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Strom und Bequemlichkeit

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Zumindest die gesamte Bevölkerung der westlichen Welt hat Ende vorigen Jahres das Menetekel möglichen oder sicheren Energiemangels wahrgenommen. Für Eingeweihte war die Drohung schon viel früher erkennbar. Nun, der Winter war milde, Einschränkungen des Energieverbrauches hat es nur in geringem Maße gegeben — bei Strom gar nicht — und alles läuft wieder weiter im alten Trott. Nur noch Experten bekümmert die Sorge um ausreichende Energieaufbringung in der Zukunft. Die Masse denkt nicht daran, sie grollt über den höheren Preis für Energie.

Ist die Gefahr eines Energiemangels wirklich gebannt? Das hängt nicht nur von der Größe der erkundeten Vorräte, nicht nur von der Erfindungsgabe der Techniker ab, sondern auch von der Zunahme des Energieverbrauches. Hier soll allerdings nur eine Sparte der Energiewirtschaft, die Elektrizitätswirtschaft, ein wenig näher betrachtet werden. Mag auch ihr Anteil am gesamten Energieverbrauch mit nicht einmal 13 Prozent in Österreich bescheiden anmuten, so spielt sie doch eine ganz bedeutende Rolle. Wobei sich fragt, inwieferne sie überhaupt „spielt“ oder ob ihr nicht ein gewisser Rollenzwang auferlegt ist. Ein Zwang, dessen sich wohl die Fachwelt bewußt ist, nicht aber eine breitere Öffentlichkeit. Zu selbstverständlich kann zu jeder Tages- und Nachtzeit elektrische Energie dem Netz entnommen werden. Zu sehr hat in der Vergangenheit dieser Wirtschaftszweig durch Erfüllung aller Ansprüche seine Kunden in Sicherheit gewiegt.

Die Elektrizitätswirtschaft arbeitet unter ganz eigenen Bedingungen, unter dem Zwang, ihre Ware, die Kilowattstunde, jederzeit mit gleicher Qualität, nämlich gleicher Spannung und gleicher Frequenz, liefern zu müssen. Der Kohlenhändler oder der Tankwart kann seine Kunden wegschicken, wenn seine Lager leer sind und bedauernd mit der Schulter zucken. Gaswerke können ihre Ware mit niedrigerem Druck liefern und damit den Verbrauch reduzieren. T>as gelieferte Gas mag zum Kochen reichen (bei allerdinigs längerer Zeitdauer), aber der Durchlauferhitzer würde nicht mehr im wünschenswerten Maße Wasser wärmen, und Räume würden nicht mehr so angemessen geheizt, wie man es gewohnt war. Praktizierte man mit Strom ähnliches (Spannungssenkung), dann würde wohl der Verbrauch niedriger, aber vielerlei Elektrogeräte — Fernsehapparat, Elektromotore — könnten nur noch schlecht oder nicht funktionieren, könnten unter Umständen gar Schaden leiden. Elektrizitätswerke müssen stets Ware gleicher Qualität liefern, sie dürfen nicht willkürlich diesen oder jenen Konsumenten vom Strombezug abschalten. Sollte einmal Strom ausbleiben, dann nur aus Gründen höherer Gewalt. Oder auf Verfügung der Behörde.

Die Behörde regelt auch oder ge-. nehmigt die Preise für elektrische Energie. Gewiß, sie tut es über Antrag der E-Werke. Dennoch kann selbst auf diesem Gebiet die Elektrizitätswirtschaft nicht das unternehmen, was sie für gut oder notwendig hielte.

Man sieht, dieser Wirtschaftszweig wird seinerseits getrieben von Kunden und deren zunehmenden Forderungen und anderseits in ihren Maßnahmen gezügelt durch die Behörde. Er steht unter dem Zwang stetig steigender Investitionen und unter dem Druck politisch festgesetzter Strompreise.

Was dann aber, wenn Strom wirklich knapp würde? Dergleichen kann nicht absolut ausgeschlossen werden. Die kritische Zeit für solche Verknappungserscheinungen ist in Österreich bekannterweise der Winter. Mit dem Fallen der Temperatur und .mit dem Rückgang der Wasserdarbietung bei hydraulischen Kraftwerken steigt gleichzeitig der Stromverbrauch. Die hier sich öffnende Schere zwischen Erzeugung und Verbrauch mußte seit jeher durch den Einsatz thermischer Kraftwerke geschlossen werden. Neuerdings sind Stromimporte hinzugetreten. Für die thermische Produktion müssen Brennstoffe vorrätig sein. Heimische Braunkohle reicht hiefür nicht mehr aus. Mit Erdgas oder mit schwerem Heizöl befeuerte Dampfkraftwerke übernehmen im Winter einen sehr hohen Teil der Dauerlast. Wird durch irgendwelche Ereignisse ausreichender Nachschub an Brennstoff unmöglich, dann kann auch nicht ausreichend Strom erzeugt werden. Dann aber müßte notgedrungen der Stramkonsum irgendwie eingeschränkt werden.

Die Elektrizitätswirtschaft kann solche Einschränkungen nicht verfügen. Und die Behörde ist um ihre Entscheidung nicht zu beneiden. Denn solche Entscheidungen haben auf jeden Fall politischen Charakter — ob gesellschafts- oder wirt-schaftspolitischen. Bei Maßnahmen, die auf längere Frist hin wirksam sein müssen, wird man voraussichtlich vor der Alternative „Produktion oder privater Komfort“ stehen. Das in der Nachkriegszeit verschriebene Rezept der Einschränkung industriellen Stromverbrauchs wird nur partiell nützlich oder wirksam sein. Wie empfindlich sich die Beschneidung der Stromzufuhr auf einen Industriebetrieb und auf die in ihm Beschäftigten auswirkt, hat erst kürzlich ein Beispiel in der Steiermark gezeigt. Die Verluste sind bedeutend. Heutzutage aber spielt der Stromverbrauch der Haushalte ebenfalls schon eine wesentliche Rolle. Somit äst die Frage berechtigt, inwieweit diese Kundengruppe Kontingentierungen hinzunehmen imstande wäre.

Elektrogeräte im Haushalt haben unsere kleine Welt der Lebensgewohnheiten stark verändert. Was davon ist nützlich, was lebensnotwendig? Welche Arten von Elektrogeräten könnten in einem nennenswerten Maße zur Reduzierung des Stromverbrauches durch Verzicht ihrer Anwendung beitragen?

Bei der Beleuchtung hat Strom heutzutage ein Monopol. Eine Einschränkung der Lichterflut hätte zumindest symbolischen Charakter. Elektromotorisch betriebene Geräte wie Staubsauger, Mixer und dergleichen werden eher kurzfristig betrieben. Aber natürlich, ein teilweiser Verzicht auf sie könnte ein kleiner Beitrag sein. Den mit Abstand höchsten Anteil am Stromverbrauch hat im Haushalt die Elektrowärme. Damit ist nicht nur die Raumheizung gemeint. E-Herd, Heißwasserspeicher, Waschmaschine, Geschirrspüler, Badezimmeirstrahler — die sind es, die den Stromzähler zu raschem Laufen bringen.

So schön und umweltfreundlich die Elektroraumheizung ist, so mehren sich doch die skeptischen Stimmen. Die Wiener Stadtwerke haben sich in ihrem Geschäftsbericht 1972 unmißverständlich geäußert:

„Schließlich sei darauf hingewiesen, daß die Annahme unrealistisch ist, man könne aus Gründen des Umweltschutzes die Heizung mit elektrischem Strom immer mehr ausweiten. Der elektrische Strom ist an sich nicht zum Heizen da und wird immer nur einen sehr geringen Teil des Heizbedarfes decken können.“

Wie immer eine von der Behörde verfügte Kontingentierung des Haushalt^Stromverbrauches aussähe, ihr würde doch ein gesellschafts-politiscber Akzent anhaften. Verfügte man etwa eine 50prozentiige Drosselung des Stromverbrauches im Vergleich zum Verbrauch des Vorjahres, dann fühlte sich derjenige benachteiligt, der sich eben neue E-Geräte angeschafft hat. Ihm wäre noch zu helfen. Nicht aber dam, der ohnehin in minimalstem Maße Strom verbraucht hat.

Würde höherer Stromverbrauch pönalisiert, etwa durch ein Mehrfaches des sonst pro Kilowattstunde zu bezahlenden Preises, dann könnte so mancher einen Mehrverbrauch hinnehmen, eben weil er sich den Luxus leisten kann. Das bedeutet: legalisierter „Schwarzer Markt“. Dennoch hat der Gedanke etwas Bestechendes, eine gewisse Strommenge pro Wohnung oder pro Kopf zu einem niedrigeren Preis anzubieten, einen Stromverbrauch darüber hinaus aber durch höheren Preis zu bremsen. Wäre das nicht ein „sozialer Tarif“? Dagegen spricht jedoch nicht allein, daß jeglicher Stromtarif, ob Grundpreis- oder Staffeltarif, bislang möglichst kostennah kalkuliert wurde und — nebenbei — zu höherem Stromverbrauch stimulierte. Dagegen spräche auch, daß, eben das gleiche Prinzip auch auf die Wirtschaft angewendet, deren Wachstum und Leistung bewußt begrenzen würde. Überhaupt ließe sich keinerlei Preiskonnex zwischen Wohnungen- oder Kopfzahl und industriellem oder gewerblichem Stromverbrauch herstellen. Und, was wäre mit Zweitwohnungen in sogenannten Erholungsgebieten? Solcherart gleiches Recht auf Strom für alle herzustellen, wäre nicht nur schwierig, sondern überaus problematisch.

Die Briten haben sich mit dem Ro-tasystem, der vierstündigen Abschaltung einzelner Flächen, wohl abgefunden. Ob das auch der Österreicher zuwege brächte?

Wir sind verwöhnt, verwöhnt durch die Möglichkeit, Elektrogeräte zu gebrauchen, verwöhnt auch durch die E-Werke, die für unterbrechungsfreie Stromlieferung gesorgt haben. Dieses Verwöhnt-Sein wird heute gleichgesetzt, zumindest teilweise, mit dam Wort Lebensqualität. In Wahrheit sollte man von Lebensbequemlichkeit sprechen. Werden wir Österreicher, wir Europäer, wenn es darauf ankommen sollte, auch wieder haushalten lernen? Haushalten mit Gütern und Mitteln, die uns Natur und Wirtschaft zur Verfügung stellen?

Verminderung der Lebens q u a 1 i-t ä t, richtig besehen, wäre damit schwerlich verbunden. Minder bequem hätten wir es. (Vor zehn Jahren hat die Tarifgruppe Haushalt nicht einmal halb soviel Strom verbraucht wie heute. Allerdings, die Zahl der Wohnungen war geringer.) Immerhin, der überwiegende Teil der Bevölkerung europäischer Staaten verfügt heute, dank industrieller Produktivität, über weit mehr Freizeit als vor hundert Jahren. Damals war wenigen vorbehalten, was heute noch als Qualität gilt, als künstlerische Qualität, wert der Anschaffung oder der Besichtigung. In diesem Belange zur „Seifostverwirklichung“ zu gelangen — um ein weiteres Schlagwort zu erwähnen — könnten heu-zutage viele Muße finden. Muße für Bücher, die einstens Luxus waren, Muße für Musik, die heute aus der Konserve genossen, statt selbst geübt wird, Muße für passive oder aktive Freizeitnutzung — malen oder basteln usw.

Selbst unter einer teilweisen Minderung unserer Lebensbequem-lichkeit müßte die Lebens q u a-1 i t ä t nicht fühlbar leiden. Für sie dürfte es auch in Hinkunft weniger an Zeit oder Möglichkeiten fehlen, als an der Anleitung, für welche die Elektrizitätswirtschaft aber nicht zuständig ist.

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