Der Mensch wird zum Rohstoff

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Aufregung um ein Patent auf gentechnisch manipulierte Embryonen nach einer "Greenpeace"-Aktion in München. Steht Europa vor einem Dammbruch im Patentrecht?

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Aufregung um ein Patent auf gentechnisch manipulierte Embryonen nach einer "Greenpeace"-Aktion in München. Steht Europa vor einem Dammbruch im Patentrecht?

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Das vom Europäische Patentamt erteilte Patent (EP 695 351) ist laut europäischer Patentübereinkunft tatsächlich unzulässig. Es sei ein Irrtum geschehen, hieß es daraufhin. Bedauerlich.

Zugegeben, wo Menschen agieren, wird geirrt. Laut Greenpeace habe das Europäische Patentamt aber in diesen Fragen seit längerem eine lockere Hand. Nun aber sei eine Grenze überschritten worden. Christoph Then von Greenpeace spricht von einem "beispiellosen Tabubruch". Man sei damit dem "im Labor produzierten und patentierten Menschen deutlich näher gerückt".

Stehen wir wirklich vor einer Wende? Eigentlich nicht. Alle Wegweiser deuteten längst in diese Richtung. In "Brave new world" hatte Aldous Huxley vor Jahrzehnten beschrieben, wohin uns die Logik der Entwicklung führen werde. Was heute noch Empörung erregt, wird spätestens in ein paar Jahren als Faktum hingenommen werden. Schlimmer: Wer dann immer noch Kritik übt, den wird man schräg anschauen, als Ewiggestrigen belächeln - oder als Feind moderner Errungenschaften bekämpfen.

Zu pessimistisch? Keineswegs. Die jüngste Geschichte des Patentrechts beweist: Der Ausverkauf hat längst stattgefunden. Als das Patentrecht formuliert wurde, wollte man Erfindern einige Zeit lang das ausschließliche Nutzungsrecht an ihrer Erfindung sichern. Lebende Organismen konnten klarerweise nicht patentiert werden, weil man sie nur entdecken oder durch Züchtung verändern konnte.

Patent auf Leben Die Gentechnik stellte ein neues Instrument zur gezielten Veränderung von Lebendigem zur Verfügung. Und die Gentech-Industrie erzeugte Druck, auch Gene, Zellen und lebende Organismen zu patentieren. Man mußte ja die aufgewendeten Mittel für Forschung und Entwicklung hereinspielen.

1980 gelang der Industrie der entscheidende Durchbruch: Der Oberste US-Gerichtshof entschied, es sei ein Patent auf eine ölabbauende Bakterie zu erteilen. Zwischen Neubildungen aus lebendiger und toter Materie sei kein Unterschied zu machen. Seither gibt es in den USA einen Run auf Biopatente für Gene, Zellen, Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere. Mittlerweile gibt es auch Patente für menschliche Zellen: Der Amerikaner John Moore mußte im Spital seine Milz entfernen lassen - und die University of California ließ Zellen seiner Milz patentieren. Der Mensch als Material - das ist längst Realität. Und was in Amerika möglich ist, muß nach der Logik des Wettbewerbs früher oder später auch in Europa Einzug halten. Die jüngste Entscheidung - der "bedauerliche Irrtum" - ist auch aus dieser Warte zu sehen.

Die Zukunftstechnologie wird also nicht vor dem Menschen Halt machen. Denn der geistige Boden für ihren Siegeszug ist längst aufbereitet: In den Biologiebüchern tritt uns der Mensch seit langem als Zufallsprodukt der Evolution entgegen. Als nackter Affe oder als Gen-Container wurde er bezeichnet, eine Spezies, die es durchaus zu verbessern gelte.

Dazu kommt das Faktum der Alltäglichkeit des Abtreibens. Damit ist das Leben des Menschen in seinen ersten Entwicklungsstadien total in die Verfügungsgewalt seiner Umwelt gegeben. Und vor allem: Nicht mehr die Person ist der oberste Wert, sondern ihre Nützlichkeit für die gesellschaftliche Umgebung.

Wo man aber über ungeborene Kinder im Mutterleib frei verfügen darf, wird man wohl kaum Ehrfurcht vor noch kleineren Kindern in der Eprouvette einfordern können. Manche Wissenschafter verweisen auf diese Unlogik: Warum den Embryo in der Retorte besser schützen als den im Mutterleib? Eine berechtigte Frage.

Und weil es darauf unter den derzeitigen Verhältnissen keine wirklich überzeugende Antwort gibt, wird man an dem vielfältig vorhandenen "Material" weiterforschen und die Erkenntnisse wissenschaftlich und wirtschaftlich nutzen. Vorteile verschiedenster Art werden in Aussicht stehen: Heilung bei Krebs oder Alzheimer, Ertragsteigerung von Pflanzen und Tieren, Beseitigung dieser oder jener Umweltschäden - und Arbeitsplätze in einer Zukunftstechnologie...

Gewinn als Maß Solange Wirtschaft, Wissenschaft und Technik als die eigentlichen Motoren der gesellschaftlichen Entwicklung angesehen werden, ist es nur konsequent sie auch durch entsprechende Freiheiten und durch Absicherung des Ertrags ihrer Bemühungen zu fördern. Leben zu patentieren, ist so gesehen, nur konsequent.

Ist man also den Entwicklungen hilflos ausgeliefert? Ja, solange man deren Logik nicht ändert. Dann ist alles, was gegen den Trend unternommen wird, letztlich nur ein Rückzugsgefecht. Gibt es eine Alternative? Ja, aber sie erfordert eine geistige Neuausrichtung, die ein Tabu errichtet: die Unantastbarkeit der Würde der menschlichen Person, die niemals als Zweck dienen darf.

Gesetze allein werden nichts ausrichten - auch wenn sie wichtig sind.

Denn wer kann schon kontrollieren, was sich in den Labors tut? Da reichen weder Verbote, noch großartige Beteuerungen. Man erinnere sich nur an die Geschichte des Klonens zurück. Was war da nicht alles aus wissenschaftlichem Munde zu hören: Bakterien - ja, aber höhere Tiere nie! Frösche ja - aber Säugetiere nie! Das Schaf Dolly, ja - aber Menschen nie! Und mittlerweile wurden auch schon Menschen geklont - wenn sie auch nur für ein paar Tag im Reagenzglas lebten.

Dies aufzuzeigen, ist kein rabenschwarzer Pessimismus. Was in der Gentechnik geschieht, ist Ergebnis geistiger Weichenstellungen, über die man sich im Alltag meist nicht den Kopf zerbricht. Man spricht zwar viel von Ethik, richtet sich aber nicht nach ihr, mißbraucht sie vielmehr oft, um das zu bemänteln, was man auf jeden Fall tun will.

Die technische Entwicklung fällt nicht vom Himmel. Sie ergibt sich aus gezielten Bemühungen, die Werteentscheidungen zur Grundlage haben. In Führungsetagen, Forschungslabors, parlamentarischen Verhandlungen, wo man den Menschen als Abbild Gottes ansieht, werden andere Entscheidungen fallen, als dort, wo man sich auf die Optimierung genetisch gesteuerter biologischer Prozesse ausrichtet.

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