7092028-1994_32_14.jpg
Digital In Arbeit

Siegeszug trotz lerbolen

19451960198020002020

Die Tradition der Badelust geht bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück, wurde aber oft von Verboten begleitet.

19451960198020002020

Die Tradition der Badelust geht bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück, wurde aber oft von Verboten begleitet.

Werbung
Werbung
Werbung

Baden und „das Strandleben genießen“ zählt für viele Österreicher immer noch zu den liebsten Urlaubsbeschäftigungen. Doch insgesamt nimmt der Trend zum reinen Badeurlaub ab - so aus einer jüngst veröffentlichten Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts für angewandte Sportpsychologie und Freizeitpädagogik. Trotz dieser Wellenbewegung in der Beliebtheitsskala der bevorzugten Freizeitsportarten dürfte die „Lust am Wasser“ bei weiten Kreisen der Bevölkerung nicht so rasch verschwinden. Schon gar nicht, wenn sommerliche Hitzeperioden den Aufenthalt an und in kühlen Fluten erträglich scheinen lassen.

Immer noch dominiert das Schönheitsideal des sportlich-braunen Körpers, das sich am Beginn unseres Jahrhunderts mehr und mehr durchzusetzen begann. Auch Ozonloch und drohender Hautkrebs haben bisher nicht allzu viel daran geändert. Es sei denn, daß man heute wieder öfter Strohhüte am Strand sieht und auch sonst allerlei versucht, um trotz dieser Gefahren das Baden in Sonne und Wasser zu genießen und sich dabei eine - natürlich möglichst nahtlose - Bräune zu erwerben. Gebremst wird die Lust an diesen Vergnügungen allerdings da und dort dadurch, daß viele Freigewässer oft nicht mehr zum lustvollen Badegenuß einladen: sie sind so verschmutzt, daß behördliche Warnungen und Badeverbote vielerorts wieder gang und gäbe geworden sind.

Baden verboten beziehungsweise „Baaden verbotten“ hatte es - allerdings aus ganz anderen Gründen - in unseren Breiten vor allem im 17. und 18. Jahrhundert geheißen. Letzteren Befehl richtete die Niederösterreichische Regierung 1717 vor allem an die jungen Leute beiderlei Geschlechts, die das „aergerliche Baden in der Donau“ nicht aufgeben wollten, und kündigte den Übertretern an, sie mit hohen Strafen zu belegen. 1728 wurde sogar schon mit dem Zuchthaus gedroht. Die ersten Badeverbote hatte es jedoch bereits nahezu ein Jahrhundert früher gegeben. Der Historiker Ernst Gerhard Eder — er ist derzeit an der Universität Salzburg tätig - befaßt sich schon seit längerem mit der Kulturgeschichte des Schwimmens und sommerlichen Badens. Wie er berichtet, stammt der erste Beleg für neuzeitliche Badeverbote im Raum Wien schon aus dem Jahre 1633. Die Begründung dafür lag damals vor allem darin, daß das Baden an freien Gewässern gegen Zucht und Sitte verstoße und außerdem krankmachend und lebensbedrohend sei. Immerhin beherrschten die Leute, die da so unverschämt und von Verboten wenig beeindruckt zur Sommerszeit ihrer Lust am Wasser freien Lauf ließen, nur in seltenen Fällen das Schwimmen.

Befolgt wurden die Verbote trotz aller Strafandrohungen sicher nicht wie gewünscht. Sonst hätten sie nicht so häufig wiederholt werden müssen. Bis sich dann am Ende des 18. Jahrhunderts, nach gut 180 Jahren herrschaftlicher Unterdrückungsversuche, die „Kaltwasser- und Freiluftbadebedürfnisse“ der Bevölkerung, in der josephinischen Epoche, langsam auch in Österreich einen Umschwung anbahnten. In England hatte man schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Seebäder eingerichtet; so etwa 1736 in Brighton. Sie dienten ebenso wie die nun in vielen europäischen Hauptstädten entstehenden Flußbäder vor allem medizinischen Zwecken. So auch das Kaltbad, das der Wiener Arzt und Naturforscher Pascal Joseph Ferro 1781 in der Nähe des Augartens errichtete. Mittels Senkkästen wurden hier die Badegäste ins kalte Wasser getaucht, um sich abzuhärten.

Aus England beziehungsweise Frankreich kam dann im Vormärz mit einiger Verspätung ein neuer Trend auch nach Wien: Schwimmen wurde nun von fortschrittlichen Pädagogen als Teil einer „naturgemäßen, Körper und Geist in Harmonie entwickelnden Erziehung“ gesehen. So heißt es in der 1991 im Salzburger Residenz Verlag erschienenen Geschichte der Badekultur im 19. und 20. Jahrhundert. In ihrem Beitrag „Bäder für die Öffentlichkeit“ berichten darin Gottfried Pir- hofer, Ramon Reichert und Martina Wurzacher von den Schwimmschulen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in vielen europäischen Hauptstädten eingerichtet wurden. Im Wiener Prater entstand 1813 die „k.u.k. Militärschwimmschule“. 1817 eine entsprechende Anstalt an der Spree in Berlin. Das Schwimmenlernen, zunächst also eine von militärischen und nationalen Interessen bestimmte Sache, stand dann aber bald auch männlichen Zivilisten offen, die sich körperlich ertüchtigen wollten. Und Wien war es vorbehalten, 1831 mit einer europäischen Novität aufzuwarten, einer Damenschwimmschule, die „durchaus unter keinem Vorwande von Männern besuchet werden“ durfte.

„UNSITTLICHER TATBESTAND“

Die neuen Freibadeanstalten und Schwimmschulen, in denen die Badelust einem strengen Reglement unterlag, konnten aber die Lust am wilden Baden ohne Vorschrift und oft auch ohne Textilien nicht wirklich dämpfen. Gerade in der Stromlandschaft der Donau rund um Wien gab es zur Sommerszeit viel Gelegenheit dies zu tun, trotz aller Verbote und trotz zeitweiliger polizeilicher Verfolgung der Badenden. Die Begründung lautete nun, so berichtet der „Badehistoriker“ Eder: Freibaden sei ein „unsittlicher Tatbestand“, nicht nur weil man sich dazu der Kleider entledigen muß, sondern weil man dabei sein eigenes Leben als Staatsuntertan ohne Erlaubnis aufs Spiel setzt.

Aber tatsächlich war die immer größere Badelust der Wiener nicht mehr wirklich aufzuhalten. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das Gänsehäufei, eine Insel inmitten von seeartigen Altwässern, die von der Donauregulierung 1870 bis 1875 übriggeblieben waren, als Areal für ein ungehindertes Freiluft- • leben entdeckt. 1907 ließ schließlich Karl Lueger, christlich-sozialer Bürgermeister von Wien, hier ein gemeindeeigenes Strandbad mit Männer-, Frauen- und Familiejiabteilung errichten. Dieses wurde sehr rasch zum Lieblingsort vieler Wiener. 1909 wurden hier bereits über 300.000 Besucher gezählt. Das längst modernisierte Gänsehäufei ist bis heute stark frequentiert.

„BADEFREUNDLICHE“ MODE

Einen ersten Kulminationspunkt erreichte die Freiluft-Bewegung im Wiener Raum, so berichtet Eder, dann in der Zwischenkriegszeit. Die Kleidung war inzwischen immer körper- und damit auch „badefreundlicher“ geworden. Das neue Schönheitsideal lautete nun wie gesagt „braungebrannt, schlank, sportlich“. Um es zu erreichen, mußte man eben auch die alten Bedeckungsvorschriften über Bord werfen. Baden wurde, wie viele zeitgenössische Fotografien eindeutig belegen, jetzt zum Massenvergnügen für alle Schichten, für Groß und Klein.

Zwischen 1926 und 1935 lag die durchschnittliche Besucherfrequenz aller städtischen Freiluft- sowie Kinderfreibäder Wiens bei jährlich fast zweieinhalb Millionen Gästen. Dazu kamen noch all die, die sich außerhalb der Badeanstalten sonnten oder ins Wasser sprangen, teils mit und teils ohne Badekleider. Gegen letztere richteten sich nun neuerliche Badeverbote. 1933 wurde eine „Notverordnung zum Schutze der Sittlichkeit und Volksgesundheit“ erlassen. Sie war der Beginn der Versuche des Ständestaates, das nach wie vor beliebte wilde Baden an der Donau zurückzudrängen. In der NS-Zeit war man diesbezüglich wieder großzügiger. Doch bald hieß es für viele Badelustige in die Uniformen zu schlüpfen. So begann erst um 1950 wieder ein neuer bis heute ungebrochener Freiluftbadeboom in Wiens seither völlig umgestalteter Donaulandschaft.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung