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Eine Chance, den Schnellzug zu bremsen

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Bis zum 14. April kann das Gentechnik-Volksbegehren noch unterschrieben werden. Was spricht dagegen, was dafür?

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Bis zum 14. April kann das Gentechnik-Volksbegehren noch unterschrieben werden. Was spricht dagegen, was dafür?

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Drei wesentliche Anliegen verfolgt das Gentechnik-Volksbegehren, das derzeit die Gemüter bewegt:

■ Es fordert ein gesetzliches Verbot, gentechnisch veränderte Nahrungsmittel in Österreich herzustellen, zu verkaufen oder aus dem Ausland zu importieren.

■ Es fordert weiters das Verbot, gen-technisch veränderte Pflanzen, Tiere oder Mikroorganismen in Osterreich freizusetzen.

■Und schließlich verlangt es, daß die Patentierung von gentechnisch veränderten Lebewesen verboten werde.

Manche werden sich fragen, welchen Sinn diese Initiative hat, da Österreich ohnedies über ein Gentechnik-Gesetz verfüge, das 1994 beschlossen wurde. Was antworten die Proponenten des Volksbegehrens auf diese Frage?

Sie weisen darauf hin, daß es zwar während der Beratungen des Gesetzes einen breiten Konsens bezüglich der Begelungen gab, daß der vom Nationalrat abgesegnete Gesetzestext dann aber in wesentlichen Punkten Änderungen aufgewiesen habe: weniger Auflagen, weniger Bürger-Beteiligung, keine ausreichende Haftung ...

Da nun die Welle von Gen-Produkten (insbesondere Soja, Raps und Mais) sowie von Ansuchen auf Freisetzung gentechnisch veränderter Lebewesen auf uns zukommt, ist das Volksbegehren ein Versuch, die Notbremse zu ziehen und ein deutliches Zeichen zu setzen.

Strikt abgelehnt wird dieses Unternehmen von der Wirtschaft. Die Industriellenvereinigung fordert eine sachliche Information und lehnt unsinnige Verbote ab. „Daher tritt die Industriellenvereinigung für einen offenen und redlichen Dialog ein. Durch eine Einschränkung oder gar ein Verbot der Forschungstätigkeit würde sich Österreich jedenfalls einer Zukunftstechnologie mit medizinisch, ökonomisch, aber insbesondere auch ökologisch interessanten Anwendungsbereichen verschließen, was mittelfristig durch den Verlust von Wertschöpfung und hochqualifizierten Arbeitsplätzen an andere Länder, eine Schwächung der österreichischen Wirtschaft zur Folge hätte,” heißt es in einer Stellungnahme.

Ohne Patentschutz seien weitere kostspielige Investitionen in innovative Entwicklungen nicht möglich. Bezüglich der Landwirtschaft stellt die Industriellenvereinigung fest, sie stehe durch den Abbau von Handelsbarrieren „unter einer sehr hohen Konzentration und einem enormen Rationalisierungsdruck. Vor allem die kleinstrukturierte österreichische Landwirtschaft wurde spätestens seit dem EU-Beitritt davon erfaßt. Es ist daher vermessen, diese weltwirtschaftlichen Tendenzen zu ignorieren und das weltweit genutzte Wertschöpfungspotential für die Produktion von Nahrungsmitteln und Industrierohstoffen, das durch den Einsatz der Gentechnik, in steigendem Ausmaß auf den großen Agrarmärkten genützt werden wird, an Österreich spurlos vorbeiziehen zu lassen ...”

Zusammengefaßt lauten die Argumente der Gegner des Volksbegehrens: Die Gentechnik eröffnet enorme wirtschaftliche Perspektiven. Sie werden unabhängig von Österreichs Entscheidung verwirklicht: neue Verfahren, neue Produkte, effizientere Produktion (vor allem in der Landwirtschaft), weniger Umweltbelastung durch Pestizide ... Unser Land habe alles Interesse daran, sich nicht vom Fortschritt abzukoppeln, wolle es nicht „Know-how” und Arbeitsplätze in einer Zukunftsbranche verlieren.

Diese Argumente sind nicht einfach vom Tisch zu wischen. Auch der Vorwurf, die Gentechnik-Gegner schürten irrationale Ängste, ist gar nicht so leicht zu entkräften, gibt es doch keine konkreten Beweise dafür, daß Gen-Produkte an sich schädlich sind (wenn auch Soja mit einem Para-Nuß-Gen wegen erhöhter Allergiegefahr vom Markt genommen werden mußte).

Was spricht dann aber für das Unterschreiben des Volksbegehrens? Die bisherigen Erfahrungen mit massiven Eingriffen in die Ökosysteme, vor allem mit der weltweiten Verbreitung von Chemikalien verschiedenster Art. Die Gentechnik ist eine Fortsetzung dieses Weges mit anderen Mitteln. Auch sie stellt einen Großversuch an der Menschheit dar - wie vor Jahrzehnten das DDT, wie die chlorierten Kohlenwasserstoffe, die die Ozonschicht angreifen. Zunächst als große Errungenschaften gefeiert, zeigten sie nach jahrelangem, weltweitem Einsatz ihre gravierenden Folgewirkungen in Bereichen, wo man es nicht erwartet hatte.

„So hat sich in der jüngeren Vergangenheit gezeigt, daß Pestizide hormonähnliche Wirkungen haben können und selbst in geringsten Konzentrationen in die Regelmechanismen des Stoffwechsels und der Entwicklung eingreifen”, warnt das „Forum Österreichischer Wissenschafter für Umweltschutz”, einer der Proponenten des Volksbegehrens.

Das ist das Dilemma, vor dem wir stehen: Die Langfristfolgen der Gentechnik sind einfach nicht absehbar, weil diese Technik nicht lange genug im Einsatz ist. Daß sie aber in den komplexen, undurchschauten (weil undurchschaubaren), lebendigen Systemen (auch gravierende) Wirkungen auslösen wird, ist sicher. Erkennen werden wir diese vielleicht in fünf, vielleicht aber auch erst in 20 oder 50 Jahren.

Kein derzeitiges Prüfverfahren kann uns vor solchen Fehlern bewahren. Denn es ist auf den heutigen Stand der Wissenschaft angewiesen. Weil diese aber stets nur aufgrund von Erfahrungen lernt, wird sie Spätfolgen erst im nachhinein erkennen. Sollten wir also wegen solcher möglicher Gefahren von nun an gar nichts mehr unternehmen?

Keineswegs. Aber ganz behutsam vorgehen. Das heißt: Im kleinen und über lange Zeiträume hinweg mit äußerster Sorgfalt testen. So vorgehen, daß erkannte Fehler rückgängig gemacht werden können und keine unwiederbringlichen Schäden hinterlassen. Und vor allem fragen: Brauchen wir diese Technik überhaupt?

Und da stellt sich heraus, daß die Gentechnik auf den Überschußmärkten im Agrar- und Lebensmittelsektor durch weitere Industrialisierung und Konzentration die bereits bestehenden Probleme weiter unnötig verschärfen wird.

Derzeit herrscht in der Gentechnik leider Goldgräberstimmung, erhofft man sich doch von ihr die tollsten Geschäfte im nächsten Jahrhundert. Kaum wird ein Zusammenhang erkannt, wird er auch schon patentiert und marktreif gemacht, um ihn rasch weltweit zu nutzen.

Wie beinhart Unternehmen vorgehen, um ihre Produkte unter die Leute zu bringen und die Bevölkerung an ein Leben mit der Gentechnik zu gewöhnen, wird daran deutlich, daß gentechnisch verändertes Soja aus Übersee normalem beigemischt und in Europa auf den Markt gebracht wurde.

Bleibt noch die Frage: Zahlt es sich überhaupt aus, etwas gegen diesen übermächtigen Trend zu unternehmen? Ja. Selbst wenn der Zug schon abgefahren scheint, so kann man doch versuchen, ihn anzuhalten oder zu bremsen. Wir könnten der EU damit einen Dienst erweisen, denn nicht nur in Österreich haben die Menschen Be-# denken gegen die Gentechnik. Vor der EU-Abstimmung sprachen die Politiker davon, es gehe darum, österreichische Umwelt-Standards europaweit durchzusetzen. Dazu könnte ein massives Votum doch beitragen.

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