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ENDSTATION IST DAS WASSER

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FURCHE: Wie hat sich die Abwasserproblematik in jüngster Vergangenheit entwickelt?

HELLMUT FLECKSEDER: Sehen wir uns die Situation in Österreich um 1970 an, so hatten wir damals im Bereich der Abwasserreinigung fast einen„Null-Zustand". Die Abwässer wurden fast nicht geklärt. Man hatte aber erkannt gehabt, daß dieser Zustand nicht fortbestehen könne. Also wurden zum Schutze des Grundwassers Kanalisationen und zum Schutze der Oberflächengewässer Reinigungsanlagen gebaut. Das war die Stoßrichtung, was die kommunalen Abwässer anbelangt. Diese stammen aus Siedlungsgebieten und umfassen die menschlichen Ausscheidungen, all die Rückstände, die nach Reinigungsvorgängen im Haushalt anfallen, aber auch alle Abwässer von kleingewerblichen Betrieben, die nicht extra erfaßt werden.

FURCHE: Und die Industrieabwässer?

FLECKSEDER: Da gab es das Problem, daß externe Reinigungsanlagen ziemliche Kosten bedeuteten. Man verlegte sich daher eher darauf, den Produktionsprozeß möglichst so zu verändern, daß der Anfall von Abfallstoffen in den Abwässern verringert wird. Die Investitionen in den Abwasserschutz waren Anfang der siebziger Jahren noch recht gering. Sie sind Ende der siebziger Jahre aber stark gesteigert worden und haben in den achtziger Jahren ein relativ konstantes Niveau gehalten.

FURCHE: Was waren die Erfolge der Bemühungen?

FLECKSEDER: Gab es 1970 noch weniger als zehn Prozent biologischer Reinigung der kommunalen und fast keine der Industrieabwässer, so liegen wir heute bei einer Erfassung durch Kanalisation und Abwasser-Reinigungsanlagen der Wohnbevölkerung von rund 70 Prozent. Bei der Industrie liegen die Werte darüber. Eine lOOprozentige Schließung des betrieblichen Stoffkreislaufes wird allerdings nie erreicht werden. Der Grund ist einfach: Auch alle lebenden Systeme stehen in Stoffaustauschbeziehung zu ihrer Umwelt.

FURCHE: Wie mißt man die Ge-,ässerbelastung?

FLECKSEDER: Zunächst mit Indikatoren, die organische Kohlenstoffverbindungen charakterisieren: solche, die rasch, als auch solche, die langsam biologisch umsetzbar sind. Die biologische Abwasserreinigung ist so konzipiert, daß sie die rasch umsetzbaren, bzw. die rascheren der nur langsam umsetzbaren eliminiert. Im Wasser verbleiben jene Stoffe, die nur sehr langsam abbaubar sind (Dauer z.B. 100 Tage). Da kommt es erst in der Natur zum Abbau.

FURCHE: Was bedeutet biologisch umsetzbar?

FLECKSEDER: Es bedeutet, daß die organischen Stoffe durch Mikroorganismen zerlegt, zu Kohlendioxid und Wasser oxidiert werden. Neben den biologisch umsetzbaren Stoffen spielen auch Stickstoff und Phosphor im Abwasser eine Rolle. Beide sind Nährstoffe. Unter Einbeziehung der Energie aus dem Sonnenlicht dienen sie zum Aufbau von Pflanzen. Das geschieht zum Teil in Fließgewässern, betrifft aber im besonderen Maße die Meere, in denen das Wasser zu guter Letzt landet.

FURCHE: Was bei uns geschieh, betrifft die Meere?

FLECKSEDER: Ja, sie sind nicht nur durch die von den Anrainerstaaten ausgehende Verschmutzung bedroht. Die enorme Zunahme des Algenbestandes wird auch von weit entfernten Ländern über das Flußwasser mitverursacht. Da Österreich fast sein gesamtes Wasser in Richtung Schwarzes Meer entsendet, tragen wir zur Anreicherung dieses Gewässers mit Nährstoffen bei. Mit der Wasserrechtsgesetznovelle haben wir uns verpflichtet, die kommunalen Abwässer (sie enthalten am meisten Stickstoff und Phosphor) innerhalb der nächsten vier bzw. zehn Jahre in den großen Kläranlagen von diesen Nährstoffen zu reinigen. Stickstoff und Phosphor hängen aber nicht nur mit dem häuslichen Abwasser zusammen. Sie werden als Dünger in der Landwirtschaft verwendet - derzeit allerdings wieder in geringeren Mengen.

FURCHE: Trägt die Landwirtschaft viel zur Gewässerbelastung bei?

FLECKSEDER: Hier ist die Forschung noch nicht sehr weit fortgeschritten. Ich habe untersucht, woher an der Pegelstelle Wien Nußdorf der Stickstoff und der Phosphor der Donau kommen. Das Ergebnis: 1985 rührten ungefähr zwei Drittel des Phosphors und ein Drittel des Stickstoffs von den Abwässern aus Haushalten im Einzugsbereich des Stromes her. Der Rest war als Flächeneintrag zu betrachten. Stickstoff rührt allerdings nicht nur von der Düngung her, sondern er stammt auch aus den Abgasen bei Verbrennungsprozessen. Über den Regen gelangen ja auch Luftverschmutzungen ins Wasser. Daraus ersieht man, wie schwierig es ist den Ursprung der Stoffe auszumachen.

FURCHE: Wie kann man Phosphor aus dem Wasser eliminieren?

FLECKSEDER: Dadurch, daß dem Wasser Fällmittel zugegeben werden. Sie wandeln gelöste Inhaltsstoffe in feste um. Das führt natürlich zu einem Anstieg der Klärschlämmengen.

FURCHE: Und was geschieht mit dem Stickstoff?

FLECKSEDER: Im Stickstoffkreislauf gibt es einen Wechsel vom gelösten zum gasförmigen Zustand. Um diese Umsetzung durchzuführen, müssen die bestehenden Kläranlagen ausgebaut und vergrößert werden. In der Anlage wird der Stickstoff zunächst zu Stickoxid und durch anschließende Reduktion zu freiem Stickstoff umgewandelt. Allerdings entsteht bei diesem Vorgang Lachgas. Das bedeutet Probleme für die Luft.

FURCHE: Und wie steht es mit den Schwermetallen?

FLECKSEDER: Sie sind ein Problem - aber im allgemeinen nicht für die Gewässer, sondern für den Klärschlamm und seine Verträglichkeit mit dem Boden, auf den man ihn ausbringen möchte. In Zukunft wird der Qualität des Klärschlammes große Bedeutung im Gewässerschutz zukommen.

FURCHE: Man kann also Metallverbindungen bei der Abwasserreinigung eliminieren?

FLECKSEDER: Im wesentlichen ja. Nur findet man sie dann eben im Klärschlamm. Also ist die Herausforderung die, den Schwermetallgehalt der Abwässer auf ein Minimum zu reduzieren. Besonderer Maßnahmen wird es bei den metallverarbeitenden Betrieben bedürfen. Denn sie leiten einen Großteil ihrer Abwässer in die Kanalisation, also in die Kläranlagen. Das Problem der Belastung des Klärschlammes betrifft jedoch nicht nur die Schwermetalle, sondern auch alle biologisch kaum abbaubaren Stoffe, die den Stoffwechsel der Lebewesen stören. Hierher gehören etwa die chlorierten Kohlenwasserstoffe.

FURCHE: Werden die Abwasserprobleme schon relativ gut beherrscht oder muß noch viel geschehen?

FLECKSEDER: Sicher muß da noch sehr viel geschehen.

FURCHE: Wie liegt Österreich im internationalen Vergleich?

FLECKSEDER: Wir sind in Österreich etwa so gut wie Deutschland und die Schweiz, sicher besser als England und die USA. Im Grunde genommen marschieren wir vorne mit. Was die Entwicklung neuer Verfahren hierzulande anbelangt, ist der österreichische Markt jedoch zu klein. Allerdings unternimmt die Zellstoffindustrie einige Anstrengungen auf diesem Sektor (siehe Kasten).

FURCHE: Müßte man nicht in den Haushalten über abwasserfreundlichere Verfahren nachdenken?

FLECKSEDER: Selbstverständlich ja. Auf Dauer werden wir uns den geruchsfrei machenden Stein im Klo ebenso wie vieles andere nicht leisten können. Er enthält nämlich chlorierte organische Verbindungen und diese sind sowohl im Wasser als auch im Klärschlamm umweltschädigend. Auf Dauer wird man an Chemikalien die Anforderung stellen müssen, daß sie in Reinigungsanlagen biologisch umsetzbar sein müssen.

FURCHE: Welche Industriezweige belasten das Wasser am meisten?

FLECKSEDER: Zunächst die Zellstoffproduktion zusammen mit der Papier- und Kartonerzeugung, der weite Bereich der chemischen Industrie, der Nahrungsmittelbereich, die Textilindustrie (vor allem an einzelnen Standorten in Vorarlberg), die Metalloberflächenbehandlung, die Lederindustrie... Das sind wohl die wesentlichsten Sparten.

FURCHE: Und welches Gewicht kommt den einzelnen Verschmutzern im Gesamtvergleich zu?

FLECKSEDER: Das ist schwierig zu klären. Das Förderungs- und Finanzierungsinstrument Wasserwirtschaftsfonds hat darauf gedrungen, daß Kläranlagen nicht nur zur Reinigung von kommunalen Abwässern gebaut werden. Er hat auch Lösungen gefördert, in denen Abwässer der Industrie mitgereinigt werden. Ein typisches Beispiel dafür ist die Zentralkläranlage für den Raum Linz in Asten: Sie nimmt die Abwässer von Linz und von den umliegenden Gemeinden ebenso auf wie die des Zellstoff- und Papierwerks Nettingsdorf, die der Nachfolgebetriebe der Chemie Linz AG und die der VOEST. Wenn ich nun am Ausgang der Kläranlage die verbleibende Verschmutzung messe, dann ist eine Zuordnung nicht mehr möglich. Da läßt sich die Verschmutzung durch kommunale und die durch Industrieabwässer nicht mehr auseinanderdividieren.

Früher hat man das Maß der Verschmutzung in Einwohnergleichwerten (EGW) erfaßt. Bei diesem Vergleich hat die Industrie immer weitaus stärker zur Verschmutzung beigetragen als die Haushalte. Heute scheint mir eine so vereinfachte Darstellung nicht mehr gerechtfertigt. Noch haben nicht alle Produktionsstandorte der Industrie biologische Kläranlagen in Betrieb. Aber der große Trend geht in diese Richtung.

FURCHE: Wird man mit genügend vielen Kläranlagen die Gewässer sanieren können?

FLECKSEDER: Man darf die Abwassersituation nicht isoliert sehen, sondern es gilt, auch zu erfassen, was über die Fläche eingetragen wird. Hier ist die Landwirtschaft angesprochen: einerseits bei Stickstoff und Phosphor, andererseits aber auch bei den Herbiziden, Fungiziden und Pestiziden, aber auch der Verkehr, kurz alle, die Stoffe in die Umwelt entlassen. Genau genommen spielen bei der Gewässerverschmutzung alle Stoffkreisläufe eine Rolle. Irgendwann einmal landet nämlich alles auch im Wasser.

Das Gespräch mit Univ. Doz. Hellmut Flecks-eder vom Institut für Wassergüte und Landschaftswasserbau der Technischen Universität Wien führte Christof Gaspari.

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