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Die Hoffnung auf die Wunderfichte

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Der österreichische Wald ist todkrank. Über Ausmaß und Ursache streiten Fachleute und Politiker (FURCHE 23/1985). Was kann unseren Bäumen nun tatsächlich noch helfen?

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Der österreichische Wald ist todkrank. Über Ausmaß und Ursache streiten Fachleute und Politiker (FURCHE 23/1985). Was kann unseren Bäumen nun tatsächlich noch helfen?

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Fast alle Gelehrten sind sich darin einig, daß die europaweit zu beobachtende Verminderung der Vitalität der Wälder, die in Ex^-tremgebieten bis zum Waldsterben führt, auf die Luftverschmutzungen zurückzuführen ist. Wenn das stimmt, dann wird man all das, was aus Kaminen aller Art (von Autos, Flugzeugen, Häusern, Fabriken und Kraftwerken) herauskommt, vermindern und entgiften müssen.

Was nicht hilft: die Suche nach resistenten Baumarten oder -rassen. Es gibt Baumarten, und unter diesen wieder einzelne Individuen, die ganz auffallend langsamer auf eine Dauerbegiftung reagieren.

In Arnoldstein (Kärnten) gibt es, mit Sichtkontakt zum Werk, eine in der Fachliteratur schon oft beschriebene „Wunderfichte”, die in ihren Nadeln so viel Schwefel enthält wie keine andere Fichte in ganz Europa - weil alle anderen unter einer solchen Schwefelbelastung schon längst eingegangen sind. Von dieser Fichte die Rettung der österreichischen Wälder zu erwarten, ist ein mehrfacher Trugschluß, denn

• es ist nur schwer möglich, von diesem Baum idente Nachkommen zu gewinnen;

• es ist erwiesen, daß die Nachkommen dieses Baumes unter den anders zusammengesetzten Abgasen auf anderen Standorten keineswegs resistent sind;

• um den angegriffenen Wald durch Nachkommen dieses einen Baumes zu ersetzen, brauchte man Jahrzehnte;

9 wer sagt den Menschen dann, wenn die Bäume einmal als Indikatoren ausfallen (weil sie, was aber ganz unwahrscheinlich kt, resistent geworden sind), daß die Atemluft giftig ist? Im Erzgebirge ersetzt man die dort seit der Eiszeit heimische Fichte durch Stechfichte und Vogelbeere. Auch sie kümmern dahin.

Gelegentlich erscheinen wissenschaftliche Berichte über das Waldsterben auf Hochglanzpapier, in denen eine allgemeine Düngung der gesamten mitteleuropäischen Wälder empfohlen wird. Im Impressum liest man dann, daß die chemische Industrie das alles gesponsert hat.

Es wird dort behauptet, daß die Forstleute offenbar nicht wüßten, was jeder Bauer weiß: Wer regelmäßig ernten will, muß regelmäßig düngen. Darauf ist zu sagen:

# In einem gesunden Wald wird mit den Baumstämmen nicht mehr an Nährstoffen entnommen, als der Wald mit Hilfe der Sonne, des Regens und der Aufschließung des Bodens durch die Wurzeln ständig neu erzeugt. Das Waldsterben trifft auch Wälder, aus denen noch nie ein Baum entnommen wurde.

• Was soll die Düngung des Bodens, wenn die Nadeln geschädigt sind, wenn ein Baum anstelle der Nadeln der letzten neun, zehn Jahre nur mehr die der letzten

„Vermutlich schädigt den Wald in erster Linie der Straßenverkehr.” zwei, drei Jahre trägt, und die sind auch schon geschädigt?

# Parkbäume kann man mit einer Düngung allenfalls noch retten. Wer bezahlt, wer organisiert die Düngung von einer Million Hektar Wald? Die Erzeugung und die Ausbringung des Düngers wäre eine neue Umweltbelastung.

Täglich treffen neue Vorschläge ein, immer wieder will jemand das Allheilmittel zur Sanierung einer komplizierten Systemkrankheit gefunden haben. Nach Überzeugung fast aller Autoren, die dem Verfasser zugänglich sind, hilft letztlich nur die Reinigung der Abluft und der Abwässer.

Sparen auf allen Linien wäre das Rezept Nummer 1. Weil Energie letztlich noch immer nicht viel kostet, wird sinnlos transportiert, sinnlos Auto gefahren, zu warm geheizt und Strom vergeudet. Sparen heißt nicht, frierend im Dunkeln zu sitzen, sondern:

• Hallenbäder, Büros und Wohnräume nicht bis 28 Grad Celsius zu erwarmen; 0 Wohnräume besser zu isolieren;

# kurze Strecken nicht mit dem PKW zu fahren;

# den Motor-„Sport” als Narretei zu ächten;

# den Schwerverkehr mit allen möglichen Verboten auf die Schiene zu verlagern und vieles andere mehr.

Seit alles vom Waldsterben redet, ist die Einsicht, daß der überaus vielseitig verwendbare Rohstoff Erdöl zum Heizen und zum Autofahren viel zu schade ist, fast ganz vergessen worden.

Das, was aus den Kaminen herauskommt, muß und kann gereinigt werden:

# Beim Auto mit Hilfe des Katalysators. Was in diesem Zusammenhang bisher zusammengelogen wurde, hält jedem Vergleich mit den Lügengeschichten vor einer Wahl und nach einer Jagd stand (der Tiroler Landesforstdi-rektor Herbert Scheiring). Der Katalysator für den Diesel muß forciert entwickelt werden. Bis dahin gehören die längst bestehenden Geschwindigkeitsbe-

„Allheilmittel heilen keine komplizierte Systemkrankheit.” schränkungen im Schwerverkehr endlich wirksam durchgesetzt.

• Die Reinigung ihrer Abgase bringt, wie die USA und Japan zeigen, die Industrie nicht um. Auch in Österreich gibt es Beispiele dafür, daß bisherige Groß-verschmutzer mit Erstaunen feststellen, daß die Rohstoffe, die an Filtern und in der Rauchgaswäsche hängenbleiben, durchaus gewinnbringend weiterverwertbar sind. Global gesehen ist die Umweltindustrie ein Arbeitsplatzschöpfer und Wirtschaftsstimula-tor.

• Das Heizenmit Holz (das praktisch schwefelfrei ist), ist nach wie vor zu fördern. Es gibt noch immer Bauern mit 20 und mehr Hektar Eigenwald, die dennoch öl verheizen. Die Kontrolle der meisten Öl-Heizanlagen ist sehr mangelhaft.

Daß soviel vom Schwefel die Rede ist - auch in diesem Artikel —, erinnert ein wenig an den Witz von Graf Bobby, der unter einer Straßenlaterne seinen Haustorschlüssel sucht. Auf die Frage, ob er ihn denn hier verloren habe, sagt er: Nein, dort drüben, aber hier ist es heller.

Schwefel ist tatsächlich sehr leicht zu messen. Ein Vergleich der österreichischen Meßdaten und der Waldzustandsinventur zeigt aber, daß die ärgsten Waldschäden nicht mit dem Schwefelgehalt der Nadeln korrelieren. Was ist es dann, das fernab von Großverschmutzern die Bäume krank und ruppig aussehen läßt?

Vermutlich ist es doch in erster Linie der Straßenverkehr und als Folgeprodukte der Stickoxide das Ozon und andere Photooxidanten. Die kann man nur schwer und teuer in der Luft und in den Bäumen gar nicht messen. Man sieht „nur” ihre Folgen in todgeweihten Bäumen im ganzen Land.

Wenn wir nicht alle zusammen bei allen Emissionen eine entscheidende Wende herbeiführen, werden die Bäume sterben und unser Land wird dort, wo es steile Hänge hat, unbewohnbar sein.

Der Autor ist Forstreferent der Landwirtschaftskammer Tirol (ein erster Beitrag des Autors zum Thema „Waldsterben” ist in FURCHE 23/1985 erschienen).

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