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Struma — eine Volkskrankheii

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Zu den verbreitetsten Volkskrankheiten gehört zweifellos die Vergrößerung der Schilddrüse in der Form des Kropfes, einer Struma. Mag er in manchen Gegenden nicht auffallend in Erscheinung treten, so ist er umgekehrt in anderen Gebieten, zum Beispiel in Gebirgstälern, in manchen Landstrichen, in relativ abgrenzbaren Hochflächen (wie im Mühlviertel) so häufig, daß mehr als die Hälfte der Bewohner solcher Gebiete damit behaftet ist. Der Kropf ist in seiner endemischen Form nicht vor allem ein Schönheitsfehler, sondern bringt dem Träger auch gesundheitliche .Schäden, besonders der At-mungs- und Kreislauforgane, führt zu Unter-und Ueberfunktion und kann auch einmal zu einem Krebs werden. Zudem setzt er allgemein degenerative Veränderungen; in Gebieten von gehäuftem Auftreten ist der Kretinismus vermehrt zu finden — in Oberösterreich auf Grund einer eigenen Rundfrage 5 auf 1000 Einwohner gegen ein Normalniveau von 5 auf 10.000. Ein Teil der Taubstummheit ist dem endemischen Kropf anzurechnen. An körperlicher und vor allem geistiger Leistungsfähigkeit stehen Menschen aus kropfbehafteten Gegenden meist hinter solchen aus kropffreien Gebieten. Die zahlenmäßige Uebersicht vermag, soweit sie mir zur Verfügung steht, die Tatsache der Ver-kropfung als Volkskrankheit deutlich zu beweisen. So wurden zum Beispiel an der chirurgischen Abteilung des Kaiserin-Elisa-beth-Spitales in Wien seit Kriegsende über 10.000 Strumen operiert, in Oberösterreich im selben Zeiträume zirka 16.000 nach einer Aufstellung der Landessanitätsdirektion in Linz. An der geburtshilflichen Abteilung des Krankenhauses in Vöcklabruck wurden in den ersten Jahren nach dem Kriege 47 Prozent kropfige Kinder von meist selbst verkropften Müttern geboren. Diese Verkropfung der Neugeborenen ist viel größer als allgemein angenommen wird, und zur Verwunderung jener Aerzte, die ihr besonderes Augenmerk darauf richten. Entsprechend einer der wichtigsten physiologischen Funktionen der Schilddrüse als Wachstumsdrüse nimmt naturgemäß im Kindes- und jugendlichen Alter der Kropf an Häufigkeit zu. So wurden beispielsweise 1946 im Bezirk Rohrbach im Mühlviertel 65,9 Prozent, also nahe an zwei Drittel (!) aller Schulkinder mit Kropf behaftet befunden. Von 6646 Schulkindern des Bezirkes Steyr waren 1951 3259, also beinahe die Hälfte, kropfig!

Diese Zahlen zeigen eindeutig das dringende Problem der Kropfkrankheit als endemische Erkrankung und Volkskränkheit auf. Werden ansonsten unter letzteren vor allem Tuberkulose und Geschlechtskrankheiten verstanden, so besteht gegenüber der Struma ein wesentlicher Unterschied in dem Sinne, daß bei erstereh eine Uebertragung durch Bakterien von Mensch zu Mensch erfolgt. Bei den eben genannten Krankheiten ist es der Patient, von dem die weitere Infektion ausgeht, und hier setzt die Prophylaxe erst ein, um die mit ihm in Berührung kommenden zu -schützen. Es ist also die Krankheit primär vorhanden und dann setzt die Prophylaxe ein. Bei der Verkropfung aber handelt es sich nicht um eine Infektionskrankheit, denn sie ist eine Mangelkrankheit, und darum kann die Prophylaxe hier früher einsetzen, kann die Erkrankung verhindert oder zumindest gemindert werden. Gleichwie der Staat hohe Summen Geldes für Erfassung der Frühfälle von Krebs verwendet, so könnte er unter günstigeren, leichteren, billigeren und aussichtsreicheren Voraussetzungen auch gegen die Kropfkrankheit auftreten.

Von Wagner-Jauregg hat schon vor einem halben Jahrhundert die Thesen C h a t i u s von der Jodmangelursache des Kropfes der Vergessenheit entrissen und den einfachsten Weg zur Verminderung der Kropfhäufigkeit gewiesen: die Jodierung des Kochsalzes! Freilich ist der Jodmangel nicht die einzige Ursache der Kropfbildung, denn Vitaminmangel und eine Kropfnoxe spielen eine weitere, wenn auch viel geringere Rolle bei der Kropfentstehung. Mag die Beseitigung der beiden eben genannten Ursachen auf größere Schwierigkeiten stoßen: die Jodarmut als Hauptursache des alpinen Kropfes läßt sich um so leichter durch die obligate und allgemeine Ausgabe von jodiertem Salz beseitigen. Von Wagner-Jauregg konnte bereits im Jahre 1923 die allgemeine Verwendung von jodiertem Salz durchsetzen, jedoch nicht einem taktisch überlegten, wissenschaftlich aber bedenklichen Angriff der Jodsalzgegner in Fach- und Tagespresse standhalten. Im Jähre 1933 wurde verfügt, daß jodiertes Salz nur mehr auf besonderes Verlangen und zu einem höheren Preis als das nichtjodierte zum Verkaufe gelangen soll. Damit waren die beiden wichtigsten Prinzipien der Jodsalzprophylaxe durchbrochen: das des gleichen Preises und der primären Abgabe jodierten Salzes beim Einkauf.

Die Schweiz jedoch behielt, ungefähr zur gleichen Zeit beginnend, die Jodierung des Vollsalzes bei und hat damit ausgezeichnete Erfolge erzielt, wodurch es das klassische Land der Kropfprophylaxe wurde, von dem viele andere Länder ihr nachahmendes Beispiel nahmen, so Süddeutschland, Holland, Italien und Frankreich für ihre Kropfende-miegebiete, Kanada, Finnland und andere. Oesterreich hätte es leicht, kann es doch an eine 30jährige Erfahrung der Schweiz anknüpfen; zudem liegen rassenmäßige, klimatische oder geologische Unterschiede nicht vor, auch der Kropf ist dort der gleiche wie hier. Mag der Jodmangel nicht die einzige Ursache der Kropfbildung sein, so ist die Jodierung des Kochsalzes doch der einfachste und beste Weg zur Senkung der Kropfhäufigkeit. Den Gegnern der Jodierung ist aber entgegen zu halten, daß in der Schweiz in den letzten 30 Jahren keine einzige Publikation erschien, die von einer gesundheitlichen Schädigung durch Jodsalz berichtet hätte, so daß der jüngeren Aerztegeneration “ dieses Problem ganz unbekannt ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Teile der französischen Besatzungstruppen und ihrer Angehörigen in den Jahren nach dem Kriege in Tirol einen Kropf bekamen, andere an Hyperthyreose, einer krankhaften Veränderung der Schilddrüsenfunktion bei Vergrößerung derselben, erkrankten, obwohl bekanntermaßen detachierte Truppen und deren Angehörige reichlich mit Lebensmitteln und vitaminreichem Obst versorgt sind. Meines Erachtens wäre sowohl der Kropf als auch die Hyperthyreose zu vermeiden gewesen, hätte man zugleich mit den Nahrungsmitteln auch das jodreiche französische Salz miteingeführt.

Durch die Monopolstellung des Staates in Erzeugung und Verteilung des Salzes ist es ohne weiteres möglich, allen Bevölkerungskreisen ein als nützlich oder notwendig erkanntes Vorbeugungsmittel zukommen zu lassen. Wenn das oberste staatliche Gesundheitsamt einen großen Teil der Bevölkerung vor einer endemischen Erkrankung bewahren will und den besten Weg zur Erreichung dieses Zieles ohne irgendwelche Schädigung des anderen Teiles der Bewohner erkannt hat, so bedarf es nur einer Vereinbarung mit einer anderen staatlichen Einrichtung, in diesem Falle der staatlichen Salinenverwaltung. Beide sind Einrichtung des Staates, der am Wohlergehen seiner Bürger verpflichtend interessiert ist. Der Erfolg ist unbedingt sicher, wie dies die 30jährige Erfahrung der Schweiz in der Jodsalzprophylaxe beweist.

Der Kostenaufwand für den Jodzusatz ist relativ gering im Verhältnis zu den Krankheitskosten. Den Sozialversicherungsträgern kostet zum Beispiel eine Kropfoperation nach ihren eigenen Angaben ungefähr 1000 Schilling. Unter Zugrundelegung dieser für Ver-pflegskosten, Krankengeld und Arbeitsausfall gewiß nicht zu hoch angesetzter Zahl errechnet sich die Summe von 16 Millionen Schilling für die 16.000 Kropf Operationen in sieben Jahren! Demgegenüber kostet nach einer Berechnung Hamburgers der Jodzusatz zum Kochsalz bei einem Apothekeneinkaufspreis von 160 Schilling pro Kilogramm Käliumjodat pro Jahr und Gesamtverbrauch zirka 50.000 Schilling. Ganz abgesehen vom unschätzbaren gesundheitlichen Wert der Kropfverhütung und der dadurch sich ergebenden körperlichen und geistigen Ertüchtigung unseres kostbaren Gutes, unserer Kinder, ergibt sich ein Kostenvergleich, zieht man die eben angegebenen Zahlen heran, von 16 Millionen Schilling gegen 350.000 Schilling! Der Schweizer Frauenarzt Nager hat ein Merkblatt für werdende Mütter vorgeschlagen mit dem Hinweis auf die Verwendung von jodiertem Salz, daß dadurch die Kinder „größer, schöner und intelligenter“ werden! Und dies soll nur Schweizer Kindern vorbehalten sein?

Es ist moralische Pflicht des Staates, die Forderungen wissenschaftlicher Forschungen und praktischer Erkenntnisse zu erfüllen. Es mögen freilich auch in der Frage der Jodierung des Kochsalzes Gegenspieler auftreten, wodurch Schwierigkeiten und Anfechtungen entstehen, deren Widerlegung einer staatlichen Behörde nicht opportun erscheinen mag. Deshalb erscheint die Konstituierung einer Kropfkommission, die sich in genügender Zahl aus interessierten Aerzten der Klinik, Praxis und Verwaltung zusammensetzt und der Sanitätsverwaltung beratend und vorschlagend zur Seite steht, angebracht zu sein. In ähnlicher Weise ist dies ja auch bei der österreichischen Krebsgesellschaft geschehen. Oesterreich könnte hier leicht die 30jährige Erfahrung der schweizerischen Kropfkommission übernehmen und auf die eigenen Notwendigkeiten übertragen. Diese Kropfkommission hätte vor allem die Höhe des Jodzusatzes zum Salz zu klären, die zweckmäßige Verpackung, Versendung und Ausgabe desselben zu beraten und vor allem aus sich heraus die Bevölkerung zu informieren, daß das darin enthaltene Jod kein Gift, sondern ein wesentlicher, unentbehrlicher Faktor zur Sicherung lebenswichtiger Vorgänge im Körperhaushalt darstellt. Nach der Erreichung dieses ersten Zieles ergibt sich noch eine Reihe von Problemen und Arbeiten, so die Frage nach einem stabilen Jodsalz beziehungsweise der Erreichung einer gleichmäßigen Jodverteilung, die weitere Kropfforschung, die Sammlung von Berichten über die eingetretenen Erfolge usw.

In einer im Jahre 1951 von M ü h 1 b e r g erschienenen Bearbeitung der schweizerischen Rekrutierungsstatistik wird hervorgehoben, daß neben dem Kropfrückgang eine große Reihe anderer Krankheitserscheinungen, die mit der Schilddrüsentätigkeit zusammenhängen, sich zurückgebildet haben, und zwar: ungenügende Entwicklung, Schwächlichkeit, ungenügende Körperlänge, geringer. Brustumfang, Adipositas, statische Beschwerden, mißgestaltete Extremitäten, organische und funktionelle Herzleiden, Schwerhörigkeit, ungenügende Sehkraft, geistige Beschränktheit. Die Schweizer Erfolge müssen uns dazu anspornen, die Jodprophylaxe auch bei uns ein-und restlos durchzuführen. Bleibt die Frage der Kropfursache auch weiterhin umstritten, so besitzen wir doch im Jod das bisher einzige Mittel zur Bekämpfung des endemischen Kropfes mit seinen in jeder Hinsicht unheilvollen Hypothyreotischen und kretinischen Begleiterscheinungen. Der Weg zur Bekämpfung ist gewiesen. Es bedarf dringend der Tat.

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