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Digital In Arbeit

Apokalyptische Inventur

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Der Gegensatz zwischen zwei neuen Büchern ist nur scheinbar: Unser Super-Wohlstand kann vielleicht gerettet werden, doch den Preis dafür hätte die Dritte Welt zu zahlen.

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Der Gegensatz zwischen zwei neuen Büchern ist nur scheinbar: Unser Super-Wohlstand kann vielleicht gerettet werden, doch den Preis dafür hätte die Dritte Welt zu zahlen.

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Das Worldwatch-Institut ist ein unabhängiges, privates amerikanisches Forschungsinstitut. Es sammelt jedes Jahr „Daten für das Überleben unseres Planeten", die auch in deutscher Sprache erscheinen. Der heurige Bericht „Zur Lage der Welt" bringt wiederum Zahlen und Fakten zum alarmierenden Gesundheitszustand der Erde - und etwas halbherzig anmutende Lösungsvorschläge.

Die Zahlen des Worldwatch-In-stituts zeichnen ein schlimmes Bild vom Fortschritt: Während die US-Amerikaner jährlich fünf Milliarden Dollar ausgeben, um abzunehmen, sind in anderen Teilen der Welt

400 Millionen Menschen so unterernährt, daß sie geistig und körperlich verfallen. Zwei Drittel davon Kinder unter 15 Jahren.

Zu den bekannten Ursachen dieser Entwicklung - Ausverkauf großer Anbauflächen in der Dritten Welt für Export-Monokulturen, sinkende Rohstoffpreise bei wachsender Verschuldung, falsche Entwicklungshilfe durch Großprojekte und rasante Bevölkerungszuwächse -kommen massive Umweltprobleme, die vor allem die Ärmsten der Armen ihrer Existenz berauben.

Als bedrohlichste Umweltveränderung wird von Klimatologen die globale Erwärmung bezeichnet. Die Prognosen liegen zwischen zweieinhalb und fünfeinhalb Grad bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts. Große Teile fruchtbarer Anbaugebiete in der Dritten Welt werden, wenn dies eintritt, allein durch den Anstieg des Meeresspiegels verlorengehen. C02, Kohlendioxid, „eines der weitestverbreite-ten Abfallprodukte der modernen industriellen Zivilisation", ist ein Hauptverursacher dieser Entwicklung.

Dazu kommen die Boden- und Gewässerversalzung durch künstliche Bewässerung und den Einsatz von Düngemitteln, die Verödung von Anbaugebieten durch Austrock-

nung und Bodenerosion sowie Ernterückgänge durch Ozoneinwirkung (fünf Prozent). All diese Schäden können durch Forschung und neue Technologien nicht annähernd ausgeglichen werden. Auch die großen Hoffnungen in die Gentechnologie als Allheilmittel gegen den Hunger in der Welt haben sich bisher nicht erfüllt. Vor allem Getreidesorten erweisen sich als höchst resistent gegen Genmanipulationen. Die erzielten Erfolge in der Viehzucht dienen nicht der Versorgung der hungernden Bevölkerung und können zahlenmäßig natürlich nicht einmal annähernd die laufend aussterbenden Arten ersetzen.

Die Kosten für die Sanierung von Ümweltsünden steigen. Die Erhaltung von „Überlebensqualität" ist inzwischen ein lukratives Geschäft geworden, das umso besser floriert, je mehr gesündigt wird. Während seit der Öffnung der Ostblockländer großzügige Kredite für Sanierungsmaßnahmen die westliche Wirtschaft beleben, bleibt den hochverschuldeten Drittweltländern kein Spielraum für Umweltmaßnahmen.

Die Armut steigt auch in den Industriestaaten. In den USA lebt bereits ein Fünftel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, die Zahl wächst ständig an. 1986 gaben die Verbraucher in Amerika mehr für Verpackung aus, als die Landwirtschaft an ihren Produkten verdiente. Kein Wunder, wenn die Umweltprobleme langsam, aber sicher apokalyptische Dimensionen annehmen. Auch in den Industriestaaten sind durch den befürchteten Anstieg des Meeresspiegels große Anbauflächen bedroht. Das Waldsterben in Osteuropa (70 Prozent des Waldes in Polen, 50 Prozent in der CSFR sind schwerst geschädigt) wird die klimatischen Veränderungen beschleunigen und beeinträchtigt die Lebensqualität auch in den westeuropäischen Anrainerstaaten. Das Sinken des Grundwasserspiegels in weiten Teilen der USA und Europas wirkt sich vorerst noch nicht auf die Lebensmittelversorgung aus, aber die heutige Überschußproduktion kann schneller in Mangel umschlagen, als wir es uns vorstellen können.

Das Worldwatch Institut registriert auch innerhalb der einzelnen Staaten eine ungleiche Verteilung der Umweltlasten zwischen

arm und reich: Neben Sondermülldeponien, in Gegenden mit belastetem Grundwasser, in der Nachbarschaft umweltschädigender Industriebetriebe sind die Wohngebiete der Armen, das heißt in Europa der Einkommensschwächeren, in der Dritten Welt aber der absolut Armen, denen dort oft auch durch mangelnde Schulbildung und Analphabetismus der Zugang zum Recht verwehrt ist.

Einen Ausweg aus der wachsenden Kluft zwischen arm und reich (1989 lebten weltweit 157 Dollar-Milliardäre, zwei Millionen Millionäre und 100 Millionen Obdachlose) sieht das amerikanische Institut in einer drastischen Reduzierung

der Schadstoffemissionen der ach so zivilisierten Industriestaaten, die nach Meinung der Worldwatch-Wissenschaftler vor allem durch neue Technologien zu erreichen wäre. Dezentrale Energieversorgung aus regenerativen Energiequellen wie Wind und Sonne, bodenschonende -Anbaumethoden, großflächige Aufforstungsprojekte und ein sorgsamer Umgang mit dem kostbaren Wasser sollen helfen, den „Generationenvertrag" zu erfüllen.

Entwicklungshilfe, die den armen Ländern selbständiges und unabhängiges Überleben ermöglicht und das Erlassen der drückenden Schuldenlast der Drittweltländer ist jedoch, wie der Report realistisch

registriert, bei gleichbleibendem Konsumverhalten (auch wenn es sich um den Konsum umweltschonend erzeugter Produkte handelt) und bei gleichem Energieverbrauch (selbst wenn Wind und Sonne dafür herangezogen werden) von den reichen Ländern nicht zu finanzieren.

Das bedeutet die unangenehme und auch in diesem Buch nur ganz vorsichtig geäußerte Tatsache, daß eine Senkung unseres Lebensstandards zu den Voraussetzungen jeder Strategie gegen den Hunger in der Welt gehört.

(„Zur Lage der Welt 90/91", Daten für das Überleben unseres Planeten, Worldwatch Institute Report, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Welthungerhilfe. S. Fischer-Verlag, Frankfurt/M. 1989.336 Seiten, Pb., öS 232,40)

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