6927868-1982_18_03.jpg
Digital In Arbeit

Sorglos bis kriminell

Werbung
Werbung
Werbung

Die Aussöhnung zwischen Ökologie und Ökonomie ist ein neues politisches Schlagwort. Eher unversöhnlich ist die Realität: Südlich von Wien tickt eine neue Umweltbombe. Giftige Stoffe aus Industriebetrieben sind offensichtlich schon ins kostbare Grundwasser gelangt.

Für den Nachmittag des 5. Mai ist im Niederösterreichischen Landhaus ein brisantes „Umwelthearing" angesetzt Unmittelbarer Anlaß: am 16. April untersagte die zuständige Bezirkshauptmannschaft die weitere Entnahme von Trinkwasser aus der neuen, erst im Vorjahr in Betrieb genommenen Brunnenanlage der Gemeinde Bad Fischau.

Nach einer Untersuchung des 8 Millionen Schilling teuren und 80 Meter tiefen Brunnens hatte die Niederösterreichische Umweltschutzanstalt Alarm geschlagen.

Die chemische Verschmutzung des Brunnenwassers durch chlorierte Kohlenwasserstoffe — konkret wurde Per-, Tri- und Tetrachloräthylen nachgewiesen — liegt um das 16f ache über dem zulässigen Toleranzwert.

Die Sperre des Bad Fischauer Brunnens ist um so beängstigender, als die Anlage nur rund fünf Kilometer nördlich des Brunnenfeldes West der Stadt Wiener Neustadt und am Rand des Grundwasserkörpers der Mitterndorfer Senke liegt, aus der die Wiener Wasserwerke in absehbarer Zeit einen großen Teil ihres Bedarfes decken wollen.

Der Grad der Brunnen-Vergiftung hat mittlerweile Befürchtungen laut werden lassen, daß möglicherweise das gesamte Grundwasserreservoir im Steinfeld zwischen Neunkirchen und Wiener Neustadt verseucht sein könnte.

Die für österreichische Verhältnisse überraschend rasche Reaktion der Landesbehörden auf die Gift-Affäre läßt denn auch die Vermutung zu, daß hier eine Umweltbombe ersten Ranges tickt.

Dabei führte bei der Entdek-kung dieses Umwelt-Skandals wie so oft der Zufall Regie.

Im August letzten Jahres verunglückte ein Gastarbeiter bei Bohrarbeiten für einen Löschwasserbrunnen auf dem Gelände der ILC-Werke in Wiener Neustadt tödlich: durch Einatmen von Lösungsmitteldämpfen, wie der Wasserexperte der Nö Landesregierung, Werner Kasper, weiß.

Ein endgültiges Untersuchungsergebnis dieses Arbeitsunfalles steht noch aus. Trotzdem war der Tod des Gastarbeiters für die Umweltschutzbeamten im Landhaus Anlaß genug, um das Gebiet zwischen Neunkirchen im Süden und Blumau/Ebenfurth im Norden großflächig auf mögliche Grundwasservergiftung zu untersuchen.

Das Ergebnis: Grundwasser-Kontaminierung in „beträchtlichen Teilen" (Kasper) der untersuchten Region und die Sperre mehrerer Betriebsbrunnen in Kies- und Schottergruben. Womit der Raum südlich von Wien die zweifelhafte Ehre besitzt, Schauplatz der „bislang größten Umweltvergiftung in Österreich" (Kasper) zu sein.

Dramatisch ist die Situation auch deshalb, da es sich bei den festgestellten Giftstoffen um Substanzen handelt, die einmal in das Grundwasser gelangt, als praktisch nicht abbaubar gelten.

Saniert kann das vergiftete Trinkwasser nur über äußerst kostspielige Kohle-Filter-Anlagen werden.

An warnenden Stimmen hat es schon vor dem Nachweis der chlorierten Kohlenwasserstoffe im Steinfeld nicht gefehlt.

Johann Reitinger vom Institut für Hydraulik und Gewässerforschung der Technischen Universität Wien beschäftigt sich seit Jahren mit den Grundwasserströmungsverhältnissen in der Mitterndorfer Senke.

Die Untersuchungsergebnisse der Nö Umweltschutzanstalt zeigen nunmehr „absolute Ubereinstimmung mit meinen langjährigen Forschungen" (Reitinger). Danach sind die Verursacher der Grundwasservergiftung im Raum Neunkirchen zu suchen.

Chemikalien auf Äthylenbasis werden sowohl in der Textilindustrie und in Putzereien zum Reinigen als auch in der Schwerindustrie zum Entfetten verwendet Und in und um Neunkirchen existieren mehrere Betriebe dieser Branchen, die Vereinigten Edelstahlwerke (VEW) in Ternitz, Brevillier-Urban in Neunkirchen oder auch Textilf abriken in Rohrbach und Pottschach.

Wobei die VEW-Direktion in Ternitz letzte Woche ihre Unschuld in einem Brief an die Bezirkshauptmannschaft vorsorglich deponiert hat

Dennoch: beim „Umwelthearing" in dieser Woche sollen nicht nur ein koordiniertes Vorgehen zwischen den einzelnen Behörden und die Überwachung aller in Frage kommenden Trinkwasserbrunnen beschlossen werden. Auch eine verstärkte Kontrolle aller Betriebe, die mit umweltgefährdenden Chemikalien arbeiten, wird angestrebt.

Zwar haben einzelne Unternehmen unter dem Druck umweltbewußter Bürger ihre Investitionstätigkeit auch in Richtung Umweltschutzmaßnahmen ausgedehnt doch nach wie vor herrschen noch Sorglosigkeit und Schlamperei im Umgang mit hochgiftigen Chemikalien in vie-' len Betrieben. Insofern ist die Grundwasserverseuchung südlich von Wien ein „typischer Vorfall in einer Zeit, in der unsere Lebens- und Wirtschaftsziele auf hemmungslosen Profit und totale Ausbeutung unserer Lebensgrundlagen abstellen" (Reitinger).

Und in dieser Zeit, in der der Ertragsdruck schwer auf den Firmen lastet haben teure Umweltschutzmaßnahmen kaum Platz in betriebswirtschaftlichen Kalkulationen.

Der Leiter der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung, Friedrich Petuely, hat für die Gewissenlosigkeit gegenüber der Umwelt unter der Devise „Arbeitsplatzsicherung" nur ein Kal-kür bereit: „Kriminell".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung