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Die dienende Funktion der Wirtschaft betonen
In einer Zeit wirtschaftlicher Absatzschwierigkeiten sollte einmal die grundsätzliche Frage aufgeworfen werden, ob die Sättigung der Nachfrage nicht auch darauf zurückgeht, daß die Wirtschaft derzeit zu wenig persönlich differenzierte Wünsche der Konsumenten befriedigt. Wird nicht vielfach an echten Bedürfnissen vorbeiproduziert?
In einer Zeit wirtschaftlicher Absatzschwierigkeiten sollte einmal die grundsätzliche Frage aufgeworfen werden, ob die Sättigung der Nachfrage nicht auch darauf zurückgeht, daß die Wirtschaft derzeit zu wenig persönlich differenzierte Wünsche der Konsumenten befriedigt. Wird nicht vielfach an echten Bedürfnissen vorbeiproduziert?
Das Auseinanderhalten dieser beiden Begriffe erweckt den Eindruck, als handle es sich um zwei, in jeder Hinsicht unterschiedliche Kategorien: Auf der einen Seite die Güterproduktion, die als Ergebnis materielle, handgreifli-. ehe Waren liefert und andererseits die Dienstleistung, die rechnerisch schwer erfaßbare, nicht materielle Dienste zum Inhalt hat.
Wie das Wort Dienstleistung schon aussagt, bedingt diese Art von Tätigkeit eine relativ enge Beziehung zwischen dem Anbieter der Leistung und dem Konsumenten. Beim Friseur, im Spital, in einem Fortbildungskurs sind jeweils ganz persönliche Leistungen Inhalt der Tätigkeit.
Hier hängt die Art der Leistung oft in starkem Maße davon ab, wer sie erbringt: Man läßt sich die Haare vor
zugsweise von einer ganz bestimmten Friseuse schneiden, man erwartet von einem bestimmten Arzt die beste Diagnose, usw... Der „Produzent“ richtet sich nach den Wünschen des Kunden.
Bei den Gütern scheint es anders zu sein. Von ihnen erwartet man sich einen bestimmten Nutzen. Mit dem Hersteller tritt man nur selten in Beziehung, meistens kennt man ihn gar nicht.
Von der Warte des Produzenten entsteht dadurch leicht der Eindruck, daß sich seine Verantwortung auf die Herstellung funktionsfähiger Produkte beschränkt. Er hat die Persönlichkeit des Konsumenten kaum zu berücksichtigen und nimmt ihn höchstens noch als statistische Durchschnittsgröße bei Marktanalysen zur Kenntnis. Als Ersatzfürdie persönliche Beziehung zwischen Produzent und Konsument wird versucht, eine emotionale Beziehung vom Kunden zur Marke herzustellen.
Haben nicht die Hersteller von Gütern, besonders wenn es sich um industrielle Produktion handelt, gänzlich den Aspekt aus den Augen verloren, daß letztlich auch sie in gewisser, sicherlich beschränkter Hinsicht in einem Dienstleistungsverhältnis, zu ihren Abnehmern stehen?
Wäre es nicht angebracht, sich wieder in Erinnerung zu rufen, daß auch die Herstellung von Gütern gewissermaßen eine Dienstleistung auf dem Umweg über ein materielles Substrat ist? Kleingewerbetreibende wissen das noch.'
Es ist nicht nur ein Theoretisieren, wenn ich auf dieses Problem hinweise. Daß der Dienstleistungsaspekt in der Beziehung zwischen Produzenten und Konsumenten von Waren stärker berücksichtigt werden sollte, möchte ich anhand der folgenden Beispiele illustrieren:
Bei der Mast von Kälbern, Schweinen und Geflügel werden dem Futter Hormonprodukte beigemischt, um ein möglichst rasches Wachstum der Tiere und damit einen höheren Ertrag zu er
zielen. Daß darunter die Bekömmlichkeit des Fleisches leidet, ist weitgehend wissenschaftlich erwiesen. Allerdings besitzt der Mensch kein Sensorium zur Feststellung dieses Qualitätsmerkmals.
Wohl aber registriert er, ob Fleisch fett oder mager ist. Dementsprechend wirkt auch die Auswahl über den Markt: Mageres Fleisch wird als qualitativ hochwertig eingestuft, die Hormonlast bleibt unberücksichtigt. Die Produktion richtet sich nur nach dem ersten Kriterium aus. Das zweite bleibt unberücksichtigt.
Verstünde sich aber der Erzeuger als jemand, der eine Dienstfunktion am
Verbraucher hat, nämlich für seine gesunde Ernährung zu sorgen, müßten andere Kriterien sein Handeln bestimmen.
Ein anderes Beispiel: Vor ein paar Jahren wurde aus den USA vermeldet, daß es gelungen sei, eine ideale Sorte von Paradeisern zu züchten. Die Früchte seien enorm widerstandsfähig beim Transport, hätten eine wunderschöne rote Farbe und seien verblüffend lang lagerfähig. Einen kleinen Nachteil hätten sie allerdings: sie schmeckten leider kaum mehr nach Paradeisern.
Oder: Aus Gründen der Arbeitskostenersparnis ist es rationeller, Wohnbauten mit vorfabrizierten Fertigteilen herzustellen. Möglichst viel wird auf normierte Art vorgeplant: Lichtschalter alle in derselben Höhe, Steckdosen alle am selben Platz, Küchen nach Osten, Wohnzimmer nach Westen.
Wenn in den Wohnblöcken der Südstadt „Zeit im Bild“ beginnt, verlagert sich das Leben auf die westliche Seite aller Wohnblocks: Dort haben fast alle Leute, den Raumverhältnissen entsprechend, ihre Wohnzimmer eingerichtet. Sie mußten ihre persönlichen Vorstellungen an das normierte Produkt anpassen.
An diesen Beispielen wird folgendes offenkundig: Im Vordergrund der Überlegungen stehen bei der Herstellung sehr oft nur die „Notwendigkeiten“ rationeller Produktion und viel zu wenig, was der Verbraucher oder Benützer eigentlich vom jeweiligen Produkt erwartet.
Ganz deutlich wird diese Problematik auch bei der Betrachtung der Langlebigkeit von Produkten, etwa des Automobils. Vom technischen Standpunkt gäbe es zweifellos keine Probleme, Autos mit einer durchschnittlichen Lebensdauer von rund zwanzig Jahren herzustellen.
Modelle aus der Nachkriegszeit haben diese heute sagenhafte Leistung beinahe vollbracht. Betrachtet man nun die Hauptaufgabe des Produkts Auto, so liegt sie zweifellos darin, seinem Benützer möglichst lang und zuverlässig Fahrleistungen bereitzustellen. Verstünde sich der Autohersteller primär als Dienstleister und nicht nur als Kom
binieret von Produktionsfaktoren, so müßte er vor allem auf die Langlebigkeit seiner Produkte abzielen. Würde sich allerdings die Lebensdauer der Autos verdoppeln, ginge die Erzeugung langfristig auf die Hälfte zurück. Daran haben nun aber die Hersteller durchaus kein Interesse, weil ihre Kalkulationen auf hohen Absatzziffern basieren. Also werden andere, relativ nebensächliche Aspekte der Leistung von Automobilen stark in den Vordergrund gerückt: Es wird eine Auto-Mode kreiert, das Auto wird zum Prestigeobjekt hochstilisiert, es werden geringfügige technische Verbesserungen bei unwichtigen Details (Autoradio mit Stereo-Anlage serienmäßig) als bedeutende Leistungssteigerung gefeiert. Das Produkt wird zum an sich erstrebenswerten Objekt gemacht. Der Hersteller wird seiner Dienstleistungsfunktion zu wenig gerecht. Er produziert am Kunden vorbei und versucht durch verschiedenste Maßnahmen in ihm jene Bedürfnisse zu wecken, die sein Produkt befriedigen kann.
Was ich damit zum Ausdruck bringen möchte? Es gilt heute die dienende Funktion der Wirtschaft wieder stärker ins Bewußtsein zu rufen. Denn derzeit schreiten wir ja noch hurtig in die falsche Richtung voran?
Wir sind nämlich drauf und dran auch den Dienstleistungssektor nach rein industriellen Kriterien, also unter Vernachlässigung der Persönlichkeit des Verbrauchers zu organisieren. Wer das Unglück hat, in einem modernen Großkfankenhaus behandelt zu werden, weiß ein Lied davon zu singen.
Es gilt die Souveränität des Konsumenten wieder ernst zu nehmen. Die Wirtschaft muß sich so organisieren, daß sie seine persönlichen Wünsche möglichst optimal befriedigt. Sie darf ihn nicht, wie das häufig geschieht, als unmündigen Abnehmer ansehen, dem man erst klar machen muß, was er sich eigentlich wünschen sollte.
Das bedeutet nicht etwa, daß man jetzt jedem Unternehmer vorschreiben sollte, was er im einzelnen tun und lassen darf. Es bedeutet aber sehr wohl, daß man sich Regeln einfallen lassen sollte, die ein solches umfassendes Interesse des Erzeugers am Wohl seiner Kunden begünstigen.
Das sollte zu einer Begünstigung der kleineren Produktionseinheiten führen, zu einer Erhöhung der Verantwortung der Erzeuger für die Lebensdauer ihrer Produkte, zur Förderung des Verständnisses, daß wirtschaftliche Leistung als Problemlösung und nicht nur als Herstellung seines Produkts vèrstanden werden soll.
Interessensvertretungen der Wirtschaft könnten sich Lorbeeren bei Vorschlägen zur Förderung dieser Prinzipien holen und sich von dem Image befreien, nur bremsend auf Initiativen von anderer Seite zu reagieren.
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