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Wo Kinder wie die Opas schnaufen

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Die Linzer Luft ist ein gefährlicher Cocktail, wie Untersuchungen an Kindern zeigen. Darum ist Linz die große Freiluft-Probebühne für die Luftreinhaltung in Österreich geworden.

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Die Linzer Luft ist ein gefährlicher Cocktail, wie Untersuchungen an Kindern zeigen. Darum ist Linz die große Freiluft-Probebühne für die Luftreinhaltung in Österreich geworden.

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Schwefeldioxid, Stickoxide, gefährlicher Schwebstaub (garantiert „lungengängig“), korrosive Elektrolyte, Salz-, Salpeter- und Schwefelsäure sowie Schnee oder Regen voll von Sulfat, Nitrat, Ammonium und Chloriden: Das ist der Stoff, aus dem die Alpträume der Bevölkerung von Linz und Umgebung sind. Dabei ist die Liste der Zutaten zum teuflischen Schadstoff-Cocktail damit nicht komplett. Polyzyklische aromati-

sehe Kohlenwasserstoffe und flüchtige organische Verbindungen wie Benzol oder Naphtalin dürfen nicht vergessen werden.

In Abwandlung eines — inzwischen überholten — Slogans heißt es jetzt durchaus zu Recht: „In Linz stinkt's.“ Wenn es nur das allein wäre, ist man versucht zu seufzen. Denn der Pesthauch unseres Industriezeitalters beleidigt nicht nur das Riechorgan, er schlägt sich — unter anderem — immer mehr auf die Lungen. „Zum Glück“, so meinte kürzlich der Linzer Lungenfacharzt Rudolf Schindl, „verfügt unsere Lunge über eine Kapazität, die sie erst jetzt wirklich benötigt Der Herrgott hat offenbar vorausgesehen, was uns bevorsteht — und daher die Lunge überdimensional ausgelegt.“

Bei Kindern genügt das aber offensichtlich nicht. So konnte Primarius Schindl, er leitet die Pneumologische Abteilung des Krankenhauses der Elisabethinen in Linz, bei rund einem Viertel der Kinder der Dorfhallenschule im Franckviertel der oberösterreichischen Landeshauptstadt Funktionsminderungen der Atemorgane feststellen. „Solche Kinder“, so der Arzt, „bleiben zurück. Sowohl im Turnunterricht, weü sie nicht so flink sein können, als auch beim Lernen, weü sie wegen der erhöhten Infektionsgefahr häufiger fehlen.“

Wie dramatisch es um die Gesundheit vor aUem der Kinder im Großraum Linz besteht ist, zeigen die Aussagen des Facharztes Karl Maier aus Bad Gleichenberg. 1984 hatte der Kurort 24 Volksschulkinder aus der Stahlstadt zu einem kostenlosen Erholungsaufenthalt eingeladen:

„Der erste Eindrück war bestürzend. Ein Drittel der Kinder schnaufte wie 60jährige. Es war bald klar, daß alle Beschwerden auf toxische Substanzen in der Linzer Luft zurückzuführen waren ... Bei all diesen Kindern werden, soUten sie weiter an ihrem Wohnort bleiben, vorzeitig massive Gesundheitsschäden auftreten. Der Atmungstrakt wird rasch altern, die Leistungsfähigkeit des Organismus wird schon im mittleren Alter nachlassen und zu vorzeitiger Berufsunfähigkeit führen. Letztlich müssen diese Menschen auch mit einer geringeren Lebenserwartung rechnen.“

Für die Linzer heißt es aber trotz alarmierender Fakten: Bitte warten. Zwar sind eine Reihe von Großprojekten in Sachen Umweltschutz bereits geplant oder schon im Laufen. „Die größten Brocken“, so Rudolf Orthofer vom Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz, „sollten in vier bis fünf Jahren geschafft sein.“ Der Zustand der Linzer Luft wird sich somit langsam und stetig verbessern, und der blaue Himmel über dem Pöst-lingberg wird nach dieser Zeitspanne sicher wieder öfter zu bewundern sein. Trotzdem sollte man schon heute die Hoffnung begraben, daß die Stahlstadt noch in diesem Jahrhundert ein Reinluftgebiet werden könnte.

In der Zwischenzeit versuchen sich viele Betroffene zu wehren — etwa mit Anzeigen. Nach dem berüchtigten „Schwarzen Freitag“ vom 11. Juni 1986 (das Amt für Immissionsschutz in Ober Österreich registrierte bei Schwefeldioxid eine Grenzwertüberschreitung um 857 Prozent), für den vor aUem die Chemie Linz verantwortlich zeichnete, hegen nun bereits mehrere hundert Anzeigen vor. Die Staatsanwaltschaft ermittelt — aber der eindeutige Nachweis einer strafbaren Handlung ist schwer zu erbringen. Mit dem bestehenden Strafrecht kommt man kaum weiter. Deswegen vermutet auch Herbert Wegscheider, Professor für Strafrecht und Strafprozeßrecht an der Universität Passau und Dozent an der Universität Linz, daß „qualmende Industrieschlote die Justiz nicht sonderlich zu interessieren scheinen“.

Dessenungeachtet gelangen im Großraum Linz Schadstoffe in beängstigenden Mengen in die Atemluft. 1985 waren es 18.605 Tonnen Schwefeldioxid, 16.760 Tonnen Stickoxide, 8.922 Tonnen Staub und 1.622 Tonnen Ammoniak. Als Hauptverursacher gelten die VÖEST (mit rund 80 Prozent Anteil am Schwefeldioxid, 28 Prozent bei den Stickoxiden und 85 Prozent beim Staub) sowie die Chemie Linz (56 Prozent Anteil an Stickoxid-Emissionen und 100 Prozent beim Ammoniak). Dazu kommen noch — wenn auch mit geringeren Anteilen — das Fernheizkraftwerk ESG, fünf Großbetriebe (Fehrer, Austria Tabak, Nestle, Quelle, Gebauer & Griller) sowie neun Chemisch-Reini-ger und so weiter.

In Geduld werden sich die Linzer auch im Hinblick auf die gesetzliche Lage üben müssen. Denn das neue, fix und fertige „Luft-reinhaltegesetz für Kesselanlagen“ f äUt ebenso dem vorgezogenen Neuwahltermin zum Opfer wie der geplante Ministerratsbeschluß zur Installierung von 80 Meldestellen eines Smogalarm-Frühwarnsystems in ganz Österreich — massiert aber rund um VÖEST und Chemie Linz. Und das — ebenfalls fertig vorbereitete — „Smog-Alarm-Gesetz“ kann erst dann realisiert werden, wenn es zu einer Immissionsschutz-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern gekommen ist. Natürlich hegt auch das jetzt für viele Monate auf Eis.

Der Autor ist Chefredakteur des in Wien erscheinenden Magazins „Umweltschutz“.

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