"Grünes Juwel" unter den Industrieländern

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Ein "grünes Juwel" könnte Österreich sein, eine "Insel im Ozean des Neoliberalismus der OECD-Länder", meinen die Autoren. Sie illustrieren diese Vorreiterrolle anhand des Systems der Energieversorgung.

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Ein "grünes Juwel" könnte Österreich sein, eine "Insel im Ozean des Neoliberalismus der OECD-Länder", meinen die Autoren. Sie illustrieren diese Vorreiterrolle anhand des Systems der Energieversorgung.

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Wer Visionen hat, ist kerngesund. Wer ihrer entbehrt, eine graue Duckmaus. Visionen sind im Gegensatz zu Utopien konkrete Entwürfe für eine bessere Zukunft. Ökologische Gesamtalternativen werden vom Zeitgeist gerne als Utopien abgetan. Doch die wahre Utopie liegt in der trügerischen Hoffnung, die Lebensweise des reichen Fünftels der Menschheit globalisieren zu können. Schon jetzt ist die Erde überfordert. Bei einer zusätzlichen Verfünffachung von Ressourcenverbrauch und Emissionsniveau steuerten wir geradewegs in die Ökokalypse. Das ungebremste Wachstumsprojekt der EU fährt exakt diesen Kurs. Diese Einsicht verpflichtet uns, Gegenvorschläge anzubieten und die Alternativszenarien zu detaillieren. [...]

Alle großen ökologischen Krisen (Verkehr, Chemielandwirtschaft, Massenproduktion, Urbanisierung) sind nicht nur Kinder des Industriezeitalters, sondern beruhen wie dieses primär auf dem massiven Verbrauch fossiler Brennstoffe. Die industrielle Ära verdient daher den Zweitnamen "fossiles Zeitalter", dem bereits eine wünschenswerte Konnotation von Vergangenem anhaftet. Es ist höchste Zeit, diesen monumentalen (zweihundertjährigen) Irrtum auf dem Weg der kulturellen Evolution endlich einzubekennen und Platz für die solare Zukunft zu schaffen, in der die menschlichen Zivilisationen, anstatt die Eingeweide des Planeten zu verheizen, dessen grünes, erneuerbares Angebot annehmen und nutzen lernen: Sonnenstrahlen für Strom, Raumwärme und Brauchwassererhitzung, rezente Biomasse (Holz, Alkohol, Methan), Wind und Wasser sowie Geothermie.

Wenn die intelligenten Politiker des grünen Juwels das fossile Paradigma gegen das solare eintauschten und alles monetäre und wissenschaftliche Potential in erneuerbare statt in zukunftslose Energiequellen steckten, dann könnten bald sämtliche Energiebedürfnisse Österreichs gelassen "grün" gestillt werden. Es müßten allerdings auch noch drei weitere Paradigmen (oder Dogmen) aufgegeben werden: * das Dogma der zentralen Stromversorgung; * das Wachstumsparadigma der Energiebranche (jede verkaufte Kilowattstunde und jeder versetzte Tropfen Erdöl bringt Geld, ergo verkaufen wir so viel wie möglich und tun unser Bestes, damit der Bedarf weiter steigt); * das Paradogma der Autofahrergesellschaft. Ohne Verzicht auf das Privatauto kann der zukunftslos hohe Energieverbrauch nicht auf ein mitweltverträgliches Niveau gedrosselt werden. Allein im Verkehr emittieren die Österreicher mit rund 20 Millionen Jahrestonnen CO2 mehr als ihnen insgesamt zusteht (nur zwei Tonnen pro Kopf oder 16 Millionen Tonnen zusammen).

Dezentralisierung in der Stromversorgung ist der erste Schritt zur Energieautonomie. Großprojekte hinterlassen nicht nur die ökologisch destruktivsten Spuren, sie leben auch mit den höchsten Erzeugungs- und Leitungsverlusten und müssen immens große "Reserven" für potentielle Spitzenverbrauchszeiten anlegen, was die Gesamteffizienz abermals verringert.

Abkehr von zentralen Prestigeprojekten Ernsthafte Energiesparpolitik fragt, wo welche Energieform benötigt wird und wie sie am effizientesten bereitgestellt und eingesetzt werden kann, anstatt in zentralen, vom Bedarfsort oft weit entfernten Prestigeprojekten massenhaft zu produzieren und den Weg zwischen Erzeugung und Verbrauch mit aufwendigen und gesundheitsschädlichen Stromleitungen zu verhängen. Den Megawatts wird absoluter Vorrang vor ihren Megakollegen eingeräumt.

Ernsthafte Energiesparpolitiker fördern daher die Biogasgewinnung aus möglichst vielen organischen Abfällen, die Dekoration möglichst vieler nach Süden geneigter Dächer mit Warmwasserkollektoren und Photovoltaikanlagen sowie das Aufstellen eines Windrades in jeder siedlungsnahen zugigen Luftschneise. Sie ergänzen die Kleinangebote mit Hackschnitzel- und Blockheizkraftwerken und kuppeln dadurch sukzessive erst Einzelgehöfte, dann Kleinkommunen und schließlich auch größere Ortschaften vom Netz ab. Selbst Städte sollten ihre energetische Autarkie soweit pflegen, daß sie bald nur mehr ein Viertel des heutigen Verbrauchs aus dem Netz saugen.

Der zweite Schritt besteht im Ausschöpfen aller Einspar- und Effizienzmaßnahmen, begonnen bei besserer Wärmedämmung (durchaus mit biologischen Mitteln: Pflanzenfasern, Schafwolle), Solararchitektur und Energiesparverträge ("Contracting") über Least-Cost-Planning, Kraft-Wärme-Kopplung und Fernwärmenutzung bis hin zur Herstellung effizienterer Elektrogeräte und deren Verzicht (Air-Condition, Tiefkühltruhe und Mikrowelle, Staubsauger, Wäschetrockner). Je mehr man einspart, desto schneller ist man im Dorfverbund autark.

Des Konsumenten verantwortungsbewußte Kaufentscheidung kann weitere enorme Mengen an Energie einsparen, auch in anderen Teilen der Welt und vor allem im Transport: Kategorische Privilegierung lokaler Produkte, Boykott von Treibhausgemüse und Flugobst, irreparablen Einwegartikeln, Verpacktem und Ramsch. Die Konsequenzen sind oft ungeahnt weitreichend: Frage ich beispielsweise österreichische Bioäpfel nach, anstatt blind das billigste Supermarktoffert zu hamstern, dann gestatte ich den heimischen Obstbauern das Überleben mitsamt ihren Streuobstwiesen (nicht den steirischen Chemiekulturen). Ich glaube nicht, daß irgend jemand unglücklich würde, wenn seine Äpfel nicht mehr mit dem Flugzeug aus Chile, sondern wieder aus dem niederösterreichischen Mostviertel kämen.

Die wichtigste, effizienteste und wirkungsvollste Energiesparmaßnahme des Einzelnen ist wohl die schwierigste (für viele, nicht für alle): die schrittweise Abkehr von der Galionsfigur des Industriezeitalters, vom Fetisch der Konsumgesellschaft, vom Schlachtroß des "freien" Bürgers: Freund Auto.

Freund Auto furzt nämlich allein nicht nur mehr Kohlendioxid in die Alpenluft als die Biosphäre wieder herausreinigen kann (diese verflixten zwei Tonnen pro Mensch), sondern reitet schon in der Herstellung hundert Attacken gegen den Planeten (die in der Produktion anfallenden Emissionen sind etwa gleich hoch wie die während des Betriebs; strenggenommen verbraucht also selbst ein Fünf-Liter-Auto zehn Liter) und während des Betriebs gegen Kinder, Wälder, Lungen, Ohren und Siedlungsstrukturen.

Wem also das alles am Herzen liegt, der sollte nicht nur sein privates Blechkistchen schnellstens einschrotten, sondern natürlich auch das Flugzeug als ein die Stratosphäre mit Gift vollpumpendes, das Ozonhymen verletzendes, die immer zahlreicheren Anrainer zum Abrainern verführendes und schließlich hoffnungslos elitäres Transportmittel (die ganze Welt wird nie fliegen können) strikt boykottieren.

Nochmals die wichtigsten Ziele grünjuwelener Energiepolitik: Drosselung des nationalen CO2-Ausstoßes auf maximal 16 Millionen Jahrestonnen (derzeit 63 Millionen), Abschalten aller kalorischen Kraftwerke, Abspannen aller Hochspannungsleitungen, flächendeckende Niedrig- und Nullenergiegebäudeinfrastruktur, Ausstieg aus der Automobilisierungsfalle. [...]

Über die Autoren: Univ. Doz. Peter Weish ist Lehrbeauftragter für Humanökologie an der Universität f. Bodenkultur in Wien, Christian Felber freier Publizist.

Ihr Beitrag ist ein Auszug aus dem kürzlich erschienenen Buch: Zukunft Österreich. EU-Anschluß und die Folgen Von Günther Witzany (Hrsg) Unipress Verlag, Salzburg 1998, 287 Seiten

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