Kraftfutter für die Quallen

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Schadstoffe belasten die Umwelt. Aber auch Nährstoff-Überschüsse führen zu ökologischen Katastrophen. Davon war unter Wissenschaftlern mehrerer Länder zwei Tage lang an der TU Wien die Rede.

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Schadstoffe belasten die Umwelt. Aber auch Nährstoff-Überschüsse führen zu ökologischen Katastrophen. Davon war unter Wissenschaftlern mehrerer Länder zwei Tage lang an der TU Wien die Rede.

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Österreichs Flüssen und damit auch der Donau ging es dank Gewässerschutz immer besser, trotzdem ging es dem Schwarzen Meer immer schlechter. In sehr großen Wassermengen summieren sich nämlich auch geringe Schadstoff- und Nährstoffmengen, die in jedem Kubikmeter mitgeführt werden, zu gewaltigen Massen. Diese sammeln sich vor allem in Binnenmeeren wie dem Schwarzen Meer oder der Ostsee, wo die Probleme ähnlich sind.

Dann brach mit dem Sowjetimperium in Osteuropa auch die Wirtschaft im Donauraum stromabwärts von Österreich zusammen. Seither geht es den Menschen schlechter, dafür aber dem Schwarzen Meer wieder besser. Mit der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion ging nämlich auch die Belastung der Donau zurück. Osteuropas Menschen hoffen nun auf einen wirtschaftlichen Aufschwung. Der aber kann für das Schwarze Meer katastrophale ökologische Folgen haben, wenn nicht alle Staaten in seinem Einzugsgebiet an einem Strang ziehen und den Eintrag von Stickstoff und Phosphaten erheblich verringern. Dies kann und muß im Rahmen der Internationalen Kommission zum Schutz der Donau vorangetrieben werden, denn der ökologische Zusammenbruch eines Binnenmeeres schlägt auf vielfältige Weise auf alle Anrainer zurück.

Auf diesen einfachen Nenner läßt sich die Botschaft der Wissenschaftler, die in der vergangenen Woche an der Wiener Technischen Universität über "Nährstoffbewirtschaftung und Wassergüte im Donauraum" tagten, bringen. Helmut Kroiß und Matthias Zeßner vom TU-Institut für Wassergüte und Abfallwirtschaft, Gerhard Poschacher vom Landwirtschaftsministerium, das als Schirmherr fungierte, und einige weitere Teilnehmer präsentierten den Medien die Ergebnisse. Wirksame Maßnahmen, so ihr Fazit, erfordern eine Weiterentwicklung des Bewußtseins und der Verantwortung für den Umweltschutz in Politik und Öffentlichkeit.

Das Hemd sei den Menschen überall näher als der Rock. Die Maßnahmen zur Gewässerreinhaltung, die seit Jahrzehnten schrittweise durchgesetzt wurden, verhalfen uns zu einem sauberen Hemd. Dabei sei aber der Rock immer dreckiger geworden. Der Rock ist im konkreten Fall das Schwarze Meer. Die Verschmutzung der Bäche und Flüsse war eine die Anrainer unmittelbar berührende Auswirkung des Wirtschaftswachstums. Immer niedrigere Grenzwerte für immer mehr Schadstoffe führten wieder zu sauberen Gewässern. Dabei wurde aber der Anreicherung des Schwarzen Meeres mit den pro Kubikmeter geringen, in der Masse gewaltigen Substanzen nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt.

Um 1960, als die Badeorte am Schwarzen Meer ihren Aufschwung erlebten, war dieses nicht überall ein sauberes, aber ein Meer im ökologischen Gleichgewicht. In den folgenden Jahrzehnten stieg die Belastung mit Stickstoff und Phosphaten auf das Fünf- bis Zehnfache: Nahrung für Algen, mit einem gigantischen Algenwachstum und Algenblüten als Folge. Ein Gramm Phosphor bildet die Phosphor-Nährstoffbasis für ein Kilogramm Algenmasse. Noch in den sechziger Jahren geriet das ökologische Gleichgewicht aus den Fugen. Die Algen ließen, als Nahrung der Quallen, die Quallenpopulation explodieren - bis zur ökologischen Katastrophe, die Anfang der neunziger Jahre eintrat: Eine Milliarde Tonnen Quallen bevölkerten das Schwarze Meer und die Fischbestände brachen zusammen. Nicht die für die Badetouristen so lästigen Erdölpatzen auf den Stränden, sondern die Quallen sind Zeichen des gestörten Gleichgewichts.

Eine Atempause für das Schwarze Meer Der wirtschaftliche Zusammenbruch des Ostblocks verhalf dem Schwarzen Meer zu einer Atempause. Es erholte sich zur Überraschung der Wissenschaftler schneller und besser als erhofft, was den positiven Effekt konkreter Maßnahmen für den Gewässerschutz beweist. Andererseits aber sind nicht nur die osteuropäischen, sondern auch die westlichen Industriestaaten politisch und ökonomisch weit von einer Lösung der Probleme entfernt, die durch den permanenten Nährstoffeintrag in die Meere entstehen. Diese treten in den Binnenmeeren am deutlichsten zutage, werden aber auch in den Ozeanen erkennbar - etwa im Golf von Mexiko, wo die Überdüngung der US-Landwirtschaft zur Krise der Krabbenfischerei führte.

Auf dem Höhepunkt der Krise, um 1990, ergoß die Donau jährlich 500.000 bis eine Million Tonnen Stickstoff und 20.000 bis 50.000 Tonnen Phosphor ins Schwarze Meer. Österreich trägt derzeit 100.000 Tonnen Stickstoff und sieben- bis achttausend Tonnen Phosphor bei. Deutschland mit einem Anteil von 63 Prozent beim Stickstoff und 59 Prozent beim Phosphor an den gesamten aktuellen Einträgen sowie Österreich sind der zweit- beziehungsweise drittgrößte Nährstofflieferant der Donau.

Der einzige Ausweg: Weniger Düngung Davon kommen aber nur rund 30 Prozent aus Abwässern, die Kläranlagen passieren. Hier lassen sich zu tragbaren Kosten derzeit 70 Prozent des Stickstoffs und 85 Prozent des Phosphors ausscheiden - Werte, die heute nur teilweise erreicht werden. Die restlichen 70 Prozent werden vom Regen in die Böden eingeschwemmt und gelangen unkontrolliert und unkontrollierbar in Bäche, Flüsse und schließlich die Donau. Der Löwenanteil davon stammt aus der Landwirtschaft. Die nächste ökologische Katastrophe für das Schwarze Meer ist somit selbst dann programmiert, wenn Deutschland und Österreich ihre Kläranlagen verbessern und Osteuropa seinen Aufschwung mit jenen derzeit international vorbildlichen Umweltauflagen schafft, die in Österreich schon Standard sind - eine nicht sehr realistische Annahme.

Der ebenso unabweisliche wie unbequeme Schluß: Der ökologische Zusammenbruch der Binnenmeere mit allen großräumigen Rückwirkungen läßt sich nur durch eine erhebliche Reduktion des Düngerverbrauches in der Landwirtschaft erreichen. Im Klartext: Eine stärker biologisch orientierte Landwirtschaft produziert zwar vorläufig noch für eine Minderheit, sie ist aber auch eine umweltpolitische Notwendigkeit. Die Forderung nach weiterer Liberalisierung, mit der die USA in die nächste WTO-Runde gehen wollen, würde eine weitere gegenteilige Weichenstellung bedeuten. Die fortschreitende Liberalisierung setzt der Landwirtschaft aber den Rahmen, weshalb, so Kroiß, Schuldzuweisungen an sie nichts nützen. In Osteuropa sei bei winzigen Bruchteilen des österreichischen Pro-Kopf-Bruttonationalprodukts die ökonomische Situation extrem prekär, nur 50 Prozent der Bevölkerung seien an Abwassersysteme angeschlossen, im Westen führe der Fleischkonsum zu hohen Stickstoffumsätzen. Wenn Schuldzuweisungen, dann an uns alle.

Ihre Aufgabe sei es, so die Wissenschaftler, der Politik klare Grundlagen für die Entscheidungsfindung zu liefern. Dabei sind noch viele Fragen offen. Die historischen Daten über frühere Nährstoffeinträge sind sehr lückenhaft. Beim Phosphor erfassen die Meßwerte auch heute nicht die Gesamtfracht. 40 Prozent des gesamten Phosphoreintrages ins Schwarze Meer finden an nur sechs bis sieben Hochwassertagen des Jahres statt. Ein großer Teil des Phosphors wird am Eisernen Tor für Jahrzehnte abgelagert - wieviel davon in den Sedimenten des Deltas verschwindet, wieviel schließlich ins Schwarze Meer gelangt, ist derzeit noch unbekannt.

Betroffen sind nicht nur die Anrainer Doch alle Wissenslücken ändern nichts daran, daß Österreich, ebenso wie Deutschland, Gewässerschutz für das Schwarze Meer betreiben muß. Daß auch die Rückwirkungen ökologischer Katastrophen im Schwarzen Meer nicht nur die direkten Anrainer betreffen, sondern bis zu uns reichen. Daß nicht nur das Schwarze Meer unter den Folgen leidet, wenn die Landwirtschaft gezwungen wird, unökologisch zu handeln.

Der deutsche Tagungsteilnehmer Klaus Isermann, der früher im Management eines Chemie-Multis tätig war und nun ein Büro für nachhaltige Landwirtschaft leitet, zitierte Schätzungen, wonach die deutsche Landwirtschaft jährlich 45 Milliarden Mark Subventionen erhält und Schäden im Ausmaß von 100 Milliarden verursacht. Er hält eine achtzigprozentige Reduktion des Stickstoffverbrauches in der Landwirtschaft für nötig. Allerdings seien beispielsweise im Allgäu die Böden bereits derart mit Nährstoffen übersättigt, daß man dort weit über ein Jahrzehnt auf Stickstoffgaben verzichten könnte, und etliche Jahre auch auf Phosphor - ohne Einbuße an Erträgen.

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