Das Böse kommt in Schwaden

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Duftstoffe sind nicht immer unbedenklich. Und penetrante Gerüche in der

Wohnumgebung können das Leben regelrecht zur Hölle machen.

Hans-Peter Hutter steht vor einem Rätsel. Bei welchen Debatten der Umweltmediziner auch teilnimmt, mit welchen besorgten Bürgerinnen und Bürgern er auch spricht: Stets gilt die Sorge einem Übermaß an Chemie - vor allem in der Nahrung. Sämtliche Zusatzstoffe werden kritisch beäugt, Konservierungsmittel verteufelt, Farbstoffe abgelehnt, "E-Nummern" ausgeforscht. "Nur bei den Duftstoffen ist man komplett kritiklos", wundert sich Hutter. "Als Arzt bin ich wirklich überrascht, dass Chemikalien so ein gutes Image haben können."

Angesichts der Forschungsergebnisse, die Hutter am Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien gewonnen hat, ist man geneigt, seine Verwunderung zu teilen. Im Rahmen einer Untersuchung gemeinsam mit dem Umweltbundesamt konnte er im Blut fast aller seiner 100 Probandinnen und Probanden - überwiegend Studierende - chemische Duftstoffe nachweisen. "Wir haben nach elf Moschusduftstoffen gesucht, wovon ein Hauptvertreter, das so genannte Galaxolid, in allen Blutproben nachweisbar war", erzählt Hutter.

Geschönte Chemie

Sogar ein mittlerweile verbotener synthetischer Duftstoff, Moschus-Ambrette, wurde in einer Probe festgestellt. Welche gesundheitlichen Beschwerden diese Ansammlung chemischer Stoffe im Blut auslösen könne, sei noch nicht erforscht, so Hutter. Dass Moschus-Ambrette bei Ratten zu Schädigungen des Nervensystems geführt habe, müsse freilich zu denken geben.

Auch die Frage, woher die Duftstoffe im Blut gekommen sind - aus welchem Reinigungsmittel, Pflegeprodukt oder Duftöl -, konnte man nicht rekonstruieren. "Man verwendet ja sehr viele solcher Produkte", erklärt Hans-Peter Hutter. Die in der Duftstoffindustrie üblichen Firmengeheimnisse würden die Transparenz zusätzlich behindern. Eine fatale Situation. Schließlich gelten Duftstoffe - hinter Nickel - mittlerweile als zweithäufigste Ursache für Kontaktallergien.

Eine deutsche Studie schätzt die Zahl der Duftstoffallergiker mittlerweile auf 500.000. "Diese Daten kann man getrost auf Österreich übertragen", betont der Umweltmediziner Hutter. 50.000 Österreicher reagieren demnach allergisch auf ein Zuviel

an Chemie. Auch wenn 26 allergene Duftstoffe nun laut EU-Recht auf der Verpackung von Kosmetika deklariert werden müssen, so gilt dies nur, wenn sie bestimmte Konzentrationen überschreiten. Als Resultat bleiben die Hersteller einfach unter den Grenzwerten. Für empfindliche Allergiker, die nach völlig duftfreien Produkten suchen, ein schwacher Trost.

Besonders problematisch seien nach Ansicht Hutters jene günstigen Duftöle, die aus Fernost importiert werden und im Winter für gute Stimmung sorgen sollen. "Die Zusammensetzung dieser Erzeugnisse kennen wir überhaupt nicht", warnt Hutter. "Statt für Wellness zu sorgen können die sogar Schaden anrichten."

Nicht zu reden von jenen Beduftungen, denen Menschen unfreiwillig oder unbewusst ausgesetzt sind - etwa in Geschäften, Neuwagen, Ordinationen oder auch an ihrem Arbeitsplatz. "Ich habe gehört, dass das in den USA auch zur Motivations-und Leistungssteigerung der Mitarbeiter eingesetzt wird, ohne dass diese es wissen", empört sich Hutter. "Das ist reine Manipulation."

Nicht manipulativ, nur nervtötend ist es, wenn in der Wohnumgebung stetig Gestankschwaden kursieren. Von der Biogasanlage über die Papierfabrik bis hin zum Schweinemastbetrieb reicht die Palette möglicher Geruchsquellen. Doch ab wann gilt ein hartnäckiger Duft tatsächlich als unzumutbar für Anrainer?

Limitierter Gestank

Nicht die Geruchsintensität, sondern die Häufigkeit der olfaktorischen Belästigung ist hier ausschlaggebend, erklärt Martin Piringer von der Abteilung für Umweltmeteorologie der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik auf der Hohen Warte in Wien. "In Wohngebieten darf es an nicht mehr als drei Prozent aller Jahresstunden zu einer Geruchswahrnehmung kommen, in einem industriellen Gebiet an nicht mehr als acht Prozent aller Stunden", erklärt er im Furche-Gespräch. So konkret diese Empfehlung formuliert ist (eine gesetzliche Regelung gibt es in Österreich nicht), so individuell wird eine etwaige Geruchsbelästigung schlussendlich wahrgenommen. "Es gibt viele Menschen, die bei der Geruchsschwelle, also einer Geruchseinheit pro Kubikmeter Luft, noch gar nichts riechen", so

der Experte. Andere würden schon bei zwei Prozent der Jahresstunden über Beeinträchtigungen klagen.

Wie stark Geruchsemissionen tatsächlich in der Umgebung wahrzunehmen sind, hängt nicht zuletzt von den lokalen Wind-und Wetterverhältnissen ab. Um das Belästigungspotenzial - etwa bei Anrainerbeschwerden oder im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung - nachvollziehbar zu machen, hat Piringer gemeinsam mit seinem Kollegen Günther Schauberger vom Institut für Medizinische Physik und Biostatistik der Veterinärmedizinischen Universität Wien ein Ausbreitungsmodell entwickelt. Sein Name: Austrian Odour Dispersion Model, AODM. "Mit Hilfe dieses Modells und der Angaben über den Betrieb selbst - der Geruchsemissionen oder der Anzahl der gehaltenen Tiere -, können wir vorhersagen, mit welchen Geruchskonzentrationen in der Umgebung zu rechnen sein wird", erklärt Piringer. Liegt der zu erwartende Gestank über dem Grenzwert, wird mit dem Betreiber oder der Behörde über notwendige Geruchsminderungsmaßnahmen verhandelt. Eine gute Lösung können Biofilter mit Reisig sein.

Unerreichbare Nase

Doch was, wenn all das nichts fruchtet? Kann Gestank überhaupt objektiv gemessen werden? Nur schwerlich, gesteht Günther Schauberger, der gemeinsam mit Martin Piringer auch Initiator der "Interessengemeinschaft Geruch" ist: "Derzeit können wir das nur mit Hilfe der menschlichen Nase messen." Im Zuge der "Olfaktometrie" werden etwa fünf bis sieben Personen hinsichtlich ihrer Riechwahrnehmung geprüft und dann zum konzertierten "Schnüffeln" aufs Feld geschickt. "Eine Maschine, die so etwas messen könnte, gibt es derzeit leider noch nicht", klagt Schauberger. Schließlich seien bestimmte Gerüche nicht eindeutig auf bestimmte Substanzen zurückzuführen. "Man kann künstliche Nasen vielleicht einsetzen, um in der Lebensmittelindustrie festzustellen, ob eine immer gleiche Backware verbrannt ist oder nicht", weiß der Experte. "Aber die Raffinesse der menschlichen Nase ist noch lange nicht erreicht."

Infos unter www.geruch.at

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