Lebensmittel auf dem Prüfstand

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Hohe Pestizidrückstände in Obst und Gemüse sowie Massentierhaltung, dafür immer niedrigere Preise für Lebensmittel - ein Blick auf ethische Fragen der Nahrungsmittelerzeugung.

Es war ein Ranking, das Aufsehen erregte: Österreich weise EU-weit die dritthöchste Pestizidbelastung in Lebensmitteln auf, kritisierte die Umweltschutzorganisation Global 2000. Dementis, Bestätigungen und Diskussionen folgten und sind noch nicht zu Ende. Eines zeigt die Diskussion jedenfalls: dass sich nach Jahren des bloßen Kalorienzählens und der Nährstoffanalysen endlich ein geändertes Problembewusstsein abzeichnet. Denn immer mehr Menschen fragen sich, ob wirklich zunehmend mehr landwirtschaftliche Flächen mit Schädlings- und Unkrautbekämpfungsgiften behandelt und mehr Tiere unter zumeist qualvollen Bedingungen gehalten werden müssen, damit der Mensch - in gesundheitsschädigendem Überfluss - leben kann.

Jeder Mitteleuropäer nimmt derzeit statistisch gesehen in seinem Leben 78.840 Mahlzeiten zu sich; rechnet man Nachmittagskaffe und Kuchen dazu, sind es sogar 105.120. Bei einer durchschnittlichen Dauer von 30 Minuten je Mahlzeit verbringt also jeder sechs Jahre nur mit Essen - Grund genug, sich Gedanken darüber zu machen, woher die Lebensmittel kommen und wie sie produziert werden.

Gesunde "Bio"-Kost

Die Denkweise zahlreicher Konsumenten, dass Lebensmittel ethisch vertretbar hergestellt werden sollen, ist dem Markt nicht entgangen. Seit längerer Zeit bemüht man sich daher mittels verschiedener "Bio"-Gütesiegel (siehe Kasten), die hochqualitative, umweltschonende und tierschutzgerechte Lebensmittelproduktion zu garantieren. Zwar wurde damit anfänglich Schindluder getrieben, mittlerweile haben sich aber Qualitätsmarken etabliert, die sich selbst strenge Kontrollen auferlegen.

Hinsichtlich der pflanzlichen Ernährung ist man mit Lebensmitteln aus kontrolliert biologischem Landbau also bestens beraten - einerseits was die Qualität und Rückstandsfreiheit dieser Produkte anlangt, andererseits auch hinsichtlich der Umweltverträglichkeit der Produktionsmethoden. Auch wenn chemisch-analytisch so gut wie keine Unterschiede bezüglich der Inhaltstoffe pflanzlicher Nahrungsmittel aus "Bio"-Anbau gegenüber denen aus landwirtschaftlichen Intensivkulturen festgestellt werden können, fällt auf, dass "Bio"-Produkte länger lagerfähig sind und im Tierversuch von Tieren signifikant lieber aufgenommen werden. Bei mit "Bio"-Nahrungsmittel gefütterten Kaninchen sinkt auch die Säuglingssterblichkeit von 32 auf 14 Prozent.

Signifikant auch der Unterschied in der Pestizidbelastung: Nachweislich enthält die Muttermilch von Frauen, die sich zu mehr als 80 Prozent mit Produkten aus kontrolliert biologischem Anbau ernähren, nur etwa ein Viertel der Pestizidmenge gegenüber der Muttermilch von Frauen, deren "Bio"-Anteil in der Nahrung unter 40 Prozent liegt.

Bei den tierischen Produkten sind etwa die Hühnereier aus Freilandhaltung ein deutliches Beispiel: Natürlich ist das Ei einer im Freiland gehaltenen Hennen chemisch-analytisch nicht von einem Ei aus Käfigbatteriehaltung zu unterscheiden. Der Unterschied liegt aber darin, dass das Mindestmaß für Käfighennen in Batteriehaltung derzeit 550 Quadratzentimeter pro Henne beträgt, was weniger als die Fläche eines Blattes Papier im A4 Format ist, die Henne in Freilandhaltung jedoch untertags mindestens zehn Quadratmeter zur Verfügung hat. Dass Eier aus Freilandhaltung nicht zu den günstigen Diskontpreisen angeboten werden können wie Eier aus Legebatterien, ist klar.

Nicht anders verhält es sich bei den Aktionspreisen für Schweine- und Rindfleisch, die auf diversen Postwurfsendungen angepriesen werden und zum Vorratskauf ermuntern sollen. Bei solchen Preisen steht für die Mast nicht viel Geld zur Verfügung - die Tiere stammen aus Massentierhaltungen, die in vielen Fällen objektiv als tierquälerisch einzustufen sind, auch wenn sie gesetzlich erlaubt sind.

Natürlich gibt es auch tierschutzgerecht gehaltene landwirtschaftliche Nutztiere - aber sofern sie nicht über ein bekanntes, streng kontrolliertes und vertrauenswürdiges Qualitätssiegel vermarktet werden, sind sie nur wie die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen zu finden. Aber immerhin werden Milch und Milchprodukte in der Regel unter halbwegs akzeptablen Bedingungen hergestellt: Milchrinder werden üblicherweise tierschutzgerechter gehalten als Mastrinder.

Als absolut tierschutzgerecht gewonnenes und hochqualitatives Fleisch ist das Wildbret anzusehen, sofern es von Tieren stammt, die bei ordnungsgemäßer Jagd in freier Wildbahn erlegt wurden. Diese Wildtiere wie Reh, Hirsch, Gämse, Wildschwein, Hase, Fasan und Ente haben freie Orts- und Nahrungswahl und werden eines Tages von einem Schuss getötet, den sie in der Regel nicht einmal mehr hören. Verglichen mit den rund 5,2 Millionen Schweinen und 700.000 Rinder, die jährlich in Österreich geschlachtet werden, haben sie keinen Haltungs- und Transportstress.

Vergleichbar mit Wild sind auch noch Fische aus Flüssen, Seen oder dem Meer, sofern sie nicht aus so genannten "Aquakulturen" stammen. Wild aus Gehegen und Gattern, wie etwa Damwild oder Rotwild (meist aus Neuseeland) ist hinsichtlich der ethischen Qualität hier bei weitem nicht mehr so hoch einzustufen, da hier schon mehr oder weniger intensive Produktions- und Mastmethoden angewendet werden.

Energie für das Vieh

Weltweit werden 1,3 Milliarden Rinder, 1,8 Milliarden Schafe und Ziegen, 900 Millionen Schweine, 15 Milliarden Hühner, Gänse, Enten und Puten gehalten. 40 Prozent der globalen Getreideernte werden nicht direkt zu Lebensmitteln, sondern zu Tierfutter verarbeitet. Um ein Kilo Rindfleisch zu erhalten benötigt man bis zu neun Kilo Getreide. Wird ein Rind durch importierte Futtermittel ernährt, muss pro Tier der Energieverbrauch eines Mittelklassewagens pro Jahr eingesetzt werden.

Zu all dem Tierleid, Getreide- und Energieverbrauch kommt letztlich auch noch der Umgang des Konsumenten mit den Lebensmitteln: Aus Amerika sind Berichte bekannt, nach denen etwa 30 Prozent der Nahrungsmittel vor Ende der Ablauffrist weggeworfen werden. Auch wenn dazu aus Österreich keine vergleichbaren Zahlen genannt werden können, fällt doch auf, wie leichtfertig mit den relativ billigen Lebensmitteln umgegangen wird. Im Falle von Fleisch und Fleischprodukten ist jedoch immer zu berücksichtigen, dass dahinter jede Menge Tierleid stehen kann.

Eine Frage des Geldes sollte es nicht sein: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts musste eine Arbeiterfamilie etwa zwei Drittel der Haushaltskasse fürs Essen aufwenden, heute dagegen braucht der Durchschnittsösterreicher nur rund 13 Prozent für Lebensmittel. Und isst dabei ohnehin viel zu viel Fleisch. Weniger Fleisch, dafür aber aus ethisch vertretbarer Produktion wäre nicht nur gesünder, es würde auf Dauer auch nicht mehr kosten.

Der Autor ist Amtstierarzt in Bruck/Leitha.

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