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Fehlen Afrika die sozialen Tugenden für den wirtschaftlichen Fortschritt?

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Die Entwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte ist gescheitert. Die unerträgliche Diskrepanz der Lebensbedingungen zwischen Nord und Süd ist geblieben.

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Die Entwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte ist gescheitert. Die unerträgliche Diskrepanz der Lebensbedingungen zwischen Nord und Süd ist geblieben.

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Grosso modo besteht die Welt heute aus zwei Zonen: hier gibt es Frieden, Demokratie, Menschenrechte, bürgerliche Ordnung und Wohlstand, dort Bürgerkriege und bewaffnete Auseinandersetzungen, Diktatur, Menschen- rechtsverweigerung, Unordnung, Unterdrückung und Not. Zur ersten Zone gehören nur 15 Prozent der Weltbevölkerung. Im Jahre 1990 betrug das Bruttosozialprodukt in den 35 ärmsten Ländern der Welt, einschließlich der bevölkerungsreichsten Staaten Indien und China, durchschnittlich 360 Dollar pro Einwohner, in den 19 wichtigsten Industrienationen 20.000 Dollar. In den unterentwickelten Ländern sterben täglich 35.000 Menschen an Hunger. Nach jahrzehntelangen Bemühungen ein trauriges Ergebnis, das Theo Sommer sarkastisch als „Friede den Palästen, Krieg den Hütten“ bezeichnet hat.

Die unerträgliche Diskrepanz zwischen den Lebensbedingungen von Nord und Süd wird meist einseitig und monokausal mit postkolonialer Ausbeutung mittels dunkler Machinationen der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der multinationalen Konzerne erklärt. Richtig ist, daß Entwicklungshilfe keineswegs nach der Bedürftigkeit der Empfängerstaaten gegeben wird; maßgebend sind politische und wirtschaftliche Erwägungen der Geberländer: Nur so ist es zu erklären, daß vierzig Prozent der reichsten Entwicklungsländer doppelt so hohe finanzielle Zuwendungen pro Kopf der Bevölkerung erhalten als die vierzig ärmsten Prozent. Es ist auch eine traurige Tatsache, daß die fünf Ständigen, für den Weltfrieden hauptverantwortlichen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates im Zeitraum von 1988 bis 1992 (also nach dem Ende des Kalten Krieges) 86 Prozent aller militärischen Lieferungen in die Entwicklungsländer tätigten. Diese Waffen werden hauptsächlich in Bürgerkriegen verwendet.

Dies alles darf jedoch nicht die tiefer liegenden und letztlich entscheidenden Gründe für das totale Versagen der Entwicklungspolitik verdrängen: Die mangelnde Fähigkeit und Bereitschaft vieler Länder der Dritten Welt, die politischen Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu schaffen und die Erkenntnis, daß der Lebensstandard der modernen Industriegesellschaft des Westens weltweit nicht ohne ökologische Katastrophe erreicht werden kann.

LEBENSSTANDARD KAUFEN?

Entwicklung kann weder durch Petrodollars gekauft, noch durch Geschenke erbettelt werden. Geld allein beseitigt keine Innovations- und Kreativitätsblockaden, die durch religiöse und soziologische Grundhal tungen gegeben sind. Dies wird bei einem Vergleich von Ländern der Dritten Welt deutlich, die in ihrer Politik sehr unterschiedliche Wege mit höchst unterschiedlichem Tempo eingeschlagen haben.

So beträgt das jährliche Pro-Kopf- Einkommen in Ägypten heute 630 Dollar, in Marokko 1.040 Dollar, in Tunesien 1.740 und im Jemen 520 Dollar. Demgegenüber erreichen Thailand 1.840, Südkorea 6.790, Hongkong 15.380 und Singapur 15.750 Dollar. Damit liegt das Per- Capita-Einkommen des „Entwicklungslandes“ Südkorea deutlich über dem der EU-Mitglieder Portugal und Griechenland.

Bemerkenswerterweise ist das Wohlstandsgefälle zwischen fernöstlichen und afrikanischen Volkswirtschaften seit 1960 immer größer geworden und nicht selten überhaupt erst in den letzten Jahrzehnten entstanden.

So hatten Südkorea und Ägypten im Jahre 1958 ein noch ungefähr gleiches Pro-Kopf-Einkommen, 104 beziehungsweise 116 Dollar per anno. Heute ist der südkoreanische Durchschnittsbürger um das Zehnfache (!) reicher als der Durchschnittsägypter. Sicherlich spielt dabei auch die Wachstumsrate der Bevölkerung eine wichtige Rolle. Sie ist in Ägypten mit 2,6 Prozent doppelt so hoch wie in Südkorea. Aber auch bei sozialen Parametern (Lebenserwartung, durchschnittlicher Kalorienverbrauch) sind die Unterschiede erheblich. In Ägypten beträgt die Rate der Analphabeten etwa 50 Prozent, in Korea deutlich unter fünf Prozent.

POSITIVES WIRTSCHAFTSKLIMA

Der Erfolg der ostasiatischen Länder ist mit dem durch den Konfuzianismus, Taoismuš und Buddhismus geprägten Wertefeld zu erklären. Der Konfuzianismus stellt lebenslanges Lernen in den Vordergrund. Erwerbstätigkeit im Familien verband, Sparen und Investieren sind wichtige soziale Tugenden, die der protestantischen Ethik nach Max Weber nicht unähnlich sind. Es besteht ein Wirtschaftsklima von Treu und Glauben. Loyalität, Respekt vor geistiger Autorität, Achtung vor der Gelehrsamkeit, Akzeptanz von Hierarchie und Seniorität, Genügsamkeit, Anpassung, Fleiß und Leistungsorientierung sind dort anerkannte Werte. Daß die Verhältnisse beispielsweise in Afrika ganz anders liegen, zeigt ein vielbeachtetes Buch der aus Kamerun stammenden Publizistin und Regierungsberaterin Axelle Ka- bou. Die Streitschrift trägt in der französischen Originalausgabe den bezeichnenden Titel „Et si l’Afrique refusait le developpement?“ und vertritt die These, daß der Afrikaner aufgrund „seiner Denkweisen und seiner wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen“ ganz wesentlich zu seiner Unterentwicklung beiträgt.

Die gefährlichste Illusion aber ist die von gewissen Dritte-Welt-Ver- besserern im Norden und den Regierenden im Süden verkündete Annahme, es gebe einen Weg, den heute fünf und morgen zehn Milliarden Menschen auf dieser Welt durch entsprechendes Wirtschaftswachstum den derzeitigen Lebensstandard der Industrienation zu verschaffen.

Ein Durchschnittsamerikaner mit einer Lebenserwartung von 80 Jahren verbraucht rund 200 Millionen Liter Wasser, 20 Millionen Liter Benzin, 10.000 Tonnen Stahl und das Holz von 1.000 Bäumen. Würden alle so ungeniert nach den natürlichen Reichtümern greifen, wäre der Planet innerhalb einer Generation völlig ausgeblutet. Wenn einmal jede chinesische Familie ihr Zweitauto hat, ist die Erde kaputt.

Dies ist freilich eine Feststellung, die Konsequenzen nicht nur in den Entwicklungsländern, sondern vor allem auch in den Industriestaaten erfordert.

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