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Digital In Arbeit

Sind Handys wirklich so harmlos?

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Hochspannungsleitungen, zahllose Sender, Handys, wohin man schaut: Sie alle produzieren elektromagnetische Felder. Ist das alles harmlos oder doch gesundheitsgefährdend?

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Hochspannungsleitungen, zahllose Sender, Handys, wohin man schaut: Sie alle produzieren elektromagnetische Felder. Ist das alles harmlos oder doch gesundheitsgefährdend?

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Die E-Wirtschaft und die Retrei-ber von Handy-Funknetzen konnten aufatmen: „Jüngste Studie des Gesundheitsministeriums sagt: Elektromagnetische Felder sind nicht schädlich.” So berichtete etwa die' „Wienstrom” in ihrer Kundenzeitschrift über die möglichen Gesundheitsgefahren durch elektromagnetische Felder. Diese werden derzeit heiß diskutiert. Anlaß dafür ist der rasante Ausbau des Handynetzes. Die vielen neuen Mobilfunksender, die derzeit meist ohne spezielle Rauverhandlung errichtet werden, sorgen für Verunsicherung.

Diskutiert werden vor allem zwei Arten elektromagnetischer Felder: Erstens die niedrigfrequenten Felder von Stromleitungen mit 50 oder 60 Hertz (Schwingungen pro Sekunde). Starke niedrigfrequente Felder gehen vor allem von den Hochspannungsleitungen der E-Wirtschaft aus. Zweitens hochfrequente Felder, die zur drahtlosen Informationsübertragung bei Radio und Fernsehen, Radar, CB-Funk und Mobiltelefonen dienen.

Absicht der Autoren der von Wienstrom angesprochenen „Studie dokumentierter Porschungsresultate über die Wirkung elektromagnetischer Felder” war es, der Technologiekritik aus der Bevölkerung mit objektiven

Informationen entgegenzuwirken: „Ein großer Teil der Ängste in der Öffentlichkeit könnte daher durch eine bessere Kommunikation zwischen Verursachern, Behörden und Betroffenen vermieden werden. Hier ist eine positive Entwicklung festzustellen. Während früher die Bisiko-Kom-munikation auf die Diskreditierung der Gegenseite gerichtet war, bauen nun Industrie und Behörden immer mehr auf Information.”

Die Unbedenklichkeit ist nicht belegt

Doch die vielfach euphorisch zitierte Expertise bringt eigentlich nichts Neues, sondern ist eine Zusammenstellung und Diskussion existierender Forschungsarbeiten. Präsentiert wurde die Studie wohl nicht zufällig gemeinsam mit dem Forum Mobilfunk - einer Vereinigung der Netzbetreiber, Handy-Hersteller und dem Fach verband der Elektro- und Elektronikindustrie. Denn die Ergebnisse scheinen auf den ersten Blick die Unbedenklichkeit ihres Tuns zu belegen. In den Medien wurde dann auch wunschgemäß berichtet, die Studie habe gezeigt, daß elektromagnetische Felder unbedenklich seien.

Doch so eindeutig ist die Expertise nicht. Im Hinblick auf starke niederfrequente Felder, wie sie etwa bei Übertragungseinrichtungen (Umspannwerken, Transformatoren und Hochspannungsleitungen) und bei beruflicher Exposition vorkommen, können laut Studie Wirkungen auf den Menschen nicht aufgeschlossen werden. Bei beruflich exponierten

Personen wurden in mehreren Untersuchungen erhöhte Bisiken für bestimmte Krebsarten gefunden. Einschränkend heißt es allerdings, daß möglicherweise andere Ursachen wie Bauchen oder ungesunde Ernährung für die Krebserkrankungen verantwortlich sein könnten.

Ein erhöhtes Krankheitsrisiko bei

Elektroarbeitern fand sich etwa bei einer großen norwegischen und einer schwedischen Studie. Beide Studien fanden ein erhöhtes Auftreten von Leukämie und Hirntumoren bei beruflich exponierten Personen.

Ein erhöhtes Hirntumor-Bisiko konstatiert auch eine neue Untersuchung des deutschen Krebsforschungsinstituts in Heidelberg. Diese Studie untersuchte 600 Personen und stellt fest, daß Frauen in Elektrobe-rufen ein fünffach erhöhtes Risiko im Vergleich zu unbelasteten Personen haben, an einem Hirntumor zu erkranken. In der Studie wurde der Einfluß von Rauchen und Ernährung berücksichtigt.

Hinsichtlich der elektromagnetischen Felder von Stromleitungen bewertet die „Internationale Kommission zum Schutz vor Nichtionisierender Strahlung” die bisher existierenden Untersuchungsergebnisse folgendermaßen: „Die epidemiologischen Studien über Kinder legen, wenn alle zusammen betrachtet werden, nahe, daß ein Zusammenhang zwischen Krebs und der Exposition gegenüber 50/60 Hertz-Feldern bestehen könnte.” Das zusätzliche Risiko sei allerdings klein. Die Seibersdorf-Studie meint dazu, daß es bisher keinen gesicherten Nachweis für die krebserzeugende Wirkung von elektromagnetischen Feldern im Tierversuch gebe, und daß großteils auch biologische Erklärungsmodelle fehlten. Doch das alles erlaubt nur den Schluß, daß hieb- und stichfeste Beweise für die Gesundheitsschädlichkeit dieser Felder ausstehen.

Der Hormonhaushalt wird beeinflußt

Angesichts dieser Erkenntnisse alle Einwände gegen die Errichtung von Mobilfunkstationen öffentlich als wissenschaftlich widerlegt darzustellen, hat wenig mit der proklamierten Absicht zu tun, die Diskussion zu versachlichen. Ehrlicher wäre es zuzugeben, daß die Wirkungen elektrischer und magnetischer Felder auf den Organismus noch nicht wirklich verstanden werden.

Diese laufen über komplexe Prozesse ab, die bis in die Zellen des menschlichen Organismus hineinwirken und vielfältige physiologische Störungen auslösen könnten.

Ein Beispiel dafür ist die Beeinflussung des Hormonhaushaltes. So ist gesichert, daß elektromagnetische Felder die nächtliche Melatoniner-zeugung der Zirbeldrüse verringern. Dies kann den Biorhythmus, das Immunsystem und die Psyche beeinflussen. In Untersuchungen an Zellkulturen und Tierversuchen wurden auch genetische Effekte nachgewiesen, die von elektromagnetischen Feldern mit Sendefrequenzen hervorgerufen wurden, wie sie bei Fern-seh- und GSM-Sendern verwendet werden.

Auch die EU-Kommission nimmt die Gesundheitsbedenken gegenüber elektromagnetischen Feldern ernst. Eine Expertengruppe der Europäischen Kommission hat soeben einen Bericht veröffentlicht, der Vorschläge für ein Untersuchungsprogramm zu den möglichen gesundheitlichen Effekten durch den Gebrauch von Funktelefonen macht. Titel des Berichts lautet: „Possible health effects related to the use of radiotelephones,, proposals for a research programme.” Die Verwirklichung der Vorschläge würde ein Forschungsbudget von rund 320 Millionen Schilling erfordern, wovon rund zwei Drittel für biologische Studien und ein Drittel für epidemiologische Untersuchungen vorgesehen sind.

Während im Zusammenhang mit i Funktelefonen zunächst nur von den thermischen Effekten - also die Erwärmung von Geweben durch die Aufnahme elektromagnetischer Felder beim Telefonieren mit Handys -die Bede war, zieht man heute auch* darüber hinausgehende nichtthermische Effekte in Betracht. Der Bericht der EU-Expertengruppe stellt festy daß es eine beträchtliche Menge an Daten gibt, die biologische Effekte! von schwachen Radiowellen be-1 schreiben. Diese gehen von amplitudenmodulierten Radiowellen aus, deren Feldstärken zu schwach sind, um einen thermischen Effekt zu bewirken. Weiter heißt es im Rericht, daß man nicht ausschließen könne, daß Mikrowellenstrahlung, die bei kurzzeitiger Exposition keine zerstörende Wirkung aufweise, ein langfristiges Risiko darstelle. Im Zusammenhang-mit den Funktelefonen könnten nur epidemiologische Studien solche Reweise liefern.

Diese Vorgangsweise unterschei-det sich wohltuend von der hierzulande gewählten Vorgangsweise, wo : unter dem Deckmantel der Auf-klärung Propaganda betrieben wird.

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