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Sowjetwirtschaft braucht Reform

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Die sowjetischen Wirtschaftsplaner sind zur Zeit dabei, den nächsten Fünf jahresplan für die Periode von 1985 bis 1990 zusammenzustellen, der zum ersten Mal auch einen Entwurf der sowjetischen Entwicklungsziele bis zum Jahr 2000 enthalten soll. Mit den Informationen, die dabei den Planern bei ihrer Arbeit zur Verfügung stehen, müssen die Zukunftsaussichten der sowjetischen Wirtschaft besonders trübe erscheinen.

Die meisten westlichen Beobachter zweifeln daran, daß das sowjetische Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren auch unter den günstigsten Bedingungen zwei bis drei Prozent überschreiten wird.

Im nächsten Jahrzehnt wird die sowjetische Industrie verstärkt die bedenklichen strukturellen Unausgewogenheiten und Verzerrungen zu spüren bekommen. Bleibt eine gründliche Reform aus, wird sich die Situation weiter verschlechtern.

Gleichzeitig, ist es unwahrscheinlich, daß die sowjetische Landwirtschaft die ehrgeizigen Ziele erreichen wird können, die im Ernährungsprogramm von 1982 abgesteckt sind. Darin wird von einer jährlichen Getreideernte im Umfang von 238 bis 243 Millionen Tonnen in den Jahren von 1981 bis 1985 und von 250 bis 255 Millionen Tonnen von 1986 bis 1990 gesprochen. In den letzten sechs Jahren aber ging keine sowjetische Ernte über 190 Millionen Tonnen hinaus.

Bei ihren Anstrengungen, das Land in halsbrecherischem Tempo zu industrialisieren, konnten die Sowjetplaner in der Vergangenheit stets auf den Reichtum an Boden; Arbeitskraft und Kapital zählen und aus dem vollen schöpfen. Es war üblich geworden, die wirtschaftlichen Leistungen der UdSSR durch den Einsatz von immer mehr menschlicher Arbeitskraft und den enormen materiellen Ressourcen voranzutreiben, um immer höhere Erträge zu erzielen. Dabei wurde nicht allzu sehr auf den effizienten Gebrauch dieser Ressourcen geachtet.

Diese Strategie des extensiven wirtschaftlichen Wachstums ist nicht mehr länger aufrechtzuerhalten und wird es in Zukunft noch weniger sein. Denn alle Mittel für den Produktionsprozeß werden zunehmend knapper: Land, Arbeitskräfte, Rohstoffe und Kapital. Kommt es zu keiner grundsätzlichen Reform, wird es die neue Generation sowjetischer Führer mit einer beispiellosen Ära der wirtschaftlichen Austerität zu tun bekommen, was nicht nur die Legitimität des Regimes im Land selbst in Mitleidenschaft ziehen könnte, sondern auch die Möglichkeiten und Fähigkeiten zur sowjetischen Machtprojektion in der internationalen Arena beschränken könnte.

Aufgrund der sinkenden Geburtenrate und den demographischen Auswirkungen der Vergangenheit wird damit gerechnet, daß das sowjetische Arbeitskräfteangebot im verbleibenden Jahrzehnt nur mehr um halb so viel zunimmt wie während der siebziger Jahre. Der ohnedies schon angespannte Arbeitsmarkt wird dadurch noch mehr belastet.

Aber nicht nur die Industrie wird den Arbeitskräftemangel zu spüren bekommen, die demographischen Trends werden auch Auswirkungen auf den Mannschaftsbestand der Roten Armee haben. Während die Zahl der verfügbaren 18jährigen Rekruten 1979 einen Spitzenwert erreichte, dürfte sie bis 1988 um 25 Prozent zurückgehen. Obwohl der Sowjetführung eine Anzahl von Optionen offensteht, wird jeder Versuch, die gegenwärtige Mannschaftsstärke der sowjetischen Streitkräfte aufrechtzuerhalten die Arbeitskräfte-Versorgung im zivilen Wirtschaftsbereich erschweren.

Während des kommenden Jahrzehnts wird die sowjetische Wirtschaft permanent mit dem Problem knapper werdender Rohstoffe und Versorgungsengpässen in diesem Bereich zu kämpfen haben. Obwohl die UdSSR heute der Welt größter Stahlerzeuger ist, hat sie bereits zu wenig Metall zur Verfügung.

Als die Sowjetunion in den vergangenen zwei Jahrzehnten ihre Türen für den Handel mit der kapitalistischen Welt öffnete, wurde sie zu einem Getreide- und Technologie-Importeur und Rohstoff-Exporteur auf dem internationalen Markt. Wenn die gegenwärtigen Muster der Rohstoffproduktion und des Verbrauchs nicht geändert werden, wird es die UdSSR aber immer schwerer haben, ihre eigene Industrie mit den notwendigen Grundstoffen zu versorgen und gleichzeitig ihre jetzigen Handelsbeziehungen weiterzuführen.

Zur Rohstoffknappheit kommt ein weiteres Problem: der Mangel an Ackerland und reinem Wasser. Besonders die südlichen Teile des Landes, die nicht nur die demographisch vitalsten Regionen darstellen, sondern auch die fruchtbarsten Agrargebiete umfassen, leiden zunehmend an Wassermangel.

Im Oktober 1984 hat sich die sowjetische Führung dazu entschieden, enorme Geldsummen in ein Programm zur Bodenverbesserung und Bewässerung zu stekken. Aber so eindrucksvoll die finanziellen Aspekte dieses Unternehmens auch sind, mit Geld allein ist dieses Problem nicht zu lösen. Massive Investitionen zur Neulandgewinnung und Bewässerung haben auch schon in der Vergangenheit wenig Erfolge gebracht.

Der Kuchen wird kleiner

Ohne eine Reform des unglaublich ineffizienten Systems der kollektiven Landwirtschaft und ohne sich wirklich den strukturellen Ursachen der Verschwendung und des Mißmanagements des Wasserhaushaltes zuzuwenden, werden die Sowjetführer vermutlich nur weiter ihre Kapital-Ressourcen mit enormen Investitionen belasten, ohne bei der Problemlösung viel Wirkung zu erzielen.

Die die Investitions-Ressourcen betreffenden Schwierigkeiten müssen in Zusammenhang mit der Verlangsamung des sowjetischen Wirtschaftswachstums während der vergangenen zwei Jahrzehnte gesehen werden. In den letzten Jahren sind die Wachstumsraten im Investitionsbereich beträchtlich von 41 Prozent im neunten Fünf jahresplan (1971 bis 1976) auf zwölf bis 15 Prozent im gegenwärtigen Plan geschrumpft. Wenn der Rückgang des Wirtschaftswachstums nicht umgekehrt und die vorhandenen Kapitalmittel nicht wirksamer eingesetzt werden, wird der unter den investitionshungrigen Bürokratien zu verteilende wirtschaftliche Kuchen immer kleiner werden.

Die Probleme der Sowjetwirtschaft jedenfalls werden sich auch auf die Produktion im Verteidigungsbereich auswirken, — trotz der Priorität, die gerade der Militär-Industrie eingeräumt wird sowie einer Anzahl institutioneller Mechanismen, um diesen Komplex von den Wandlungen der zivilen Wirtschaft zu isolieren.

Darüber hinaus macht es die wirtschaftliche Austerität im Inland zu einer immer größeren Bürde, die traditionelle Inanspruchnahme von Ressourcen zur Aufrechterhaltung und zum Ausbau des Sowjetimperiums im Ausland zu gewährleisten.

Anfang der achtziger Jahre betrugen die sowjetischen Militärausgaben schätzungsweise 14 Prozent des Bruttonationalpro-duktes. Nimmt man die früheren Wachstumsraten heran, würde dieser Anteil bis Ende des Jahrhunderts auf 20 Prozent anwachsen. Und obwohl es am Ende der Ära Breschnew Anzeichen dafür gab, daß die Wachstumsrate bei den Militärausgaben von vier bis fünf auf zwei oder drei Prozent gesunken ist, deuteten zuletzt Stellungnahmen der Sowjetführung wieder höhere Wachstumsraten bei den Verteidigungsausgaben an.

Es ist nicht schwierig, die wirtschaftliche und soziale Zukunft der Sowjetunion im Falle eines Ausbleibens von Reformen vorauszusehen. Die politische Zukunft indessen bleibt ungewiß. Die Herausforderung, die die wirtschaftliche und soziale Austerität für die gegenwärtige und zukünftige Sowjetführung darstellt, wird aber auf jeden Fall schwierige politische Entscheidungen erfordern.

Mark Beissinger ist „Assistant Professor of Government” an der Havard Universität. Der Artikel ist ein Auszug aus einer Studie, die der Autor im Rahmen des „Salzburg Semi-nars”beider Fachtagung „Europäisch-amerikanische Beziehungen mit der UdSSR” vor einigen Wochen vorgestellt hat. Ubersetzung aus dem Englischen: Burkhard Bischof

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