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Und freitags kein Fleisch

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Sich für die Schonung der Natur und das Wohl der Tiere einzusetzen, gilt immer noch als sentimentale Spinnerei. Der Autor versucht zum generellen Umdenken anzustiften.

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Sich für die Schonung der Natur und das Wohl der Tiere einzusetzen, gilt immer noch als sentimentale Spinnerei. Der Autor versucht zum generellen Umdenken anzustiften.

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Einer der begabtesten Philosophen, Vittorio Hösle, hält sich über den Wolken der Gegenwart nicht gerne auf: Die Einladung zu einem Kongreß in Spitzbergen sagte er im vergangenen Jahr ab, weil er es aus ethischen Gründen nicht für gerechtfertigt hielt, durch einen Flug dorthin der Umwelt zu schaden. Zu einer Gastprofessur nach Trondheim in Norwegen ist der an der Universität Essen lehrende Philosoph deshalb auch 30 Stunden mit dem Zug gefahren.

Hösles Verhalten mag angesichts der Tatsache, daß Urlaubsflüge in den sonnigen Süden den Charakter von Massenwallfahrten angenommen haben und die Flugpreise niedrig sind, ungewöhnlich erscheinen. Es ist aber ökologisch stichhältig und konsequent: Das Flugzeug als das energieintensivste Transportmittel ist wesentlich an der Verursachung von Treibhauseffekt und Ozonzerstörung beteiligt. Ein einziger Jumbo-Jet beispielsweise verbrennt'””pro Stunde: 15.000 Liter Kerosin, bei einem5 durchschnittlichen Flug erzeugt er gleich viele Stickoxide wie 70.000 laufende Ölfeuerungen. Es gibt Umweltexperten, die deshalb für die absehbare Zukunft einen Zustand prognostizieren, in dem man innereuropäische Kurzstreckenflüge durch gesetzliche Maßnahmen drastisch reduzieren oder gar verbieten wird müssen. Damit wird deutlich, daß Hösles Verzicht auf Flugreisen nicht als gesellschaftlich funktionslose, sektiererische Schrulle eines „Ökofreaks” abgetan werden kann. Umweltfreundliche Taten, die einzelne oder Gruppen setzen, enthalten in der Regel vielmehr einen ernstzunehmenden politischen Appell zur ökologischen Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. Gleichzeitig wird mit ihnen die Bereitschaft bekundet, selbst einen unverzicht- und unvertretbaren Beitrag dazu zu leisten.

Stummes leid hinter dicken Mauern

Umweltorientiertes Verkehrs- und Reiseverhalten ist nicht nur am Himmel, sondern auch auf Erden ethisch gefragt. Wer wie Hösle kein Auto besitzt, oder wer sein Auto zumindest mit anderen teilt, öfter auf Bus, Bahn und Rad umsteigt oder kurze Strecken zu Fuß zurücklegt, schont Wälder und Pflanzen, Menschen und Tiere (und nebenbei auch seinen Geldbeutel).

Aber nicht nur Menschen reisen oft unnötigerweise mit Flugzeug und Auto, sondern auch Obst, Gemüse und Milchprodukte. Lange Lieferwege verpesten jedoch nicht nur die Luft und verstopfen die Straßen, sie vermindern auch die Qualität der transportierten Ware (siehe dazu auch das nebenstehende Dossier, Anm. d. Red.). Heimische Feld- und Gartenfrüchte, die man - vielleicht sogar aus biologischem Anbau - auf dem Bauern- oder Wochenmarkt kauft, sind zweifellos umweltverträglicher, vitaminreicher und schmackhafter. Frische Lebensmittel sind also Konserven, Tiefkühl- und Mikrowellenkost,

deren Produktion Energie verschwendet und unnötigen Abfall produziert, vorzuziehen.

Bleiben wir bei der Ernährung. Wer der Werbung glaubt, daß man „Schwein haben muß”, lebt weder tierfreundlich noch gesund. Schweine, die in überfüllten Dunkelställen auf Spaltenböden gehalten werden, die Antibiotika und Tranquilizer verabreicht bekommen, fristen wie alle ihre Artgenossen in Massentierhaltung ein elendes Dasein: Kälber werden in viel zu engen Mastboxen ausschließlich mit einem salzigen, eisenarmen Milchpulver-Brei gefüttert, um rasch an Gewicht zuzulegen und weißes Fleisch vorzuweisen, Hühnern in Legebatterien steht auf einem schrägen Drahtgitterboden gerade die Fläche einer Schreibmaschinen -seite als Lebensraum zur Verfügung. Dazu kommen die Brutalitäten vieler Tiertransporte und des Fließbandtodes in Schlachthöfen. Tiere, so läßt sich dieser Befund kommentieren und durch weitere Beispiele aus den Bereichen Tierversuche, Tierhandel, Tierhaltung und Jagd ergänzen, werden in unserer Gesellschaft häufig nicht als leidensfähige Mitgeschöpfe betrachtet und behandelt, sondern als weitgehend beliebig verfügbare Objekte, als industriell nutzbare Fleischlieferanten und als Lebendkonserven.

Die christlichen Kirchen sind - zumindest historisch gesehen - keine Musterschülerinnen in Umweltmoral, was eine angemessene Tierethik betrifft, gar Legastheniker. Der Gedanke an einen barmherzigen Umgang mit der vorpersonalen Kreatur hat in ihrer Tradition nur eine marginale Bedeutung. Franz von Assisi etwa ist als rühmliche Ausnahme zu nennen oder Albert Schweitzer. Auch wenn es heute noch .professionelle Vertreter des Christentums gibt, die den Einsatz für die „unbeweinte Kreatur” - so bezeichnete der Theologe Joseph Bernhart die Tiere - als überflüssige Sentimentalität abtun, so findet doch ein allmählicher Wandel statt. Als ein Hinweis darauf kann die vor kurzem erfolgte Einrichtung der weltweit ersten Professur für „Theologie und Tierwohl” („Theology and

Animal Weifare”) an der Universität Oxford gelten. Ihr Inhaber, der anglikanische Geistliche Andrew Linzey, ist für viele unbequem. Den kirchlichen Autoritäten Spaniens hält er das Versagen vor, Stierkämpfer nicht zu verurteilen, jene grausamen Spektakel, die bereits in der „Vorbereitung” auf den eigentlichen Kampf nichts an Brutalität zu wünschen übrig lassen: Die Stiere werden in Dunkelhaft gehalten, ihre Hörner samt dem schmerzempfindlichen Mark angesägt, Nieren und Nacken werden mit Sandsäcken geschlagen, die Geschlechtsteile mit Nägeln und Nadeln durchbohrt; dazu kommen Wasserentzug, Mannende Augeftsalben, die den Tieren die Orientierung rauben, und dicke Wattepfropfen in den Nasenlöchern, die das Atmen erschweren.

Insgesamt bezeichnet der Tier-Theologe aus^)xforddie Bilanz kirchlichen Einsatzes für die Tiere als „beklagenswert”. Linzey selbst ist bemüht, etwas daran zu ändern: Er arbeitet die christlichen Defizite im Bereich einer umfassenden Lebensethik wissenschaftlich auf, beteiligt sich an Protestaktionen gegen Tierversuche und tritt für eine vegetarische Ernährung ein.

Fest steht, daß kaum etwas anderes für das weltweite Wohlbefinden von Tieren und Menschen vorteilhafter wäre als eine deutliche Einschränkung des Fleischkonsums. Industrielle Massentierhaltung könnte dann drastisch reduziert oder gar abgeschafft und durch alternative Formen ersetzt werden. Die Überfülle tierischer Exkremente, die das Grundwasser verseucht, würde vermindert, die ungeheure Ressourcenverschwendung, die durch die Verfütterung von pfanzlicher Nahrung an Schlachttiere entsteht, zurückgehen: Durch den Verzicht auf ein Kilogramm Fleisch werden nämlich mehrere Kilogramm

Getreide zur menschlichen Ernährung frei. Einige neuere wissenschaftliche Untersuchungen weisen zudem nach, daß Menschen, die sich vegetarisch-vollwertig ernähren, länger und gesünder leben als durchschnittliche Fleischesser. Sie haben häufiger Idealgewicht und weisen deutlich niedrigere Blutdruck-, Harnsäure- und Blutfettwerte, eine bessere Nierenfunktion und eine nur etwa halb so hohe Krebsrate auf.

Einen Tag wieder (asten

Aus der Sicht einer christlichen Umweltethik käme es darauf an, menschliche Existenz wieder stärker als Teil der gesamten Schöpfung, als verbunden mit allem übrigen Leben, zu begreifen. Als genuin katholischen BeL trag zu einer schöpfungsfreundlicheren Praxis schlage ich vor, das Freitagsfasten als ökologisch vertieftes Großgruppenritual neu zu institutionalisieren. Katholisch sein hieße dann unter anderem, (zumindest) freitags nur vegetarische Speisen, also weder Fleisch noch Fisch, zu essen. Weiters plädiere ich für die Wied^raneignung eines „sakramentalen” Bewußtseins, das heißt eines Blicks, der fähig ist, die Schönheit der Kreatur als Zeichen und Widerspiegelung ihres göttlichen Urgrundes zu begreifen. Durch diese sakramentale Betrachtungsweise irdischer Dinge, die etwa in vielen Gedichten des englischen Jesuiten Gerard Manley Hopkins ihren klassischen Ausdruck fand, würde das ökologische Engagement der katholischen Kirche eine Vertiefung und Bekräftigung erfahren, die ihm ethische Imperative allein nicht vermitteln können.

Der Autor ist

Universitätsassistent am Institut für Ethik und Sozialwissenschaft der Katholisch-Theologischen Fakultät in Graz.

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