Güteklasse 3.

Unter Wasser der Güteklasse 1 verstehen die Fachleute Wasser der besten Qualität, ohne organische Verunreinigungen: Quellwasser. Die meisten österreichischen Gewässer können zum Glück auch -heute noch in die zweite Güteklasse eingereiht werden: mäßig verunreinigte Fischgewässer, in denen die Zufuhr organischer Abfallstoffe die Fähigkeit des Gewässers zur Selbstreinigung noch nicht übersteigt. Beispiele: die obere Thaya, die Donau zwischen Jochenstein und Linz.

Wer Wasser der Güteklasse 3 sehen will („stark organisch verschmutzt“), braucht nur an die Donau unterhalb von Wien zu fahren. Wasser dieser Güteklasse ist weder Menschen noch Fischen zuträglich, es eignet sich nicht mehr zum Baden, das Fischleben ist bereits beeinträchtigt. Im Wasser der Güteklasse 4 („außerordentlich stark organisch verschmutzt“) kann normalerweise kein Fisch mehr existieren. Das Leben im solchen Gewässern ist auf wenige Arten beschränkt — entsprechend lange dauert der Abbau der Verunreinigungen.

Die vier Güteklassen beziehen sich allerdings nur auf die organischen Verunreinigungen. Mit ohemischen Verunreinigungen oder mit dem bakteriellen Befund hat diese Einteilung nichts zu tun. Sauber scheinendes Wasser kann vergiftet oder verseucht sein. Es kann zum Beispiel

Zyankali von einer Abraumhalde enthalten.

Wasser mit Teergeschmack

Da geht eines morgens in der Umgebung von Hallein ein Bauer zum Brunnen, um zu trinken. Er drückt den Pumpenschwengel ein paarmal auf und nieder. Nimmt einen Schluck Wasser — und spuckt es voll Abscheu sofort wieder aus. Es hat einen abscheulichen Beigeschmack von Teer.

Der Bauer denkt an alle möglichen Ursachen, zerbricht sich vergeblich den Kopf und meldet den Vorfall schließlich an die Behörde. Fachleute kommen im Kombiwagen angefahren, nehmen Proben — das Wasser enthält Phenol, ein gefährliches Gift. Der Brunnen wird sofort gesperrt, doch es dauert Tage, ehe es gelingt, das Rätsel zu lösen.

Kilometerweit vom Anwesen des Bauern entfernt gibt es eine Kunststoff-Fabrik. Sie erzeugt Radiokassetten, Steckdosen und ähnliches. Da kein Fluß in der Nähe ist, in den man die phenolhaltigen Abwässer einleiten könnte, läßt man sie einfach in einer stillgelegten Schottergrube versickern. Es hat lange gedauert, bis sich das giftige Wasser mit dem Grundwasser vermischt und auf Kilometer hin verbreitet hat — eines Tages macht sich die Katastrophe dann urplötzlich bemerkbar. Eines Tages, wenn es zu spät ist, denn es wird Jahre dauern, bis der Brunnen des Bauern wieder benützt werden kann.

Ein anderer Vorfall hat den Be-hütern der öffentlichen Gesundheit wesentlich mehr Schrecken eingejagt. Es ist schon eine Anzahl von Jahren her, da trat plötzlich in der Umgebung von Ranshofen und Braunau ein rätselhaftes Fischsterben auf. Man erinnerte sich an ein großes, Jahre zurückliegendes ähnliches Sterben in der Enknach — damals waren dort fast alle Zuchtforellen einer Zyanvergiftung zum Opfer gefallen, niemand aber wußte, wie das Gift in den Fluß geraten war. Diesmal wurde Zyankali nebst anderen chemischen Verbindungen in den Hausbrunnen festgestellt. Die Brunnen konnten gerade noch versiegelt werden, bevor Menschenleben zu beklagen waren.

Die Herkunft des Zyankali wurde mit kriminalistischem Spürsinn geklärt. Der Regen hatte das Gift aus den Schlacken eines Aluminiumwerkes herausgewaschen und in den Boden geschwemmt. Die Halden wurden mit bedeutenden Kosten saniert, die Brunnen freilich blieben längere Zeit stillgelegt. Denn was einmal in das Grundwasser geraten ist, kann nicht von heute auf morgen wieder daraus entfernt werden.

Eine gefährliche Illusion

Epidemie in einer Werkssdedlung. 30 Personen im Krankenstand. Die Ursache wird erst entdeckt, nachdem man sich entschlossen hat, das Wasserreservoir der Siedlung zu entleeren. Es enthält — faulende Fleischklumpen und andere Abfälle aus einer nahegelegenen Schlächterei.

In bestimmten kleinen Gemeinden in Österreich registriert man das seltsame Phänomen, daß sich die Einheimischen ihr Leben lang pudelwohl fühlen, während Fremde, beispielsweise Urlaubsgäste, prompt über Übelkeit und sonstige Beschwerden klagen. In diesen Gemeinden liegen die Brunnen einfach zu nahe bei den Misthaufen oder Jauchegruben; Bakterien und andere Verunreinigungen können in das Trinkwasser geraten. Die Einheimischen gewöhnen sich schon als Kinder an die Dauerinfektion und sind davon überzeugt, daß sie ihnen nicht schadet. Eine gefährliche Illusion. Vor Jahren referierte ein prominenter österreichischer Arzt über eine bestimmte Form der Blausucht, die nur Kinder erfaßt und vom Wasser aus solchen verseuchten Brunnen herrührt.

Aufgaben über Aufgaben. Die Überwachung der österreichischen Gewässer wird verstärkt werden, sobald das neue Gebäude fertig ist, wenn es möglich ist, mehr Personal unterzubringen und mehr Proben zu untersuchen.

Das Ziel, das die Wasserbiologen anstreben, heißt: Nur Wasser der Güteklassen 1 und 2 in unseren Flüssen, Bächen und Seen! Dieses Ziel zu erreichen, ist lediglich eine Geldfrage. Es hängt nur davon ab, ob es gelingt, die Industrie zum Bau entsprechend leistungsfähiger — und eben auch kostspieliger — Kläranlagen zu veranlassen. Noch günstiger wären Verfahren, die die Menge der verschmutzten Abwässer verringern.

Und unserer Meinung nach auch davon, ob man sich entschließt, unpopuläre Maßnahmen auch dann durchzuführen, wenn die Betroffenen gute Beziehungen spielen lassen.

Eine solche „unpopuläre“ Maßnahme wären entsprechende Geldstrafen für Gewässerverschmutzung — man könnte sie auch „Gebühren“ nennen. Sie müßten aber so bemessen sein, daß Kläranlagen die Betriebe billiger zu stehen kämen.

Heute ist es nach wie vor vielfach umgekehrt.

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