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Wie lange wird die Erde die Menschen ernähren?

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Der englische Reverend Malthus veröffentlichte im Jahre 1798 seine aufsehenerregende Schrift, die vor kommender Übervölkerung warnte. Sie wurde in den jüngstvergangenen Jahren von der nationalsozialistischen Propaganda stark angegriffen, weil sie mit dem Bestreben, die Geburtenzahl, ohne Rücksicht auf Moral, mit allen Mitteln zu heben, nicht in Einklang zu bringen war und andererseits die Phrase „Volk ohne Raum“ die Notwendigkeit eines Angriffskrieges begründen sollte. Der Gedankengang von Malthus ist sehr alt. Piaton vertritt schon in seinem Hauptwerk „Der Staat“ den Standpunkt, die Geburtenzahl solle von Staats wegen bestimmt werden, um eine Übervölkerung zu verhindern. Japan führte eine solche Maßregel durch mehr als hundert Jahre auch praktisch durch; bis zum Jahre 1872 bestanden strenge Gesetze, die jeden Kinderreichtum mit strenger Strafe belegten, ja sogar verlangten, daß überzählige Kinder getötet werden müßten. So gelang es, die Volkszahl in dieser ganzen Zeit nahezu unverändert'auf 25 bis 27 Millionen zu halten. Als Japan nach Öffnung seiner Grenzen in die Weltmachtpolitik eintrat, wurden diese Gesetze aufgehoben und die Steigerung der Geburtenzahl gefordert, so daß die Volkszahl in 70 Jahren auf 7 1 Millionen anwuchs. Freilich entfiel nunmehr auf den Kopf der Bevölkerung bloß 0.1 ha Ackerland. Da auf solchem Raum das Volk nichr mehr zu ernähren war, rüstete sich Japan, anderen Völkern Nährraum abzunehmen. Auch in anderen Ländern war die Bevölkerungszunahme in letzter Zeit gewaltig. In Europa betrug sie trotz großer Kriegsverluste von 1800 bis 1940 rund das Dreifache, die Bevölkerung Kanadas vermehrte sich in 35 Jahren um das Doppelte, jene Rußlands verdoppelte sich in fünfzig, jene Italiens in sechzig Jahren. Im Weltdurchschnitt wird mit einer Verdoppelung in hundert Jahren geredinet. Da die primitiven Völker eine viel größere Geburtenzahl zeigen als die Weißen, stellte der amerikanische Gelehrte E a s t die Forderung auf, die Weißen müßten so rasch als möglich die

Tropen besiedeln, um deren Nährraum für sich erhalten zu können. Aber audi die Zunahme der ostischen Völker vollzieht sich viel rascher als jene von Zentraleuropa. So soll Rußland durch seinen Geburtenreichtum die gewaltigen Kriegsverluste bereits mehr als aufgeholt haben. East geht in seiner Sorge um drohende Übervölkerung so weit, zu warnen, amerikanische Ärzte nach China zu senden, weil dadurch die Kindersterblichkeit bei den Chinesen vermindert, die Lebensdauer erhöht und damit die Gefahr der Hungersnöte gesteigert werden würde.

Uberschlägt man vorerst die Wirkung der gegenwärtigen mittleren Bevölkerungszunahme auf der Erde, so ergibt sich folgendes: Es wird angenommen, daß zur Zeit von Christi Geburt 250 Millionen Menschen auf der Erde gelebt haben. Würde sich diese Zahl in je hundert Jahren verdoppelt haben, würden im Jahre 100 nach Christi 500 Millionen und im Jahre 300 bereits zwei Milliarden Menschen gelebt haben, also mehr als zu Beginn unseres Jahrhunderts. Es müßten dann heute auf der Erde so viele Menschen leben, daß sie eben noch Platz hätten auf dem gesamten Festlande der Erde; auf allen Gletschern und Bergen, in Wüsten und Steppen und auf dem Polareis müßten sie auf Stühlen sitzen und in weiteren hundert Jahren könnten sie nur mehr Kopf an Kopf stehen.

Geht man von der heute lebenden Bevölkerung aus, so würden in hundert Jahren schon 4.6 Milliarden Menschen zu ernähren sein und in weiteren hundert Jahren wären es 9200, so daß im Jahre 2146 schon eine Bevölkerungszahl auf der Erde anzunehmen wäre, die keinesfalls mehr ernährt werden könnte. Wie nahe dieser. Zeitpunkt liegt, erhellt daraus, daß vor 200 Jahren der Raubkrieg Friedrichs II. von Preußen gegen Maria Theresia eben sein Ende gefunden hatte.

Wie kommt es aber, daß die Bevölkerung nach Christi Geburt viel langsamer zugenommen hat? Seit dieser Zeit gab es 250 furchtbare Hungers jähre, zwischen dem Anwachsen der Bevölkerungszahlen und der Ernährungsmöglichkeit zu begegnen, wird in der Literatur auf zwei Möglichkeiten verwiesen: Steigerung der Produktion oder Bremsen der Bevölkerungszunahme.

Die Grenzen der Bodenerträge

Produktionssteigerung ist möglich durch Vermehrung der landwirtschaftlich genutzten Flächen oder durch synthetische Erzeugung von Nahrungsmitteln und durch Erhöhung der Bodenerträge. Gewiß reicht die heutige Produktion aus, die 2.3 Milliarden Menschen zu ernähren, ja auch noch dazu, für eine weitere Volksvermehrung aufzukommen: nur setzt dies voraus, daß der Wille und die Möglichkeit der Verteilung und des Ausgleichs der landwirtschafdichen Produkte besteht. Je mehr aber die Bevölkerungszahlen der Überschußländer anwachsen, um so weniger werden die anderen, unproduktiveren hoffen können, ihren Nährwertbedarf gedeckt zu erhalten. Sicher kann noch einiger landwirtschaftlich nutzbarer Raum erschlossen werden und sicher manche primitive Bewirtschaftung auf die Höhe moderner Erträge gebracht werden. Entscheidend werden diese Erfolge aber nicht sein. In der selbst in neuester Zeit rafften Hungersnöte in China, Indien und Rußland gewaltige Menschenmengen hinweg. Im Jahre 1125 wurde halb Deutschland von Hungersnot entvölkert, 1654 verlor Frankreich durch Hunger ein Drittel seiner Menschen, 1775 starben in Indien 27 Millionen Menschen an Hunger und 1937 soll die Hungerkatastrophe in China 50 Millionen Todesopfer gefordert haben. Ungeheure Einbußen brachten auch die Pest- und Blatternepidemien und schließlich sorgte der Mensch seit Kain und Abel selbst durch Haß, Habgier und Kampf für die Ausrottung der Nebenmenschen. Je mehr die Menschenzahl anstieg, um so unerhörter stieg dieser Vernichtungswille an. Die Zahl der in historischer Zeit durch Kriege Getöteten wird auf 7 Milliarden Menschen geschätzt, also rund das Dreifache der heutigen Weltbevölkerung. So lange die Erträge des Bodens nieder waren und die Verkehrsverhältnisse unzulänglich, hielten sich die Bevölkerungszahlen auf niederen Werten und bedingten absolut geringe Verluste bereits eine ausgiebige Verminderung der Volkszahlen. Als aber mit den modernen Verkehrsmitteln und dem Ansteigen der Bodenerträge sowie, durch hygienisdie Maßnahmen und ärztliche Kunst bedingt, die Erdbevölkerung rapid zu wachsen begann, stieg auch die Vernichtung der Menschen ins Gigantische.

Es fragt sich nun: Wie lange wird die Bevölkerung der Erde weiter zunehmen können und welche Möglichkeiten gibt es, um das absehbare Ende, an dem sich Ernährungsmöglichkeit und Bevölkerungszahl überschneiden, weiter hinausschieben zu können? Immeiwerden die lebenskräftigeren geburtenreicheren Völker die schwächeren verdrängen und ihnen den Platz an der Sonne streitigmachen. Wenn sich derzeit die farbigen Rassen noch besonders rasch vermehren, so ist damit noch lange nicht gesagt, daß s i e es sein werden, denen die Zukunft gehört. Schon jetzt zeigt es sich, daß mit dem Eindringen der Kultur in die Tropen die Geburtenzahlen abnehmen. Konzeptionsverhinderung, Fruchtabtreibung, Unfruchtbarkeit durch Geschlechtskrankheiten beginnen die Zunahme zu drosseln und kompensieren die Abnahme der Kindersterblichkeit und die Verlängerung der Lebensdauer der Erwachsenen. Wenn heute bei uns die mittlere Lebenserwartung seit 1900 von 36 auf 58 Jahre gestiegen ist, diese aber in Indien noch bei 27 Jahren liegt, so wird sich dies auch in Indien ändern und damit wird der jährliche Zuwachs von 25 Millionen bei den Indern bald das Doppelte und mehr erreichen.

Um dem stets wachsenden Mißverhältnis

Durchrechnung aller Ländereien der Erde auf Grund ihrer Bodenbeschaffenheit und ihrer klimatischen Verhältnisse durch den Berliner Geographen P e n c k ergibt sich bei optimaler Beurteilung der Verhältnisse eine obere Grenze der Ernährungsmöglichkeit für etwa neun Milliarden Menschen, wogegen der genaue Kenner der Tropen, Prof. S a p p e r, etwa sechs Milliarden Menschen als oberste Möglichkeit anspricht, weil Penck die Produktionskapazität der Tropen viel -zu hoch veranschlagt habe.

Beide stellten aber nicht in Rechnung, daß mit jedem Fortschreiten der Kultur der landwirtschaftlich nutzbare Raum sinkt. Der Bau von Wohnstätten, das Erstehen von Siedlungen, Straßenbau, Eisenbahnen, Industrien, Kraftwerken, Kanälen und militärischen Anlagen, besonders aber Raubbau am Boden mindern ständig fo/tschreitend die landwirtschaftlichen Nutzflächen. Insbesondere ist es die Abholzung und Rodung ganzer Flächen, die zur Abschwemmung fruchtbaren Erdreiches, zu Sandstürmen, zur Verkarstung und Versteppung führt und ungeheure Flächen der Produktion entzieht. Der Karst, die Sahara, Mesopotamien, weite Flächen in Nord- und Zentralasien, in China und Rußland sind aus blühenden ertragreichen Ländereien zu unfruchtbaren Öden geworden. Fast am erschütterndsten sind die Berichte aus Amerika, wo man gezwungen ist, mit Millionen von Arbeitern und einem Aufwand von Milliarden Dollar ein Gebiet, das dreimal so groß ist wie Deutschland und dessen Boden im Gefolge von Entwaldung zur Steppe wurde, wieder zu bewässern und mit einer Grasdecke zu überziehen. Man bedenke, daß es sich um Hunderttausende von Quadratkilometern handelt. Nach der Feststellung des amerikanischen Bodenamtes sind 141.Q00 Quadratkilometer, also 14 Millionen Hektar, endgültig für den Ackerbau verloren, 50 Millionen Hektar noch halbwegs ertragreich zu machen und nur 40 Prozent der amerikanischen Böden werden als noch volleistungsfähig und vollkommen gesund bezeichnet. Rechnet man dies auf Menschenernährung um, so bedeutet dies den Ausfall der Volldeckung der Ernährung für 300 Millionen Menschen, also für ein Siebentel der gesamten Erdbevölkerung.

Die Leistung der Tropen

Oft wird behauptet, daß die Hoffnung der Zukunft in den Tropen gelegen sei. Diese vermöchten noch eine gewaltige Menge von Menschen aufzunehmen und gewaltige Nahrungsmengen zu liefern. Dies trifft nicht zu. Weiße Siedler können nur in sehr beschränktem Ausmaß in den Tropen untergebracht werden, Schwerarbeit vermögen sie in diesen nicht zu leisten. Sie kommen daher nur als Aufseher, Organisatoren oder als Leiter von Unternehmungen in Betracht, ja selbst dies nur für beschränkte Zeitdauer. Niemals wird die weiße Bevölkerung die farbige verdrängen, niemals die weiße Frau die Fruchtbarkeit der Farbigen erreichen; meist bleibt die weiße Frau in den Tropen kinderlos. Es ist bestechend, wenn man liest, daß in den Trop'en dreimal im Jahre geerntet werden kann. Dies trifft tatsächlich zu, aber nur in wenigen Gegenden, außerdem sind solche Ernten nur in einem Jahre und auf Neubruch zu erzielen; dann sinken die Ernten rasch ab und das Feld wird bis zu sieben Jahren brach belassen; das ist nur bei einem großen Überfluß an Boden möglich und nur inso-lange, als die Bevölkerungsdichte gering ist. Die dauernd erhältlichen Durchschnittserträge übersteigen das, was bei intensiver Bewirtschaftung auf unseren Böden erreicht wird, nicht und bleiben in höheren Lagen der Tropen weit hinter diesen zurück. Die Unmöglichkeit ausgiebiger Tierhaltung und damit die Mangel an Naturdünger wie die schwere Beschaffung von Kunstdünger setzen der Tropenproduktion enge Grenzen. Sollte diese aber doch wesentlich zu steigern sein, so werden sich die Eingeborenen eben selbst rascher vermehren und dann werden sie das, was sie mehr erzielt haben, auch selbst aufzehren. Die Hoffnungen auf eine Entlastung durch die Tropen sind also sehr herabzuschrauben.

Wie steht es nun um die Möglichkeit der Produktionssteigerung an Lebensmitteln überhaupt? Schon jetzt machen sich vielenorts die Folgen der übermäßigen Nutzung der Böden in biologischer Entwertung und Bodenmüdigkeit geltend; sie werden sich um so mehr zeigen, je mehr Nahrungsmittelknappheit zu extrem gesteigerter Nutzung zwingen wird. Es ist anzunehmen, daß die Ertragssteigerungen, die auf bisher minder gut bewirtschafteten Böden erreicht werden können, durch die Ertragsminderung andernorts so ziemlich kompensiert werden dürften. Dazu kommt noch, daß die Tendenz besteht, die rationell wirtschaftenden Großbetriebe in Kleinwirtschaften umzuwandeln, in denen die Produktionsleistung immer gegenüber dem Großbetrieb z u-rückbleiben muß.

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