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80 Kilo Material pro Kopf und Tag

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Jeder lebende Organismus steht in einem Austauschverhältnis mit seinem Umfeld: Er entnimmt ihm Stoffe, verwertet sie und scheidet das, was er nicht nutzt, aus. Unter diesem Aspekt läßt sich auch der Stoffwechsel eines Landes darstellen: Welche Stoffe werden der Umwelt entnommen, wie werden sie verwendet und was wird nach der Nutzung an die Umwelt zurückgegeben?

Die vorige Woche veröffentlichte Untersuchung „Materialflußrechnung Osterreich" des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie geht der Frage nach: Wie setzen sich die Materialien, die durch unsere Wirtschaft geschleust werden, zusammen? Und wie verändert sich dieser Fluß mit steigendem Wohlstand? Umweltbelastend wirkt ja nicht nur die Schädlichkeit mancher Produkte, sondern vor allem auch die Menge des Materials, das zum Einsatz kommt.

Nachhaltiges Wirtschaften kann sich daher nicht allein darauf ausrichten, weniger umweltbelastende Produkte zu erzeugen, umweltverträglichere Verfahren einzusetzen und mehr Produkte wiederzuverwer-ten. Ks geht auch darum, den Materialdurchsatz an sich zu verringern, oder zumindest in einem ersten Schritt das monetäre Wirtschaftswachstum von der Menge des umgesetzten Materials zu entkoppeln.

„Es geht also nicht bloß um einen effizienteren Einsatz von Ressourcen, sondern um die absolute Verringerung der gegenwärtigen Verbrauchsniveaus. Eine solchermaßen verstandene AbkeTir vom materialintensiven Wohlstandsmodell bedingt einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel, von dem nicht nur Produktionsund Verarbeitungstechnologien und Nachfragestrukturen, sondern insbesondere auch gesellschaftliche Organisationsmuster bezüglich Arbeit, Siedlungswesen, Ernährungsgewohnheiten, Verkehr und Freizeitverhalten betroffen sind." So kennzeichnet die Studie die Situation.

Wie sieht nun die Lage in Österreich aus? Wieviel Material wird durch unsere Wirtschaft geschleust? Ks sind beachtliche Mengen: Im Jahr 1992 betrug der gesamte Materialeinsatz 4.439 Millionen Tonnen oder 570 Tonnen pro Kopf und Jahr.

Ein Stoff überragt bei weitem alles andere: das Wasser. 87 Prozent des ge samten Aufkommens entfallen auf Wasser. Einen Großteil davon verwenden die kalorischen Kraftwerke zu Kühlzwecken sowie die Industrie und das Gewerbe im Produktionsprozeß (zusammen fast 75 Prozent des Aufkommens), während die Haushalte nur knappe zehn Prozent verbrauchen.

Die zweite Position beim mengenmäßigen Verbrauch nimmt mit acht Prozent die Luft ein. Alle übrigen Materialien machen zusammen nur fünf Prozent aus, fallen also weniger ins Gewicht als der Luftverbrauch. Das sind allerdings immer noch 221 Millionen Tonnen oder 29 Tonnen pro Kopf und Jahr. Für jeden Österreicher setzt unsere Wirtschaft also Tg für Tag etwa 80 Kilo an Material um, was ungefähr dem Körpergewicht eines Erwachsenen entspricht.

Der Großteil der Materialien kommt aus dem Inland (80 Prozent) und bleibt auch hier (90 Prozent). Vor allem sind es mineralische Rohstoffe: Sand, Natursteine, Kalkstein - zusammen 43 Prozent dieser Restposition von 221 Millionen Können. Rechnet man noch die fossilen Energieträger dazu (zwölf Prozent), so erkennt man, daß ein Gros des Umsatzes, nämlich mehr als die Hälfte, auf ganz wenige Stoffe entfällt: auf Baumaterialien und fossile Energieträger (siehe Graphik).

Was geschieht nun aber mit diesem Material? Etwa die Hälfte (118 Millionen Tonnen) davon wird in Form von Bauten und Anlagen (Infrastruktur und Investitionsgüter) langfristig gebunden. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, daß der gesamte Bestand an Anlagen und Infrastruktur (Bauten, Straßen, Brücken, Fahrzeugen, Einrichtungen, Ausstattungen, Maschinen ..,) in Österreich rund 3.400 Millionen Tonnen ausmacht und pro Jahr um etwa drei Prozent wächst. Ein beachtlicher Teil der Baumaterialien (etwa 40 Prozent) kommt im Straßenbau zum Einsatz.

Wo landen aber die übrigen, wirtschaftlich verwerteten Materialien? Da gibt es zunächst Emissionen (14 Prozent) und Abfälle (elf Prozent). Ungezielt gelangen somit 55 Millionen Tonnen „Stoffwechselprodukte" wieder in die Umwelt zurück. Gezielt ausgebracht werden durch die Landwirtschaft hingegen 22 Millionen Tonnen (in Form von Dünger oder Klärschlämmen). Gleich viel Material wird exportiert.

Nur ein äußerst geringer Anteil der Stoffe (3,6 Prozent) wird der Wiederverwertung zugeführt. Recycling bleibt somit eine Randerscheinung in unserem Wirtschaften, vor allem deswegen, weil die Biomasse mit 25 Prozent nur einen relativ geringen Anteil der im Wirtschaftsgeschehen verwendeten Materialien darstellt. Etwa die Hälfte davon wird als Futtermittel (vor allem für Binder) eingesetzt.

Was die zeitliche Entwicklung des Materialflusses in Österreich anbelangt, zeigt die Erhebung, daß sich dieser von 1970 bis 1990 um etwa ein Drittel, damit aber nicht im selben Maß wie die wirtschaftliche Aktivität, erhöht hat. Man beobachtet somit einen Entkoppelungseffekt zum Wirtschaftswachstum. Hier spielt beson ders die effizientere Nutzung von Energie im Gefolge der Energiekrisen in diesem Zeitraum eine nicht unbeachtliche Bolle.

Die größten Verbrauchszuwächse registriert man bei den Baumaterialien (bei Schotter, Sand, Kies ... ein Plus von 63 Prozent), Holz, Pappe und Papier. Diese Stoffe sind hauptverantwortlich für den weiterhin steigenden Materialverbrauch. Fast gleich stark ist der Durchsatz von Stoffen mit bedenklichen Nebenwirkun gen für die Umwelt wie Chlor, Aluminium und Pestiziden gestiegen (ein Plus von 55 Prozent).

Verringert hat sich hingegen der Düngemitteleinsatz. Annähernd gleichgeblieben ist der Wasserverbrauch zwischen 1970 und 1990. Auch zeigen Vergleiche zwischen 1990 und 1992, daß in diesem Zeitabschnitt der Materialdurchsatz durch Österreichs Wirtschaft nicht gestiegen ist.

Eines machen diese Erhebungen jedenfalls auch noch deutlich: Das Verbrauchsniveau des Industrielandes Österreich läßt sich nicht auf die ganze Welt verallgemeinern. Bezogen auf die sechs Milliarden Erdbewohner ergäbe das den unfaßbaren, jährlichen Umsatz von 174 Milliarden Tonnen Material und von 3.000 Milliarden Tonnen Wasser.

Daher die Schlußfolgerung: „Geht man von der vereinfachenden Annahme aus, daß jedem Erdbewohner mittelfristig das gleiche Maß an ,Um-weltraum', das heißt Rohstoffnutzung und Beanspruchung natürlicher Ab-sorptionskapazitäten für Emissionen zusteht, müßte in den Industrieländern je nach Materialstrom eine Reduktion um 20 bis 80 Prozent bewerkstelligt werden."

Näheres siehe

„Malerialflußrechnung Österreich. Gesellschaftlicher Stoffwechsel und nachhaltige Entwicklung". Schriftenreihe des Bundesministeriums für Ilmwelt, Jugend und Familie, Wien 1997.

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