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Schluckweise Krebsgefahr

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Ein Glas Wasser gegen die Sommerhitze: Nächst

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Ein Glas Wasser gegen die Sommerhitze: Nächst

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Wien, in der Mitterndorfer Senke, bedeutet das schluckweise Krebsgefahr. Was geschieht gegen, die gefährliche Grundwasserverseuchung?

Es ist mehr als ein Jahr her, daß die Brunnenanlage zur Wasserversorgung des niederösterreichischen Bad Fischau gesperrt worden ist. Anlaß war die Feststellung, daß der enorme Grundwasserstrom, der sich aus dem Raum Gloggnitz-Ternitz-Neun- kirchen über die Mitterndorfer Senke nordöstlich bis Schwadorf erstreckt, Bad Fischau eine hohe Belastung mit giftigen chlorierten Kohlenwasserstoffen (CKW) aufwies (siehe auch FURCHE 18/ 1982).

Diese chemischen Stoffe (Trir und Perchlorethylen, Methylenchlorid und 1.1.1-Trichlor-

ethan) werden vielfältig verwendet: in der Metallindustrie zur Metallentfettung, bei der chemischen Reinigung als Putzmittel, als Lösemittel (besonders bei Lacken) und bei der Tier körperverwert ung.

In Österreich werden im Jahresdurchschnitt 14.000 Tonnen CKW verbraucht. Das bedeutet aber auch, daß sie in irgendeiner Form an die Umwelt abgegeben werden. Deutschen Schätzungen zufolge geschieht dies zu zwei Drittel über die Abluft, zu einem Drittel über Abfälle und zu ein bis drei Prozent über Abwässer.

In der Atmosphäre wird ein Teil der CKW durch die Sonneneinstrahlung abgebaut, der Rest wird durch den Regen ausgewaschen. Somit kommt es zu einer Grundbelastung, die allerdings noch keine wirklich spürbaren Folgen gehabt hat.

Kein Abbau erfolgt aber, wenn CKW in den Boden oder ins Grundwasser gelangt. Insofern Belastungen größeren Ausmaßes bisher registriert worden sind, war stets eine direkte Einbringung der Gifte in den Boden die Ursache für die Verseuchung.

Nun: Seitdem der Fischauer Brunnen gesperrt worden ist, untersuchte man das Grundwasser der Mitterndorfer Senke eingehend, und die Niederösterreichi- sche Landesregierung veröffentlichte zu Jahresbeginn eine Arbeit, die das Ausmaß der Katastrophe erkennen läßt.

Um die erfaßten Werte recht beurteilen zu können, muß man wissen, daß der in Niederösterreich zulässige Höchstwert der Belastung mit CKW (in Anlehnung an die in Deutschland gültige Grenze) 25 Mikrogramm je Liter Wasser beträgt. Trinkt man kurzfristig höher belastetes Wasser, so besteht voraussichtlich keinerlei unmittelbare Gefährdung. Wohl aber bringt der langfristige Konsum ein erhöhtes Krebsrisiko.

Die zulässigen 25 Mikrogramm im Vergleich zu den registrierten Höchstwerten vertreiben jeden Durst. Ternitz: 4.350; südlich von Bad Fischau: 225; Wiener Neustadt: 540; westlich -von Wiener Neustadt: 1.000. Lediglich nordöstlich von Ebreichsdorf findet man nur mehr Werte unterhalb der Toleranzgrenze.

Ist das Grund genug, beruhigt zu sein und zur Tagesordnung überzugehen? Nein. Und das aus mehreren Gründen.

Da ist zunächst die Tatsache, daß das Wasser unterirdisch sehr langsam rinnt. So schätzt man, daß die Fließzeit von Ternitz bis Bad Fischau (etwa 18 Kilometer) zwischen acht und 15 Jahren betragen dürfte. Damit erntet Bad

Fischau jetzt die Früchte vor Jahren stromaufwärts begangener Sünden—auch wenn sich das heute schwer ganz eindeutig nach- weisen läßt.

Immerhin verwendet die krisengeschüttelte VEW zur Entfettung der von ihr in Ternitz produzierten Rohre große Mengen an Perchlorethylen (Per): Mehr als 100 Tonnen jährlich beträgt ihr Verbrauch. 1981 wurde im VEW- Betrieb eine vollautomatische Anlage eingerichtet, bei deren Inbetriebnahme es zu einigen Per- Unfällen kam. Die neue Anlage hat den Vorteil, daß sie das Entfettungsmittel in einem geschlossenen Kreislauf einsetzt. Allein: vor 1981 geschah dies durchaus nicht.

Hält man sich vor Augen, daß von etwa 150 eingekauften Tonnen bei VEW nur 20 nachweislich entsorgt worden sind, daß deren Abnehmer wiederum die Wiener Entsorgungsbetriebe Simmering sind, die erst in den späten siebziger Jahren gegründet wurden, die Entfettung mit Per aber schon seit Anfang der sechziger Jahre ein gängiges Verfahren war, bedenkt man weiters, daß damals kaum jemand über die Gefahren des Per Bescheid wußte, daß das Umweltbewußtsein noch kaum vorhanden war, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß Per in großen Mengen auf die Deponie im Betriebsgelände gewandert sein dürfte. Der Wert von 4.350 Mikrogramm spricht Bände! Messungen auf dem Werksgelände selbst lokalisieren die Zeitbombe.

Und dennoch spricht Niederösterreichs Landesrat Franz Blochberger davon, daß es schwer sein wird, eine restlos geschlossene Beweiskette zustande zu bringen. Auch der Bürgermeister von Bad Fischau, Herbert Moser, erwartet, sich wenig Erfolg von Schadenersatzforderungen für die Kosten des mittlerweile geschlagenen Ersatzbrunnens, die sich immerhin mit einer Million Schilling zu Buche schlagen.

Fairerweise muß zugestanden werden, daß nicht nur VEW für die Misere verantwortlich zu sein scheint. Die ILC-Werke (ein chemisches Unternehmen in Wiener Neustadt) waren sogar der unfreiwillige Auslöser für die Ent deckung der ganzen Misere: Dort war 1981 ein Gastarbeiter bei Grabarbeiten durch Einatmen der Gase von CKW tödlich verunglückt.

Geht man die Liste der Stellen mit hoher Belastung durch, so sind es durchwegs Orte nächst Betrieben oder Deponien.

Und da liegt im wahrsten Sinn des Wortes ein weiterer Hund begraben. Die Deponien bergen unbekannte Zeitbomben: Denn bisher ist weitgehend unbedacht alles weggeworfen worden, was einem im Weg stand, vielfach in tief verschütteten Fässern, die eben zu rosten beginnen.

Was kann also geschehen? Denn geschehen muß etwas, ist doch das Wasser, mit dem rund 400.000 Österreicher versorgt werden, dramatisch bedroht.

Zunächst einmal gilt es regelmäßig zu kontrollieren — und das geschieht, wie Landesrat Blochberger versichert, von nun an konsequent. Allerdings ist auch zu erfahren gewesen, daß man bei VEW mit unangesagten Kontrolloren durchaus nicht entgegenkommend umgeht. Nur: Was sollten angesagte Kontrollen?

Weiters wird man Wasserversorgungsanlagen sperren müssen, wo Grenzwerte überschritten werden. Denn eine Säuberung des Wassers ist derzeit äußerst aufwendig. Laut Auskunft des Bürgermeisters hätte eine Aktivkohlefilteranlage in Bad Fischau vier Millionen Schilling an Investitionskosten und eine halbe Million an jährlichen Betriebskosten verursacht. Pro Kubikmeter Wasser belaufen sich die Filterkosten derzeit auf zwei Schilling.

Legt man diese Kosten auf den in unseren Breiten durchschnittlichen Wasserverbrauch von 200 Liter pro Person und Tag und auf die versorgte Bevölkerung von 400.000 Einwohnern um, so ergäben sich jährlich Kosten der Wasserreinigung — sollte einmal die gesamte Mitterndorfer Senke betroffen sein — von etwa 60 Millionen Schilling. Reine Betriebskosten - ganz abgesehen von den Investitionen.

Das muß auf jeden Fall verhindert werden. Daher gehen auch die Überlegungen der Landesregierung dahin, gezielt an jenen Orten, wo besonders hohe Verseuchung festgestellt wird, das Grundwasser herauszupumpen, um es nach Filterung wieder versickern zu lassen. Derzeit laufen Untersuchungen, die eine solche Vorgangsweise bei VEW auf ihre Durchführbarkeit prüfen sollen.

Unverständlich ist allerdings, daß immer noch, trotz der sich mehrenden Hiobsbotschaften, nicht alles getan wird, um weitere Schäden zu vermeiden. So mußte das Land Niederösterreich der Stadt Wiener Neustadt im Juni die Weisung geben, Zusatzbohrungen bei ILC zu verordnen und Pläne für das dort verlegte Leitungssystem vorzulegen. Ein entsprechender Bescheid wurde nun erlassen. Leider aber war das bis 14. Juni befristete Ersuchen, Wasser- und gewerberechtliche Untersuchungen durchzuführen, ergebnislos verstrichen.

Sicher, in Wiener Neustadt macht man sich Sorgen wegen der ILC-Arbeitsplätze. Wenn die aber nur auf Kosten der Gesundheit von Hunderttausenden gesichert werden können, fragt man sich, welcher Wohlfahrtsbegriff solchen Überlegungen zugrundeliegt. Ähnliches gilt für viele Betriebe dieser wirtschaftlich schwierigen Region (auch für VEW). Ihnen muß aber anders geholfen werden als dadurch, daß man anderer Gesundheit aufs Spiel setzt.

Auf lange Sicht aber gilt es zu überlegen, ob man nicht unschädliche Ersatzstoffe für die giftigen CKW einsetzen kann. Denn über längere Zeiträume wird auch die angesammelte Belastung über die Abluft zu Problemen führen, wie wir sie heute schon mit dem sauren Regen kennen.

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