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Wenn die Kuh zur Sau gemacht wird

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Um möglichst leistungsfähige Hühner, Schweine und Kühe geht es im folgenden Beitrag. An drei konkreten Beispielen wird gezeigt, welche perversen Effekte es hat, wenn man Tiere wie Industrieprodukte behandelt.

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Um möglichst leistungsfähige Hühner, Schweine und Kühe geht es im folgenden Beitrag. An drei konkreten Beispielen wird gezeigt, welche perversen Effekte es hat, wenn man Tiere wie Industrieprodukte behandelt.

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Von den „fortschrittlichen” Käfighühnerhaltern wird übereinstimmend die Ansicht vertreten, das „moderne” Huhn (Hybridhuhn) sei durch die enorme züchterische Leistungssteigerung auch in anderen Lebensfunktionen derart verändert worden, daß es mit seinen Wildvorfahren, dem freilebenden Bankiva-Huhn, hinsichtlich seiner Verhaltensweisen nichts mehr gemein hätte. Diese Auffassung kommt auch in folgender Expertenfeststellung zum Ausdruck: „Das Hybridhuhn ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Retortenhuhn und gewohnt, im Käfig zu leben”.

Wir alle wissen jedoch, daß auch das Hybridhuhn aus einem Ei schlüpft, und zahlreiche Wahlversuche haben gezeigt, daß Hühner „freiwillig” nur dann in einen Käfig gehen, wenn es sonst nirgends Futter gibt. Dies entspricht auch einer sinnvollen Überlebensstrategie.

Im Gegensatz dazu haben Untersuchungen über das Verhalten von Nutztieren gezeigt, daß auch Hybridhühner, trotz mehrfach höherer Legeleistungsveranlagung, alle für das Wildhuhn lebenserhaltenden (essentiellen) Verhaltensweisen zeigen, wenn es die Haltungsbedingungen ermöglichen. Andernfalls kommt es zu Ersatzhandlungen in Form von abartigen Verhaltensweisen (Verhaltensstörungen).

Zu den essentiellen Verhaltensweisen von Legehennen zählen: Scharren bei der Futtersuche, Sandbaden zur Körperpflege, Aufbäumen als Schutzfunktion, Eiablage in ein Nest und Brüten am Ende der Legeperiode zur Arterhaltung usw. Auch das Hybridhuhn legt demnach bei gegebener Wahlmöglichkeit das Ei an einem dunklen, geschützten Ort ab.

Dabei braucht es von den ersten Suchbewegungen bis zum Verlassen des Nestes etwa 15 bis 20 Minuten. Bei Käfighennen ist die Zeit vor der Eiablage durch abartige Verhaltensweisen gekennzeichnet und die Eiablage wird auf über eine Stunde verlängert. Anerkennt man in Übereinstimmung mit Konrad Lorenz das Verhalten der Tiere als ihre „Sprache”, so sind die Verhaltensstörungen der Käfighennen ein „Schrei” nach einer tiergerechten Haltungsform (gilt sinngemäß auch für andere Nutztiere).

Schließlich wird auch noch öfters die Bibel mit dem bekannten Satz zitiert: „Machet euch die Erde Untertan”, um die industriellen Tierhaltungsformen zu rechtfertigen, ohne den Nachsatz: „... auf daß ihr sie pfleget und bewahret” im sinngemäßen Zusammenhang zu sehen.

In den vergangenen vier Jahrzehnten hat sich in der Schweinezucht ein radikaler Wandel' vom „Fettschwein” zum „Fleischschwein” vollzogen. Diese Entwicklung - mit ihren gravierenden Veränderungen für das Schwein selbst und das Schweinefleisch als Lebensmittel - wurde durch stark veränderte Preisrelationen zwischen fleisch- und fettreichen Teilstücken ausgelöst.

Durch intensive züchterische Bemühungen konnte der Mager-fleischanteil um über 50 Prozent erhöht und der Futterverbrauch um etwa ein Drittel verringert werden. Gleichzeitig hat sich die Fleischbeschaffenheit (Qualität) stark verschlechtert. Es kam zum häufigen Auftreten des sogenannten PSE-Flei-sches (PSE = pale-soft-exudative). Solches Fleisch zeigt eine hellrosa Farbe („pale”), hat eine weiche Konsistenz („soft”) und an der Anschnitt-flache ist ein vermehrter Flüssigkeitsaustritt festzustellen („exudative”).

Als Frischfleisch ist es unansehnlich und verliert bei der küchenmäßigen Zubereitung (Braten oder Grillen) mehr Wasser, sodaß es zäh wird und „strohig” schmeckt. Die einseitige Selektion auf einen hohen Magerfleischanteil hat aber auch eine starke Verminderung des intramuskulären Fettes (Fett zwischen den Muskelfasern) bewirkt, sodaß auch die Schmackhaftigkeit und Zartheit abgenommen hat. Durch die einseitige Zucht auf fettarme und fleischreiche Schlachtkörper wurde aber auch die Lebenskraft (Fitneß) der Schweine vermindert. Dies äußert sich in einer geringeren Belastbarkeit (Streßanfälligkeit), höheren Ausfallsraten während der Mast beziehungsweise beim Transport und einer geringeren Fruchtbarkeit, das heißt weniger Ferkel pro Wurf.

Das Rind ist ein Wiederkäuer und kann das rohfaserreiche Futter vom Grünland in die hochwertigen Lebensmittel Milch und Fleisch umwandeln. Dabei ist die Kuh bei der Umwandlung von Futter in Milcheiweiß besonders effektiv. Für den Boden sind die Leguminosen die natürlichen Stickstoffsammler und für das Rind sind sie hervorragende Futterpflanzen. So gesehen ist die Grünland- Milchwirtschaft eine sehr ökologische Form der Landbewirtschaftung.

Durch die EU-Agrarreform 1992 mit der von ihr ausgelösten Getreidepreissenkung und den Flächenprämien werden sich die Futterrationen für Milchkühe aber grundsätzlich ändern, Während bisher die Futterenergie im Gras konkurrenzlos günstig und auch in der Grassilage billiger als im zugekauften Kraftfutter war, kom-, men mehrere Untersuchungen für Bayern zum Schluß, daß nun die Futterenergie im Getreide um 20 bis 35 Prozent billiger ist als in der Silage beziehungsweise im Heu.

Betriebswirtschaftliche Berechnungen zeigen auch, daß die Rentabilität mit steigender Leistung je Kuh (und dementsprechend höherem Getreideeinsatz und geringem Grün-landfutterverbrauch) bedeutend zunimmt. Es werden daher langfristig die Kühe entweder in die Ackerbaugebiete „wandern”, oder in den Grünlandgebieten wird aus den Futterrationen Gras, Silage und Heu durch zugekauftes Getreide verdrängt.

In beiden Fällen wird die Kuh zur „Sau” gemacht, mit allen verdauungsphysiologischen Nachteilen für die Kuh, ökologischen Folgen für das Grundwasser (Nitrat-Eintrag durch starken Kraftfutterzukauf) und der mangelnden Kulturlandschaftspflege in den Fremdenverkehrsregionen. Biese Keformmaßnälftn'! sind zwar völlig unnatürlich, entsprechen aber ^er Logik einer' inc^gwljggj^^ Wirtschaft, wie sie die EU anstrebt und Österreich nun nachvollziehen muß.

In diesem Zusammenhang muß auch darauf hingewiesen werden, daß die multinationalen Nahrungsmittelkonzerne sich seit langer Zeit im Vergleich zur Massentierhaltung (Methan in die Luft, Stickstoff im Grundwasser ...) als die umweltverträglichere Variante darstellen.

Neuerdings behaupten Vertreter der Riotechnologie, daß das industrielle Verfahren auch das „effektivere” gegenüber dem landwirtschaftlichen Nutztier sei.

So meint der Präsident des JMestle-Konzerns, H. Maucher, in einem Zeitungsinterview (dlz, 1. Jänner 1995):

„Nur das, was direkt vom Feld kommt, hat Zukunft. Wir können die Menschheit nicht mit lauter Produkten ernähren, die über das Tier veredelt werden. Das ist Verschwendung von Energie und Rohstoffen und belastet die Umwelt. Die Erzeugung von Milch aus Soja ist dagegen eine hervorragende Lösung.”

Demnach wäre Milchpulver aus Soja in heißem Wasser aufgelöst die bessere Lösung, als das ursprünglichste Lebensmittel Milch aus dem Euter einer gesunden Kuh, die sich von einer Weide mit vielfältigstem Pflanzenbestand ernährt. Dieses Futter könnte der Mensch selbst nicht direkt verwerten und die Kuh pflegt gleichzeitig die Kulturlandschaft. Eine gewisse Berechtigung hat allerdings der Maucher'sche Vorwurf, wenn Kühe flächenunabhängig hauptsächlich mit Getreide gefüttert werden, das der Mensch ohne „Veredelung” über den Tiermagen essen könnte. Es hängt also ganz davon ab, welche Art von Landwirtschaft beziehungsweise Tierhaltung wir betreiben.

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