Vom Meer in die Mägen

Werbung
Werbung
Werbung

Leicht, billig, praktisch: Mit diesen Eigenschaften lässt sich Plastik gut beschreiben. Im Alltag begleitet uns Plastik etwa in Form von Verpackungen, Einkaufssackerln oder als alltäglicher Gebrauchsgegenstand. Doch Plastik ist häufig auch unsichtbar und taucht etwa in der Zahnpasta, in Duschgels oder in unseren Lebensmitteln auf: Das Stichwort ist Mikroplastik, das für Flüsse und Meere zunehmend zum Problem wird, weil es schwer aus der Umwelt herauszufiltern ist. Unter dem Begriff "Mikroplastik" versteht man Kunststoffteilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind. Alle größeren Plastikteile werden in der Fachsprache als "Makroplastik" bezeichnet. Seit den 1950er-Jahren ist die globale Plastikproduktion rasant angewachsen und liegt aktuell bei mehr als 400 Millionen Tonnen pro Jahr. Die Verschmutzung der Meere durch Mikroplastik wird jährlich auf bis zu 275.000 Tonnen geschätzt (AGES, 2016). Dort wird das Plastik von Meerestieren aufgenommen und gelangt so über die Nahrungskette in den Menschen.

Dass Mikroplastik im menschlichen Körper vorkommt, konnte eine Gruppe von Wisssenschaftlern aus Wien rund um Philipp Schwabl von der MedUni Wien im letzten Jahr erstmals mithilfe einer Studie nachweisen. Dabei wurden Stuhlproben von acht Probanden untersucht, die eine Woche lang ein Ernährungstagebuch führten. An der Pilotstudie der MedUni Wien und des Umweltbundesamtes nahmen acht Menschen teil, die zwischen 33 und 65 Jahre alt waren. Die Teilnehmer kamen aus Finnland, Großbritannien, Italien, Japan, den Niederlanden, Polen, Russland und Österreich. Alle Probanden konsumierten in Plastik verpackte Lebensmittel und Getränke aus PET-Flaschen. Die Mehrzahl nahm Fisch oder Meeresfrüchte zu sich. Niemand ernährte sich ausschließlich vegetarisch. Das Ergebnis der Studie: In allen Stuhlproben ließen sich Spuren von Mikroplastik finden, am häufigsten fanden sich die beiden Stoffe Polypropylen (PP) und Polyethylenterephthalat (PET).

Nachweis in Lebensmitteln

Umweltmediziner und Landschaftsökologe Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien beschäftigt sich sehr mehr als fünf Jahren mit Mikroplastik. Weitere Studien oder konkrete Forschungen, die Mikroplastik im menschlichen Körper nachweisen würden, gäbe es derzeit kaum. "Methodische Untersuchungen zu dem Thema sind schwierig, aber nicht unmöglich", so Hutter. "Die Mikroplastikpartikel, die durch Zerreibung entstehen und sich in der Umwelt ansiedeln, unterscheiden sich sehr in Größe, Form und in der Qualität." Grund dafür ist die unterschiedliche Zusammensetzung des Mikroplastiks sowie Stoffe, die dem Plastik mitunter noch hinzugefügt oder an der Oberfläche absorbiert werden. Dadurch kann Mikroplastik auch Weichmacher, Schwermetalle oder Pflanzenschutzmittel beinhalten. Momentan beschäftigt man sich in der Forschung mit den Fragen, wie das Mikroplastik in den Körper kommt und wo genau es sich dann ablagert.

Bereits jetzt weiß man, dass Mikroplastik oral über Nahrungsmittel aufgenommen wird: "Im Blickfeld stehen hier Lebensmittel aus dem Wasser, wie Fisch, Meeresfrüchte oder Meersalz. Aber auch in Bier, Honig und Mineralwasser konnten Mikroplastikpartikel bereits nachgewiesen werden." Eine Untersuchung des deutschen Alfred-Wegener-Instituts zeigte, dass aus 290 Proben aus dem Magen-Darm-Trakt von Nord-und Ostseefischen wie Kabeljau, Hering oder Makrele Mikroplastik gefunden werden konnte: In 5,5 Prozent der Proben waren Plastikpartikel nachweisbar, 74 Prozent davon waren Mikroplastikpartikel, 40 Prozent bestanden aus Polyethylen. Bei anderen Lebensmitteln gilt es als sehr wahrscheinlich, dass sie während der Verarbeitung oder durch die Verpackung mit Kunststoffen in Kontakt kommen und so beim Verzehr Mikroplastik beinhalten.

Eine weitere Möglichkeit der Aufnahme des Mikroplastiks besteht über die Atemwege: "Wir wissen, dass die kleinen Teilchen von Mikroplastik auch eingeatmet werden können. Aus der Erfahrung mit Feinstaub kann man Analogieschlüsse ziehen, dass solche Teilchen Entzündungsreaktionen in den Atemwegen hervorrufen könnten." Forschungen zur Reaktion eines Organismus auf Mikropartikel wurden bei Wasserlebewesen, die eine Filterfunktion haben, wie beispielsweise Muscheln, durchgeführt. Diese bekamen reine Kunststoffkugeln eingesetzt. Das Ergebnis waren entzündliche Reaktionen des Gewebes und einer Beeinflussung des Immunsystems.

Hutter schließt aus diesen Untersuchungen und Plausibilitätsüberlegungen, dass die Aufnahme von Plastikpartikeln Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann und haben wird - man jedoch definitiv nicht sagen kann, wie viele Menschen davon krank werden könnten oder welche konkreten Effekte zu erwarten sind. "Derzeit kann man nicht sagen, dass der Konsum von Mikroplastik in seiner reinen Form problematisch ist. Dennoch gibt es ein Gefährdungspotenzial, weil wir eben wissen, dass die daran hängenden Stoffe gesundheitsbeeinträchtigend sind. Deshalb sollte die Aufnahme minimiert werden", fasst der Umweltmediziner zusammen.

Der Grundbestandteil von Kunststoff sind synthetisch oder halb-synthetisch erzeugte Polymere mit organischen Gruppen. Ein Kunststoffgegenstand besteht aus Millionen langer, ineinander verschlungener Molekülketten (d. h. Polymeren), die sich aus wiederholenden Grundeinheiten zusammensetzen. Polypropylen besteht zum Beispiel aus sich vielfach wiederholenden Propylen-Einheiten. Bei Mikroplastik unterscheidet man zudem zwischen primären und sekundären Mikroplastikpartikeln. Unter "primärer Mikroplastik" versteht man Plastikpartikel, die gezielt in dieser Größe hergestellt werden, beispielsweise für Peelings oder Zahnpasten. "Sekundäres Mikroplastik" entsteht durch physikalische, biologische und chemische Alterungs-und Zerfallsprozesse von Plastikabfall. Dies ist ein weit größeres Problem als das primäre Mikroplastik.

Von Mikroplastik sind nicht nur die Meere betroffen, auch in heimischen Flüssen lässt es sich nachweisen. In einer Studie der Uni Bayreuth (2018) wurden Proben entlang der Donau in Deutschland entnommen: Stets ließen sich Kunststoffpartikel nachweisen. Neben der Donau wurden auch Nebengewässer und Zuflüsse wie der Inn und die Isar getestet. Das Ergebnis: In allen Gewässern stellte kleines Mikroplastik bei Weitem den Hauptanteil des gefundenen Kunststoffes dar. Als häufigste Polymer-Sorten wurden in der Donau Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) nachgewiesen. Überraschend ist das nicht: Diese beiden Polymere haben am Kunststoffmarkt Europas den größten Anteil -Polyethylen mit 29,6 Prozent und Polypropylen mit 19,3 Prozent.

Kampf gegen Plastik

Dass Plastik zum Problem für Mensch und Umwelt geworden ist, hat auch die Politik erkannt. So beschloss die Bundesregierung im Dezember ein generelles Plastiksackerl-Verbot ab dem Jahr 2020. Mehr als 400 Millionen Einkaufssackerl sollen durch die Maßnahme ersetzt werden. Das Verbot soll ein erster Schritt sein, um Plastikverpackungen bis 2025 um 20 bis 25 Prozent zu verringern. Die Beimengung von Mikroplastik in Kosmetik- und Reinigungsprodukten soll ab 2020 verboten werden, sofern es bis dahin keine entsprechende EU-Regelung gibt.

Hans-Peter Hutter von der Med Uni Wien rät dazu, den Plastikkonsum bereits heute drastisch einzuschränken -wenn schon nicht der Gesundheit wegen, dann der Umwelt zuliebe: "Manche Berechnungen gehen jetzt schon davon aus, dass es mehr Mikroplastik gibt als Plankton, laut anderen wird es in spätestens zehn Jahren so weit sein. Es geht um enorme Dimensionen, die schon jetzt zu massiven Beeinträchtigungen der Umwelt führen werden."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung