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Sand in der Maschine

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Das vorletzte Jahr des ersten Fünfjahresplanes der Tschechoslowakei ist zu Ende: aus allen Teilen des Staates kommen Meldungen jener Betriebe und Unternehmungen, die bereits vor Jahresschluß ihr Jahres-Soll erfüllt haben.

Neben diesen Erfolgsmeldungen lassen 6ich freilich auch die Mißerfolge nicht verschweigen, vor allem dort nicht, wo das Zurückbleiben hinter dem Plan allzu deutlich in die Augen springt. Die fehlenden Briefumschläge, denen kürzlich ein Mittelschuldirektor in Dutzenden Fachgeschäften in einer ganzen Reihe böhmischer Städte vergeblich nachjagte, die fehlenden Stühle zu den in größten Mengen in den staatlichen Möbelgeschäften vorhandenen runden Tischen lassen sich irgendwie mit Fehldispositionen untergeordneter Stellen entschuldigen und als vorübergehende oder bloß lokale Mangelerscheinungen erklären. Was soll man aber von den vielen, mit genauen Terminangaben geplanten Bauwerken sagen, die keineswegs so aus dem Boden hervorsprießen, wie es der Fünf jahresplan vorsieht? Die Wohnungen, die vor Monaten beziehbar werden sollten, die Betriebsanlagen, die längst der Produktion zu dienen hätten, strafen die Behauptungen des Fünfjahresplanes Lügen. Das spürt man am deutlichsten in Mährisch-Ostrau, wo eine „sozialistische Stadt“ für 175.000 Menschen entsteht, die den Arbeitern der neuen gewaltigen Industrieanlagen Wohnraum bieten soll: seit einem Jahr gehören Ostrau, sein Bergbau, seine Industrie, vor allem aber seine Neubauten zu den größten Sorgenkindern. Auch die Einsetzung des Innenministers als Regierungsbeauftragten hat an den latenten Schwierigkeiten nicht viel ändern können.

Nunmehr hat man ganz ähnliche Sorgen in Nordwestböhmen, wo in Brüx eine neue Bergarbeiterstadt aus dem Boden wachsen soll. Von den 444 Wohnungen, die bis Oktober fertiggestellt werden sollten, ist bis zum heutigen Tag keine einzige beziehbar. Baumaterial geht auf der Baustelle zugrunde, weil zu große Vorräte herangeschafft wurden, die Arbeiter erhalten von verschiedenen Stellen Weisungen, die einander vielfach widersprechen; die einen reißen ab, was die andern eben errichtet haben. 20 bis 30 Prozent der Arbeitsstunden entfallen durch „Absenzen“j zu den Arbeitern, die ihr Plansoll nicht erfüllt haben, gehört auch der Vorsitzende der kommunistischen Betriebsorganisation, der sich damit entschuldigt, daß es an Beleuchtung fehlt, so daß er nicht auch in der Nacht arbeiten konnte.

Im Böhmerwadd, im Moldautal, wo in der Nähe von Hohenfurt eine gewaltige Talsperre gebaut wird, wurde der Oktoberplan nur zu 89 Prozent erfüllt, obwohl es gelungen ist, den unterirdischen Abflußkanal täglich um 4 Meter in das Granitgestein vorwärtszutreiben, statt wie bisher nur um 2XA Meter. Freilich stehen nur 60 Prozent der im Plan vorgesehenen Arbeitskräfte zur Verfügung, und ihnen wird vielfach nur mangelhaftes Material geliefert: gebrochene Ziegel, schief gesdinittene Bretter. Transformatoren und anderes Elektromaterial werden unter freiem Himmel gelagert; als in der letzten Zeit s'arke Sdineefälle einsetzten,^ mußten die Arbeiter die Schrauben und Bestandteile des beschädigten Baggeis mit Scheufein . im , Schnee suchen. Zum Mittagessen .müssen sich hier die Arbeiter ir langen Reihen anstellen, wodurch, wie ein offizieller Prager. Bericht feststellt, täglich pro Person bis zu drei Ar-Veitsstunden' verlorengehen!

Und die Landwirtschaft? Die Domäne in Libotschan bei Saaz hat heuer auf 134 Hektar Raps angebaut, woraus laut Plan 70.00.0 Kilogramm Speiseöl hätten gewonnen werden sollen; tatsächlich Itaben nur IV Hektar einen Ertrag abgeworfen! Nur 52 Prozent des nach der Anbaufläche errechneten Getreideerträges wurden abgeliefert; die Kühe gaben täglich nur 4 Liter Milch, während der errechnete Durchschnitt 7 Liter beträgt; die Ablieferungspflicht für Eier und Geflügel wurde nicht einmal zur Hälfte erfüllt. Mit solchen Zahlen steht Libotschan nicht vereinzelt da: alle Staatsgüter im Aussiger Kreis zusammen haben ihr Soll an Roggen und Weizen nur zu 64 Prozent erfüllt...

Freilich — Direktor und Agronom waren „Kreaturen, die von Slansky und seiner Bande“ eingesetzt worden waren. Des Rätsels ■ Lösung liegt auf der Hand, freilich nicht die Lösung der Frage, wieso diese unglaublichen Mißstände einreißen konnten, sondern nur die Antwort darauf, warum wieder , einmal elf Todesurteile gefällt, warum das Volk.eins Woche lang durch einen Schauprözeß in Spannung gshalten und abgelenkt v/erden mußte.

Wie hatte doch der vom Staatsgerich: einvernommene Sachverständige für Pla-nungsfragen ausgesagt? Durch Sabotage einer planmäßigen Entwicklung der Volkswirtschaft seien lediglich in den im Prozeß näher beleuchteten Fällen Schäden in der Höhe von 20 Milliarden Kc verursacht worden, ganz abgesehen von den schweren politischen Schäden, wie sie etwa die Stromdrosselung hervorgerufen hat. Die Fertigstellung der großen Talsperre in Slapy sei um zwei Jahre verzögert worden, obwohl jeder Tag, um den sich die Aufnahme der Stromproduktion hinausschiebt, einen Verlust von zwei Eisenbahnzügen Kohle bedeutet.

Aber schon bläst ein neuer Wind: in der Ölraffinerie in Mährisch-Ostrau arbeiten heute schon einzelne Arbeiter täglich bis zu 16 Stunden, eben hat die Regierung die Handelsinspektionen eingerichtet, die die sparsamste Verwendung des Staatsvermögens garantieren sollen. Am treffendsten hat Innenminister Nosek die gewandelte Situation beleuchtet, als er auf die Kämpfe der Kommunisten im Jahre 1918 für einen freien Samstag zu sprechen kam: „Ich aber sage euch: das, was in der kapitalistischen Ordnung eine Errungenschaft war, ist in der heutigen Situation schon reaktionär, konterrevolutionär.“

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