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Warum der Wald stirbt

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Saurer Regen zerstört unsere Bäume direkt oder vermindert zumindest ihre Widerstandskraft gegen natürliche Schädlinge entscheidend. Die Forscher schlagen Alarm, die Politiker schlafen.

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Saurer Regen zerstört unsere Bäume direkt oder vermindert zumindest ihre Widerstandskraft gegen natürliche Schädlinge entscheidend. Die Forscher schlagen Alarm, die Politiker schlafen.

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Bei Wanderungen durch die Wälder im Raum Zell am See achtete ich heuer erstmals auf das Aussehen der Bäume: Welch hoher Anteil sieht doch krank aus: Dürre Äste bis weit hinauf, statt grüner Nadeln Moosbefall! Dieser Frage mußte ich nachgehen, einen aufrüttelnden Artikel über das Waldsterben schreiben!

Bei näherer Beschäftigung bin ich davon abgekommen. Es geht nicht um Horrorzahlen. Am Geschehen im Wald läßt sich vielmehr die Vielfalt der Lebensprozesse erkennen, in die wir sorglos einwirken. Sie könnten uns aber auch Ehrfurcht lehren und uns zur Zurückhaltung erziehen.

In ganz Mittel- und Südeuropa beobachtet man, daß Bäume krank werden, Blätter und Nadeln verlieren, sterben. Betroffen sind vor allem Buchen, Fichten, Tannen und Kiefern. Univ.-Prof. P. Schutt von der Universität München zählt die gemeinsamen Merkmale auf: Schäden an den Blättern und am Feinwurzelsystem sowie Wachstumsanomalien. Das Sterben von Tannen und Kiefern ist nicht neu. Neu allerdings ist das Ausmaß, neu das Fichtensterben, die Kronendürre der Buchen.

Als Verursacher verdächtigt wurden Industrie und Kohlekraftwerke: Durch ihre Schlote ging der Großteil des Schwefeldioxids, das unsere Luft belastet. Im europäischen Durchschnitt fielen 50 Kilo Schwefel auf jedes Hektar im Jahr 1972.

Man untersuchte daraufhin die Wirkung von SOt auf Blattpflanzen in Gaskammern. Es zeigten sich keine schädlichen Folgen. Wurden die Emissionen zu Unrecht verdächtigt?

Noch frappierender sind die Ergebnisse von Bernhard Ulrich, Professor an der Universität Göttingen: Durch erhöhtes Nährstoffangebot infolge von Luftverunreinigung kam es zu erhöhtem Wachstum des Waldbestandes bis Ende der sechziger Jahre! Der deutlich erhöhte Stickstoff-Eintrag wurde von den Bäumen erfolgreich assimiliert.

Diese Entwicklung ist allerdings in den siebziger Jahren rückläufig, Krankheiten nehmen überhand. Was war geschehen?

Die Ablagerung der Luftverunreinigungen führt zu einer Akkumulation von Schadstoffen in Humus und Boden. Vor allem werden Säuren gespeichert. Die Abgase reagieren nämlich mit dem Regenwasser, bilden Säuren und dringen als saurer Regen in den Waldboden. Dort gehen sie chemische Verbindungen mit den vorhandenen Stoffen ein. Langsam verändert sich die Zusammensetzung des Milieus.

Basisch wirksame Nährstoffe der Bäume (Kalzium, Magnesium und Kalium) werden ausgewaschen. Hingegen entsteht ein Überangebot an bestimmten Metallen, vor allem an Aluminium. Kationen (positiv geladene Ionen) dieser Metalle bilden nun ihrerseits mit Wasser Verbindungen, die wie Säuren reagieren.

Somit kommt es zu einer abgeleiteten Säurebildung, die ungefähr dieselbe Größenordnung aufweist, wie der Säureimport aus der Umweltverschmutzung. In diesem Teufelskreis wird der Boden immer saurer. Es droht ein totaler Verlust der notwendigen Nährstoffe Kalzium und Magnesium.

Außerdem entstehen bei diesem Prozeß — wie Professor Ulrich nachweist — chemische Verbindungen, die für diesen Lebensraum fremd und damit zweifellos bedrohlich sind.

Tödlich ist auch die Bedrohung durch die in der Luft mitgeführten Schwermetallpartikeln: Beim derzeitigen Stand kämen je Hektar sechs Kilo Chrom, Nickel und Blei, sowie 24 Kilo Kupfer in 100 Jahren. Sie würden in Holz und Rinde gespeichert.

Schwermetalle schädigen aber auch die Mikroorganismen, die für die Humusbildung sorgen, und die Regenwürmer, die entscheidend für die Struktur des Humus sind. In der Folge werden die toten Nadeln und Blätter nicht mehr ausreichend zu Humus verarbeitet. Im Frühjahr fehlen die in den toten Blättern enthaltenen Stoffe bei der Bildung der neuen. Der natürliche Kreislauf ist unterbrochen, es kommt zu einer Störung.

Säurebildung und Schwermetalle schaden weiters den Wurzeln. Dadurch werden die Bäume zwar nicht unmittelbar geschädigt, wohl aber anfälliger für Störungen: empfindlicher bei Trockenheit, schlechter geschützt vor Giften, schlechter imstande, die Nährstoffzusammensetzung zu regeln. Außerdem machen faulende Wurzeln die Bäume anfälliger für Windwurf.

Natürliche Störungen, wie regelmäßig wiederkehrende Trockenjahre werden unter solchen Bedingungen zur Lebensbedrohung. Die Anfälligkeit für Insekten und pathögene Mikroorganismen steigt drastisch.

Was läßt sich in dieser bedrohlichen Situation tun? Vordringlich - so meint Ulrich — müßte den Waldböden Kalk zugeführt, müßten auf Kahlschlägen „Reparaturen" zur Wiederbelebung des Bodenlebens durchgeführt werden. Vor allem aber muß man die Schadstoffbelastung unterbinden. Abgase — wo immer sie entstehen — müssen gefiltert werden.

Der Zusammenhang der Lebensbeziehungen im Wald ist so vielfältig, daß zwar einzelnes erkannt, vieles aber nur — mangels Meßmethoden — vermutet werden kann. Pausenlose einseitige Eingriffe durch Luftverschmutzung führe/i zu Störungen. Selbst wenn sich kurzfristig keine oder sogar positive Wirkungen zeigen, kommt es auf lange Sicht zu einer Bedrohung. Sie läßt sich oft erst sehr spät und aufgrund besonderer Ereignisse erkennen. Manchmal mag dies zu spät sein.

Es ist daher unsinnig, jenen, die vor Eingriffen warnen, den Nachweis einer lückenlosen Kausalkette zwischen Schadstoff und Schädigung aufzuhalsen und von Gesetzes wegen eine Unschädlichkeitsvermutung zu äußern. Vielmehr müßten jene, die im großen Stil mit unserer Umwelt experimentieren und so handeln als hätte Luftverschmutzung keine gefährlichen Auswirkungen, zuerst einmal schlüssig beweisen, daß ihre Theorie stimmt. Der Augenschein spricht dagegen. Es ist daher höchste Zeit, diese naive Theorie zu revidieren und von Gesetzes wegen für reine Luft zu sorgen. Die kahlen Bergrücken Jugoslawiens sind eine Mahnung.

AKTUELLE SCHÄDEN AM WALD. Von P. Schutt. Holz-Zentralblatt Nr. 25

GEFAHREN FÜR DAS WALDOKOSY-STEM DURCH SAURE NIEDERSCHLAGE. Von Bernhard Ulrich, In Immissionsbelastungen von Waldökosystemen Sonderheft d. Mitteilungen 1982 der Landeaanstalt für Ökologie und Forstplanung Nordrhein-Westfalen.

Der größte Teil der verdünnten Schwefelsäure, die als „saurer Regen" auf Österreichs Wälder niedergeht, ist „hausgemacht". Das hat eine langfristige Untersuchung durch die forstliche Bundesversuchsanstalt in Wien ergeben. Mit einer einzigen Ausnahme liegen die am meisten geschädigten Waldgebiete im Nahbereich österreichischer Industrieanlagen.

Insgesamt wirken in Österreich pro Jahr 580.000 Tonnen Schwefeldioxid auf uns und unsere Umwelt ein. Von den 440.000 Tonnen, die davon österreichische „Eigenproduktion" sind, entfallen 48 Prozent auf Industrie und Großgewerbe, 23 Prozent auf kalorische Kraftwerke, 10 Prozent auf Hausbrand und die restlichen 19 Prozent auf Verkehr und Sonstiges.

In den letzten Jahren dürfte die österreichische Schwefeldioxid-Emission (Stichwort, Seite 2) zwischen vier und acht Prozent gewachsen sein, woran die Osterreichische Mineralölverwaltung (ÖMV) durch den Anstieg des Schwefelgehaltes in den von ihr ausgelieferten Heizölsorten entscheidenden Anteil hat. So ist zum Beispiel der Schwefelgehalt im Heizöl schwer zwischen 1969 und 1979 um 123 (!) Prozent gestiegen. Und eine erst im Juni erlassene Verordnung des Handelsministeriums toleriert sogar Werte, die weit über jenen entsprechender Verordnungen in vergleichbaren Staaten liegen.

Auch eine jüngst vorgelegte Verordnung des Landwirt-

schaftsmmisteriums in Sachen Luftverunreinigung stößt auf herbe Kritik, weil die dort festgelegten Grenzwerte für Schadstoffemissionen nur für neu zu planende oder zu bewilligende Großanlagen gelten sollen, also nicht für bestehende oder bereits in Planung befindliche (wie etwa das umstrittene Dürnrohr).

Mit Worten wie „kriminell" oder „deprimierend" bedenken Umweltschützer den Entwurf einer Verordnung zum Dampfkesselemissionsgesetz, der in die Kompetenz von Bauten- und Gesundheitsministerium fällt. Er sieht Grenzwerte vor, die etwa ein Drittel über jenen in der Bundesrepublik Deutschland liegen. Die Umweltschützer fürchten, daß hier die vielleicht schon letzte Chance vertan wird, eine Wende herbeizuführen.

Auf politischer Ebene engagiert sich vor allem Bauernbunddirek-tor Josef Riegler für rasche Maßnahmen gegen den „sauren Regen". Er rechnet vor: „In Österreich sind über 120.000 Hektar Wald geschädigt, allein der Verlust an Zuwachs pro Jahr, etwa 2500 Schilling pro Hektar, beträgt mindestens 300 Millionen Schilling."

Es wird Zeit, daß die Politiker aufwachen. Denn neben dem ökonomischen Schaden für die Forstwirtschaft geht vor allem Lebensqualität verloren. Das könnte auch der Fremdenverkehr zu spüren bekommen. Denn verkarstete Gebiete wie in Jugoslawien nimmt der Tourist wohl nur in Verbindung mit dem Meer in Kauf. HEINER BOBERSKI

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