6791348-1970_39_09.jpg
Digital In Arbeit

Die Luft, die wir atmen

Werbung
Werbung
Werbung

U Thant hat die Gründung eines Institutes für Umweltfragen angeregt. Hier sollen Wissenschaftler aus aller Welt daran arbeiten, den „kranken Mann Umwelt“ wieder hochzupäppeln.

Seit 1963 verfügen die USA über ekle „Clean Air Act“, ein Gesetz zur Reinhaltung der Luft. Im gleichen Jahr startete die OECD eine internationale Konferenz zur Überwachung der Luftverunreinigung. Ebenfalls 1963 wurde in Essen die Landesanstalt für „Immissions-(Strahlen-, Anm. d. Red.) Bodennutzungsschutz“ ins Leben gerufen. In Österreich beschäftigt sich eine einzige Stelle mit Luftverunreinigung, Wasserverschmutzung und Lärmbekämpfung. Ihr Etat soll sich auf 200.000 Schilling belaufen. Dabei ist unsere Luft hochgradig verschmutzt, die Industrie entläßt täglich viele Tonnen diverser Giftgase in die Luft

Die Luft, die wir atmen, besteht aus Stickstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff. Mit jedem Atemzug pumpen wir ein bis zwei Liter dieses Gemisches in die Lungen. An der vielfach gefalteten Nasenschleimhaut und an deren feinen Härchen bleiben viele Schmutzteilchen haften. Die Luftröhre wiederum verfügt über einen Wimpernsaum, der Fremdkörper zurückhält. In der Lunge selbst wird der eingeatmete Sauerstoff auf 360 Millionen feine Bläschen verteilt und vom Blut übernommen. Der rote Blutfarbstoff, das Hämoglobin, bindet den Sauerstoff und führt ihn durch den ganzen Körper.

Wir atmen aber auch Kohlenmon-oxyd, Kohlendioxyd, Schwefeloxyde, Stickoxyde, Kohlenwasserstoffe, Schwefelwasserstoffe, Ruß, Staub, radioaktive Stoffe, Reste von Insektiziden, Bleirückstände und so weiter ein. In Tokio stehen heute bereits an Straßenecken Sauerstoffautomaten.

Kohlenmonoxyd findet sich im Leuchtgas. Schon oft führte diese „Zugabe“ zu Todesfällen; sie kommt auch in den Autoabgasen vor. Kohlenmonoxyd beeinträchtigt das Nervensystem, setzt die Reaktionsfähigkeit herab und wird oft mitschuldig an schweren Unfällen. Kohlenmonoxyd geht eine sehr innige Verbindung mit dem Hämoglobin ein, verdrängt den Sauerstoff, greift in die Zellatmung ein. Schon die geringe Menge von 0,07 Prozent dieses Gases im Blut hat tödliche Folgen. Tausend Autos puffen 3,2 Tonnen Kohlenmonoxyd pro Tag in die Luft. Auch wenn der Wind einen Großteil dieser Menge fortträgt, besteht Gefahr: Wir sind täglich einer Vielzahl solcher Einflüsse ausgesetzt und wissen nicht genau, wie sie im Körper wirken.

Es ist kein Zufall, daß Luftverschmutzung und verwandte Themen heute weltweit Aufsehen erregen. Wissenschaftler rechneten beispielsweise aus, daß das Kohlenmonoxyd dadurch, daß es die Abstrahlung der von der Erdoberfläche abgegebenen Wärme in den Weltraum verhindert, bei einer entsprechenden Konzentration das Klima unseres Planeten tiefgreifend verändern könnte. Gletscher könnten abschmelzen, der Meeresspiegel steigen, Küstenstädte wie New York langsam, aber sicher im Meer verschwinden. Extreme Schätzungen halten für möglich, daß dies bereits dann zum unabwendbaren Ereignis wird, wenn sich die Menge der „produzierten“ Abgase bis zum Jahr 2000 auf gleicher Höhe hält wie heute.

Es liegen Pläne vor, im Rainachtal eine Raffinerie zu bauen. Ein Großkraftwerk — unser Land ist gesegnet mit Kraftwerken! — pustet 100.000 Tonnen Schwefeldioxyd im Monat in den Himmel, auf die Pflanzen, Tiere und Menschen der Umgebung — Schwefeldioxyd ist ein schweres Pflanzengift, Schwefel ist chemisch sehr aktiv, geht gerne Verbindungen ein; in der Luft und im Wasser finden Umsetzungen statt, die Nutzfische ungenießbar machen oder eingehen lassen. Regentropfen dienen den Schwefelprodukten als Kondensationskerne. Dem massierten Angriff von Gasen und Schwefelregen kann nicht einmal Eisen widerstehen. An Rohren bilden sich häßliche Pusteln und Krusten, Fassaden von Kirchen, Häusern, Schlössern werden zerstört. Dem Benzin wird Blei zugesetzt, um die Klopfgeräusche zu vermindern. Pro Liter Treibstoff tanken wir 0,2 bis 0,6 Gramm. Mit 10 Millionen Tonnen Sprit pro Jahr (Österreich) gelangen 20.000 bis 40.000 Tonnen

Blei auf unsere Straßen. Blei dm Blut bewirkt Eiweißfällungen, hemmt wichtige Fermente, schädigt Magen, Darm, Leber, Nieren, wird in den Knochen abgelagert. Man kann sogar im Grönlandeis einen hohen Bleigehalt finden, an vielbefahrenen Autostraßen kann man 300 Meter links und rechts der Fahrbahn drei Gramm Blei pro Kilo Pflanzensubstanz messen. Bauern wird bereits empfohlen, das Vieh von den bleihaltigen Wiesen abzuhalten und weder Futter noch Gemüsepflanzen entlang der Straße anzubauen. Bliebe noch das Problem des Staubes in der Luft, der Teilchen, die zwar keine giftige Wirkung entfalten, aber in entsprechender Massierung die Sonneneinstrahlung so herabsetzen können, daß beispielsweise im Ruhrgebiet Wälder sehr viel langsamer wachsen als in reiner Luft — Kiefern brachten es dort, wo Deutschlands Luft am schlechtesten ist, fallweise in 70 Jahren auf vier Meter Höhe.

Immerhin: In den USA existiert bereits ein Gesetz, das den erlaubten Kohlenmonoxydgehalt der Abgase regelt, schärfere Gesetze gegen die Luftverschmutzung werden auf breiter Front vorbereitet. Europa hinkt einstweilen hinterher, obwohl das Problem hier bereits durchaus „amerikanische“ Ausmaße angenommen hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung