Wachsender Widerstand gegen den Elektrosmog

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Handys wohin man schaut:auf der Straße, im Kaffeehaus, in der Kirche. Und überall klingelt es. Was die Telekom-Gesellschaften in Feierstimmung versetzt, findet eine wachsende Zahl von Handy-Gegnern alarmierend.

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Handys wohin man schaut:auf der Straße, im Kaffeehaus, in der Kirche. Und überall klingelt es. Was die Telekom-Gesellschaften in Feierstimmung versetzt, findet eine wachsende Zahl von Handy-Gegnern alarmierend.

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Ende voriger Woche meldete der finnische Handy-Konzern Nokia neue Rekorde: 40 Prozent Anteil am Weltmarkt, 20,5 Milliarden Schilling Umsatz im Vorjahr. Man rechnet mit einer weltweiten Nachfrage nach 450 bis 500 Millionen Handys. Allein auf dem chinesischen Markt sind es 2,5 Millionen Stück pro Monat.

Österreich hat den Großteil des Handy-Booms wohl schon hinter sich. 1990 mit der Errichtung des D-Netzes begonnen, bediente dieses 1991 erst 100.00 Mobilfunk-Teilnehmer. Zehn Jahre später kann "mobilkom austria" jedoch vermelden: "Österreich zählt zu den am schnellsten wachsenden Mobilfunkmärkten Europas. Mit rund fünf Millionen Handy-Usern in Österreich stieg die Marktdurchdringung auf 61,6 Prozent." Und Ende 2000 dürfte der Wert schon bei rund 70 Prozent gelegen sein: Platz in Europa zwei hinter Schweden.

Dramatisch steigern lässt sich diese Zahl wohl nicht mehr. Daher setzt man auf die Neu-Aussstattung der Handy-Nutzer dank der Möglichkeiten zukünftiger Technologien: "Die digitale Revolution ist bereits voll im Gang," liest man in der "mobilkom"-Info. Und: "Noch nie hat sich das Rad der Innovation so schnell gedreht wie heute. Vor 20 Jahren war unsere Gegenwart Sciencefiction, heute ist sie ein faszinierende lebbare Welt. Das Handy wird weltweit für jeden Menschen zu jeder Zeit, an jedem Ort Zugang zu allen verfügbaren Informationen des Planeten ermöglichen."

Also wenn das nicht eine Verheißung ist, was dann? An der Tatsache, dass sich mit den neuen Technologien faszinierende Möglichkeiten eröffnen, zweifelt wohl niemand. Aber ob die schöne, neue Handy-Welt, wie behauptet, auch "lebbar" sein wird, das erscheint zunehmend umstritten. Es mehren sich nämlich die Hinweise auf negative Nebenwirkungen der mobilen Kommunikationssysteme.

Und der Widerstand formiert sich: So wurden vorige Woche in den USA zwei Sammelklagen wegen möglicher Gesundheitsschäden eingebracht und zwar gegen die Handy-Hersteller Motorola, Nokia und Ericsson sowie gegen drei US-Netzbetreiber. Diese lehnen erwartungsgemäß jede Verantwortung ab. Motorola-Manager Norman Sandler etwa erklärte der "Washington-Post" gegenüber, es gäbe keine glaubwürdigen wissenschaftliche Belege für einen Zusammenhang zwischen Handy-Strahlung und Erkrankungen.

Bei diesen Auseinandersetzungen können sich die Netzbetreiber und Handy-Hersteller allerdings darauf berufen, sie hielten sich an den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Richtwert der zulässigen Strahlungsintensität. In deren Auftrag hatte nämlich eine Studie der "International Commision on Non-Ionizing Radiation Protection" (ICNIRP) 1998 einen Wert von rund 10.000 Milliwatt je Quadratmeter als zulässige Obergrenze festlegt.

Diese Studie weise "eine massive Schlagseite" auf, kritisiert Gerd Oberfeld, Umweltmediziner beim Amt der Salzburger Landesregierung, im Gespräch mit der furche: "Ich beschäftige mich schon lange mit diesen Fragen. Je länger, umso mehr erkenne ich, dass hier etwas vorgeht, was weltweit seinesgleichen sucht."

Was ist nun Gegenstand der Kritik? Dass die festgelegten Grenzen nur die thermischen Wirkungen der hochfrequenten Strahlung auf das Gewebe berücksichtigen. Es ist heute unumstritten, dass solche physikalische Wirkungen eintreten können und zu vermeiden sind.

Einseitige Empfehlung Das reicht aber nicht, erklären die Kritiker. Besonders streng geht Neil Cherry von der Lincoln Universität in Neuseeland mit der WHO ins Gericht: "Die ICNIRP-Bewertung von Wirkungen (1998) weist schwerwiegende Mängel auf. Sie ist tendenziös und enthält bedeutende Fehler, Weglassungen und absichtliche Verdrehungen."

Es sei unzulässig, sich auf die Vermeidung thermischer Effekte zu beschränken, wo sich die Zahl der Hinweise auf andere Folgewirkungen des "Elektrosmog" mehren: auf den Schlaf-Wach-Rhythmus, das Nerven- und Immunsystem, auf das Gehirn und die Art, wie Zellen kommunizieren. Allerdings habe man all das bisher viel zu wenig untersucht. Die entscheidenden Akteure, die Politik und die Mobilfunk-Betreiber, haben ja kaum ein Interesse an Ergebnissen, die den erhofften Boom bremsen könnten.

"Die Datenlage zur Entscheidung der Frage, ob es unterhalb der Schwelle für eine relevante Erhöhung der Körpertemperatur durch Absorption elektromagnetischer Energie zu gesundheitlich bedeutsamen Auswirkungen kommt, ist höchst unbefriedigend," stellt dazu Univ. Prof Michael Kund vom Wiener Institut für Umwelthygiene fest. Er kritisiert vor allem das Fehlen von Untersuchungen über die Auswirkungen der Sendestationen. Dadurch, dass von ihnen eine Dauerbelastung ausgeht, könnten sie nämlich in mancher Hinsicht gefährlicher sein als die Handys selbst.

Für das Auftreten negativer Effekte gibt es jedenfalls eine wachsende Zahl von Einzelbeobachtungen: "Bei mir melden sich immer mehr Leute, die über gesundheitliche Probleme seit der Aufstellung von Mobilfunksender berichten," stellt Umweltmedizinier Oberfeld jedenfalls fest. Und auch aus landwirtschaftlichen Betrieben hört man, dass sich der Gesundheitszustand des Viehs nach Errichtung einer Sende-Anlage in der näheren Umgebung verändert: Die Kühe verändern ihr Verhalten, es gibt relativ viele Miss- und Frühgeburten, die Augen der Tiere tränen, es kommt zu Missbildungen ...

In den Medien bekannt geworden ist das Geschehen am Hof des Josef Altenweger in Bayern, das die bayerische Regierung zum Anlass nahm, eine Untersuchung durchzuführen. Ihre Ergebnisse liegen mittlerweile vor. Ist die Frage nun geklärt? Keineswegs, werden die Ergebnisse doch sehr unterschiedlich interpretiert. Während Bayerns Umweltminister keinerlei Zusammenhang erkennen kann, hält der an der Untersuchung beteiligte Tiermediziner Christoph Wenzel fest: "Die Rinder kauen weniger wieder und sie liegen auch weniger und wir deuten diese Ergebnisse als chronischen Stress. Diese Annahme wird unterstützt durch Veränderung beim Stresshormon. Außerdem haben wir eine Immunschwäche bei diesen Kühen festgestellt und es gibt deutliche Anzeichen für eine Zellteilungsstörung."

Mehr Leukämie Hinweise für negative Folgen auch aus einem Vergleich von Kindern, die an Leukämie erkrankt waren, mit solchen, die diese Krankheit nicht hatten durch das Deutsche Kinderkrebsregister am Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation in Mainz: "Aufgrund der Beobachtungen für die nächtliche Magnetfeldexposition kann unsere Studie als Hinweis auf eine statistische Assoziation zwischen magnetischen Feldern und Leukämien im Kindesalter gewertet werden."

In eine ähnliche Richtung weist auch in ein Langzeitversuch an Ratten (1997). Die Tiere wurden zweimal täglich eine Stunde lang einer Strahlung ausgesetzt, die mit der einer Sendestation vergleichbar war. Und man registrierte, dass sich bei jenen Tieren, die Mobilfunk-Strahlen ausgesetzt worden waren, eine erhöhte Lymphomrate einstellte.

So mehren sich die Hinweise auf Gefährdungen (Näheres: www. buergerwelle.de), ohne dass dies eine gezielte Erforschung dieser Bedrohung käme. "Ein unhaltbarer Zustand, dass eine heute milliardenfach verbreitete Technologie nicht einer einzigen Untersuchung unterzogen wurde, die den Kriterien entspricht, die für andere Expositionen heute eine Selbstverständlichkeit darstellen," hält Michael Kundi fest.

Wieder einmal stehen wir vor dem Grundproblem: Naheliegende Vorsorge wird wirtschaftlichen Interessen eines Wachstumssektors geopfert. Die Industriegesellschaft, die sich viel auf ihre Rationalität zugute hält, startet wieder ein Großexperiment mit dem Lebensraum, statt rechtzeitig Warnzeichen zu beachten. Wie das Beispiel Salzburgs zeigt, ginge es auch anders. Dort gilt ein Grenzwert der Strahlenbelastung, der 10.000 Mal niedriger als jener der WHO ist - ohne dass Handy-Fans auf ihr Lieblingsgerät verzichten müssten.

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