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Geschmack kann erlernt werden

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Nach dem oft zitierten römischen Sprichwort sollte man über Geschmäcker nicht streiten. Das läuft auf eine Leugnung allgemein verbindlicher Geschmacksregeln hinaus: Geschmack war Privatsache. Heute ist Geschmack in weit höherem Maße eine gesellschaftliche Konvention, die von Jahr zu Jahr und von Land zu Land wechselt, weniger abstraktes Wertsystem, auch nicht reine Privatsache. Starres Festhalten am individuellen Geschmack wird zur Skurrilität. Wer über guten Willen, ein Minimum an Beobachtungsgabe und ästhetischem Urteil verfügt, kann sich dem ®e-

schmack der Zeit entsprechend kleiden und. seine Wohnung einrichten. Halten wir fest: Geschmacksurteile sind relativ und Geschmack kann erzogen werden.

Es geht uns gut. Wir sind nicht mehr mit dem Notwendigen zufrieden. Wir wollen das Schöne, das Besondere. Hoher Gebrauchswert einer Ware wird als selbstverständlich erwartet. Er ist heute auch fast immer gegeben. Aber er genügt nicht mehr. Der Symbolwert gibt den Ausschlag. Ein Gegenstand soll nicht nur zweckmäßig sein. Er soll das Lebensgefühl erhöhen. Er soll eine Aura vom Fortschritt, Erfolg, Sportlichkeit usw. verleihen. Es ist interessant, dies an einigen Beispielen zu erläutern. Denken wir an das Auto! Nicht daß dem Käufer die Bremsen gleichgültig sind, aber wer kann hierin schon Unterschiede feststellen? Und welches Lebensgefühl verleihen Bremsen schon? Da ist es mit der Schnittigkeit, dem „Gesicht“, schon etwas anderes, obwohl das mit Technik kaum noch etwas zu tun hat. Auch die Farbe fällt ins Gewicht. Ein anderes typisches Beispiel: Bettwäsche. Sie war bis vor kurzem weiß. In der Textilbranche wurden die Worte Weißwaren und Bettwäsche synonym verwendet. Heute hat auch diese Ware geschmackliche Eigenart durch eine Fülle von Farben und Mustern. Auch der Kühlschrank ist ästhetisch befriedigend und die bunte Waschschüssel keine Extravaganz mehr. Es ist nicht zu leugnen: Geschmack ist zu einem Wirtschaftsfaktor ersten Ranges — und unser Leben dadurch schöner geworden.

Der Wirtschaftler und widerstrebend auch der Techniker haben eingesehen, daß sich auch ein gutes Produkt nicht verkaufen läßt, wenn es nicht mit Geschmack gestaltet ist. In vielen Fällen ist es überhaupt nur auf geschmacklichem Gebiet möglich, den Konkurrenten zu schlagen, weil sich die Waren sonst kaum noch unterscheiden. Leider ist nun Geschmack, im Gegensatz zur Qualität, schwer meßbar. Außerdem wechselt er beängstigend schnell. Was am Reißbrett entsprach, kann ein paar Monate später am Ladentisch bereits passe sein. Dieses Tempo der Geschmacksveränderung hat natürlich auch sein Gutes. Die enormen Mengen produzierter Güter wären sonst gar nicht abzusetzen. Nicht der verminderte Gebrauchswert (zerrissen), sondern der verblaßte Symbolwert ist der tiefere Grund vieler Neuanschaffungen. Aber das Unbehagen der Techniker und Manager bleibt und mündet in die Frage: Welche Kräfte verändern den Geschmack? Kann man sie beeinflussen?

Man kann. Es soll hier nicht einem völligen Relativismus des Geschmacks das Wort geredet werden. Natürlich untersteht auch er den ästhetischen Grundprinzipien, wie etwa Rhythmus, Kontrast, Proportion. Aber der Versuch, von dieser zeitlosen Warte aus zu definieren, welche Rocklänge und welcher Kühlergriff geschmackvoll sind oder gar, welche in einem Jahr dem Geschmack entsprechen werden, bleibt Theorie. Hier findet der Wirtschaftler keine Hilfe. Eher blüht hier der Weizen des Motivforschers, der die Mechanik von Nachahmen und Sich-Unterscheiden-Wollen bloßlegt und die unbewußten Wunsch Vorstellungen aufdeckt, die unseren Handlungen zugrunde liegen. Aber auch seine Folgerungen sind allgemein, weil das Publikum selbst nicht genau weiß, was es morgen will. Es ist'die Kunst der Publizistik, ihm das einzugeben, seine verschwommenen Vorstellungen in konkrete Kaufwünsche umzumünzen Es ist müßig, zu untersuchen, ob die schöpferischen Talente an der Spitze, welche die neuen Ideen formen, ganz selbstherrlich arbeiten oder nur eine besonders feine Witterung dafür haben, was ihrem Publikum morgen gefallen wird. Durchsetzen wird sich jedenfalls nur das, was geschickt lanciert wird. Uebrigens auch das nicht immer; aber..ohne Publicity geht es auf gdt keinen Fall. Wer vötf Uns hat schon Gelegenheit, einer Dior-Premiere beizuwohnen? Was wüßten wir überhaupt von Dior, gäbe es keine Publizistik? Wir alle kennen nur Berichte, und diese sind gesiebt. Von den hunderten Modellen einer Saison haben wir vielleicht ein Dutzend abgebildet gesehen. Ausgewählt wurde dieses Dutzend nicht von Geschmacks-, sondern von Pressefachleuten, also in erster Linie nach seiner Eignung zur Publizierung. Aber dieses Dutzend ist für 99,9 Prozent der Modeinteressierten „die Dior-Kol- lektion“, und die Nachahmungen sind Legion, während vielleicht viele noch bedeutendere Modelle unbekannt bleiben. Denn es ist leider nicht so, daß jede gute Leistung zwangsläufig publik wird.

Der Erzeuger von Waren, die auch nach geschmacklichen Gesichtspunkten gekauft werden, kann diese Geschmackspropaganda nicht negieren. Wenn er sich dem Zug der Zeit fügt und die gängigen Parolen variiert, arbeitet sie für ihn. Will er davon abweichende, eigenständige Schöpfungen verkaufen, so genügt das Niveau allein nicht mehr. Der .Weg zum Konsumenten ist ja so weit. Der Handel disponiert verständlicherweise sehr vorsichtig, wenn etwas aus dem Rahmen fällt. Bei dem enormen Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Konsumenten gerät das, wovon man noch nichts gehört und gesehen hat, allzuleicht ins Hintertreffen. Damit sind wir mitten im Thema: Techniker und Designer sind, sofern sie geschmacklich Eigenes und Neues durchsetzen wollen, auf den Publizisten angewiesen. Er ist in einer Betrachtung wie der unseren die Schlüsselfigut. Deshalb verdient er auch Unterstüzung und nicht die kalte Schulter, die ihm in Oesterreich noch oft gezeigt wird. Seine Arbeit ist schwer und verantwortungsvoll. Schwer ist sie deshalb, weil es vieler Impulse und ständiger Wiederholung bedarf, um die Ansichten der Menschen zu ändern, und weil hierfür selten die nötigen Summen„zur,iVerfügungsteJmn:..Es kommt nach:or "meiner Erfahrung auf zwei Dinge an: zunächst den Menschen zu überzeugen, daß guter Geschmack die Freude am Leben steigert; also ist die tiefe Skepsis des Umworbenen gegen alle Imperative abzubauen und durch die Einsicht zu ersetzen, daß er selbst dabei gewinnt.

Zum anderen: ihm das gute Neue immer wieder zu zeigen. Ueberreden und beschreiben hat kaum Erfolg. Aber was das Publikum oft genug sieht, das akzeptiert es plötzlich. Wir erleben das bei jeder neuen Mode. Geschmackserziehung lebt vom Zeigen.

Ich habe die Aufgabe des über Dinge des Geschmacks schreibenden Publizisten auch ver- anwortungsvoll genannt. Sie ist es in zweifacher Hinsicht: einmal gegenüber der Wirtschaft. Schreiben geht schneller als Produzieren. Wir haben erst kürzlich erlebt, wie verzerrte Veröffentlichungen den Markt stören. „Paris diktiert wieder Taille!“ Was keineswegs stimmte, und alle Lager waren voll Empire. Es ist evident, wie wichtig eine wohlfundierte Berichterstattung über Geschmacksdinge für die Wirtschaft ist, welche nicht dem aktuellen Sensatiönchen nachläuft, sondern die Kontinuität der großen Entwicklung und das tatsächliche Angebot im Auge behält. Viele Wirtschaftszweige könnten ohne solche echte publizistische Geschmackserziehung kaum florieren.

Fast noch schwerer wiegt die Verantwortung des Publizisten vor seinem Leser: Er soll ihn für Geschmacksfragen interessieren, seinen Sinn für das schöne Neue wecken, ihn vor Auswüchsen warnen, die Zusammenhänge zwischen bleibenden Regeln und wechselndem Lebensstil zeigen. Wenn wir dem Publizisten eine Schlüsselposition in der Geschmackserziehung zubilligen, dann muß er es, sich auch gefallen lassen, daß wir ihn von einer Mitschuld an manchen Geschmacklosigkeiten nicht freisprechen können — selbst wenn sich gewisse Verkäufer die Hände reiben. Schließlich ist Geschmackserziehung nur sekundär ein Mittel zur Ilmsatzsteigerung. Sie ist in erster Linie Dienst am Menschen. Denn Geschmack ist oft das letzte Refugium des Schöpferischen im technisierten Lebensstil. Er macht uns reicher.

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