7036720-1989_51_18.jpg
Digital In Arbeit

Perspektiven der Gentechnik

Werbung
Werbung
Werbung

Zweifellos hat die Biotechnologie durch die Einführung moderner Techniken und Methoden in den letzten zehn bis 15 Jahren eine stürmische Weiterentwicklung erfahren, die anfangs mit hochgesteckten Erwartungen und weit überzogenen Prognosen bezüglich eines raschen wirtschaftlichen Erfolges besonders der gentechnologischen Produkte einherging. Längst hat eine Phase sachlicher Arbeit begonnen, und eine realistische Einschätzung des wirtschaftlichen Potentials der Biotechnologie im Rahmen der pharmazeutischen Industrie beginnt sich durchzusetzen.

Noch «befindet sich die „moderne“ industrielle Biotechnologie in der Investitionsphase, die auch durch Rückschläge und Verluste gekennzeichnet ist.

Diese erste Phase ist durch die Produktion bekannter Proteine charakterisiert. (Alle Proteine sind Eiweiße, aber nicht jedes Eiweiß ist ein reines Protein.) Was die einzelnen Produkte oder Produkttypen betrifft, so handelt es sich durchwegs um parenteral (unter Umgehung des Magen-Darm-Traktes, meist durch Injektion) zu verabreichende hochmolekulare Proteinwirkstoffe. Hierbei handelt es sich noch um überwiegend nach Verfahren der „klassischen“ Biotechnologie hergestellte Produkte. Zwei von insgesamt sechs bereits auf dem humanmedizinischen Pharma-markt befindlichen gentechnisch gewonnenen Präparaten, nämlich Insulin und Wachstumshormon, ersetzen schon seit langem eingeführte Produkte durch identische oder wirkungsgleiche, nach anderem Verfahren gewonnene Substanzen. Eine wesentliche Expansion des Marktes ist hier kaum zu erwarten. Das gleiche wird auch beim Blutgerinnungsfaktor VIII der Fall sein, wenn die klinische Prüfung des gentechnologisch hergestellten Produktes zum Erfolg führt.

Die nächste Phase ist durch die Entdeckung und Charakterisierung neuer Proteine durch die Gentechnik gekennzeichnet. Das wichtigste Beispiel, das in diese Kategorie gehört, war die Forschung über Interferone und Lymphokine (Stoffe, die im Körper als Regulatoren auf das Immunsystem einwirken).

Bei diesen neuen Produkten ist eine teilweise Bewertung zur Zeit bereits möglich. In vielen Fällen handelt es sich hier um „Signalstoffe“ der interzellulären Kommunikation, die über relativ kurze Wegstrecken wirken. Ob die erforderlichen physiologischen Konzentrationen, die lokal sicher sehr hoch sind, bei parenteraler Gabe derartiger Wirkstoff e überhaupt erreicht werden, ist noch eine offene Frage. Es kann heute nicht ausgeschlossen werden, daß bei einer Überschwemmung des Organismus unspezifische schädliche Effekte eine Anwendung verbieten. Daher werden sicher auch neuartige Verabreichungsformen für solche Wirkstoffe zu entwickeln sein.

Vielversprechend sind derzeit die Erwartungen, die man an die Markteinführung der Erythropoie-tine knüpft (EPO; Hormone, die bei der Bildung und Freisetzung von Körperzellen von Bedeutung sind). Auch die „Colony Stimulating Factors“ (G-CSF, GM-CSF), die sich in bisherigen klinischen Prüfungen auch als vergleichsweise gut verträglich erwiesen haben, geben zu berechtigten Hoffnungen Anlaß. Sie wirken stimulierend auf gewisse Stoffwechselabläufe. Die hohen Erwartungen, die an den Gewebe-plasminogenaktivator (TPA) gestellt wurden, haben sich nach etwa dreijähriger Praxis bisher nicht erfüllt. Es handelt sich hier um Stoffe, die das Plasminogen, welches Blutgerinnsel auflöst, wirksam machen. Zweifellos sind den Diagnostika auf der Basis von Oli-gonucleotid-„Probes“ oder von monoklonalen Antikörpern gute Chancen einzuräumen. Nicht zu unterschätzen sind auch die Möglichkeiten der Gentechnologie auf dem Gebiet der Impfstoffe.

Die dritte Phase in der Beziehung zwischen Gentechnik und pharmazeutischer Forschung hat ebenfalls schon begonnen, obwohl die therapeutischen und diagnostischen Auswirkungen erst etwa 1995 spürbar werden können.

Auf der einen Seite sind die Möglichkeiten der Anwendung von körpereigenen Proteinwirkstoffen in der Therapie bei weitem noch nicht erschöpft, da immer wieder neu entdeckte Proteinwirkstoffe hinzukommen. Man wird auch weiterhin versuchen, auf dieser Basis Anregungen für neue Arzneimittel zu finden. Aber da zeichnet sich bereits eine „zweite Generation“ der Gentechnik ab. Man versteht darunter die Realisierung der Möglichkeiten der molekularen Pharmakologie. Die sich hieraus ergebenden strategischen Ansätze beginnen mit der Identifizierung von Zielgenen in der Grundlagenforschung, wobei es sich zum Beispiel um Gene für physiologische Rezeptoren (=„ Empfänger“) auf der Oberfläche von Zellen handeln kann. Mit Methoden des Klonierens (ungeschlechtliche Erzielung erbgleicher Nachkommenschaft)

und der Expression wird es möglich sein, derartige Rezeptoren, die ja in vielen Fällen „Angriffsziele“ der Arzneimittel darstellen, im Laboratorium in ausreichenden Mengen und großer Reinheit herzustellen, um sie in ihrer Struktur aufzuklären.

Auf der Basis so gewonnener Strukturdaten von Rezeptormolekülen müßte es mit Hilfe moderner Computer-Techniken, wie dem „Molecular Mo-delling“ möglich sein, Rückschlüsse auf niedermolekulare Substanzen zu ziehen, die strukturell in die aktiven Zentren solcher Rezeptormoleküle hineinpassen und so mit diesen Rezeptormolekülen möglicherweise in Wechselwirkung treten können. Auf diese Weise erhält die organisch-chemische Synthese lohnende Anregungen für ein modernes Design von neuen Wirkstoffen.

Nur mit Hilfe gentechnischer Methoden lassen sich die hier geschilderten zukünftigen Strategien realisieren. Nach in den USA aufgestellten Schätzungen dürfte der Markt der zum Teil gentechnisch hergestellten körpereigenen Proteinwirkstoffe bis etwa zum Jahre 2000 mit rund elf Milliarden US-Dollar sein Maximum erreichen. Danach wird eine große „Renaissance“ von niedermolekularen Wirkstoffen, die durch organischchemische Synthese erhalten werden, erwartet, und zwar auf der Basis des geschilderten „drug de-signs“ mit Hilfe des „Molecular Modelling“. Nach dieser Schätzung dürfte der Umsatz an derartig gewonnenen niedermolekularen

Verbindungen bis zum Jahre 2010 Größenordnungen von 30 Milliarden US-Dollar erreichen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß diese neue Generation von chemisch-synthetischen Arzneimitteln alte Arzneimittel, die weniger spezifisch wirken und auch mehr Nebenwirkungen haben, ablösen wird. Wie jede so weit reichende Prognose ist auch diese mit Vorbehalten zu versehen, da sich neue Voraussetzungen ergeben können. So können neue, noch zu entdeckende körpereigene Protein Wirkstoffe, die wir noch nicht kennen und deren Anwendungspotential wir auch noch nicht bewerten können, weitere neue Märkte eröffnen. Proteinwirkstoffe müssen parenteral, also durch Injektionen oder Infusionen verabreicht werden, was ihre Anwendung begrenzt.

Neue Verabreichungsformen (etwa mit Hilfe von Liposomen), die eine orale Anwendung von Proteinwirkstoffen gestatten, vielleicht auch noch mit gezielter Wirkung, könnten vielleicht ein völlig anderes Bild ergeben, was die Marktchancen betrifft. Liposome sind Hilfsstoffe, die die Einnahme von Wirkstoffen über den Magen-Darmtrakt ermöglichen. Und schließlich ist nicht gesagt, ob das „Molecular Modelling“ überhaupt zu einem signifikanten Durchbruch in der Arzneimittelentwicklung führen wird.

Dennoch wird heute schon sehr intensiv weltweit an der Realisierung dieser Möglichkeit gearbeitet.

Die vierte Phase, von der man annehmen kann, daß sie mit der dritten parallel läuft, ist durch eine viel umfangreichere Manipulation von Genen in Mikroorganismen gekennzeichnet als bisher. Durch Einführung von Genen in die Produktionsstämme von Antibiotika wird man eines Tages imstande sein, neue Prototypen antibiotischer Wirkstoffe zu produzieren. Auch die Herstellung anderer sekundärer Metaboliten (zum Beispiel Stoffwechselprodukte gewisser Bakterien), die medizinisch wichtig sind, wird möglich sein. Natürlich werden alle diese Stoffe auch für weitere chemische Derivatisierungen zur Verfügung stehen (Entwicklung von Abkömmlingen einer chemischen Verbindung).

Die Erfolgschancen der Gentechnik im Bereich Gesundheit, also in der pharmazeutischen Industrie, müssen langfristig gesehen werden. Hohe Investitionen und harte Arbeit werden erforderlich sein, um die hochgesteckten Ziele auch zu erreichen. Um so wichtiger ist es, neue wissenschaftliche Erkenntnisse unter Anwendung molekularbiologischer und insbesondere gentechnischer Methoden für die medizinische Grundlagenforschung zu gewinnen, und hier ist die Gentechnik von gar nicht hoch genug einzuschätzender Bedeutung für die Medizin.

Das wären die Möglichkeiten und Chancen, welche die Gentechnologie der pharmazeutischen Industrie in der Forschung, in der Produktion und schließlich auch in der Vermarktung neuer Produkte bietet. Vor uns liegt sicher ein langer, mühsamer Weg bis zu ihrer Realisierung.

Univ. Prof. Friedrich Dorner leitet das Forschungszentrum der Immuno AG in Orth an der Donau. Die Erklärungen der Fachausdrücke wurden von der Redaktion in den Text eingefügt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung