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Hoffnungsträger Gentechnik

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Der bis zuletzt umstrittene Entwurf für das Gentechnik-Gesetz hat am Dienstag den Ministerrat passiert. Damit werden dem Industriestandort Österreich neue Chancen eröffnet.

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Der bis zuletzt umstrittene Entwurf für das Gentechnik-Gesetz hat am Dienstag den Ministerrat passiert. Damit werden dem Industriestandort Österreich neue Chancen eröffnet.

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Die Gentechnik ist in den letzten Jahren über die Grenzen der reinen Biologie hinaus in mehrere Anwendungsbereiche vorgestoßen. Die pharmazeutische Industrie, die Medizin, die Landwirtschaft, sogar Kriminologie und Archäologie bedienen sich ihrer in zunehmendem Maße. Damit hat sie für den Industriestandort Österreich, um den angesichts der Wirtschaftskrise manche bangen, große Bedeutung gewonnen. Denn wenn wegen der hohen Lohnkosten immer mehr Betriebe abwandern, muß sich die Wirtschaft auf anspruchsvolle Zukunftsproduktionen hin ausrichten.

Schon jetzt sind etliche unserer Unternehmen und Institute auf diesem Gebiet tätig. Aus ihren Kreisen hört man, daß sie mit der nun vorliegenden Fassung des Gesetzes werden leben können, weil es vor dem Überschreiten der durch die Interessen der Sicherheit, der Umwelt und nicht zuletzt der Ethik gezogenen Grenzen schützt. Zugleich wird sie die verantwortungsbewußte Forschung und Entwicklung gentechnischer Verfahren möglich machen — sofern nicht der Vollzug ähnliche Erschwernisse bringen sollte wie jene, über welche die deutschen Institute und Firmen klagen. Das österreichische Gesetz wird den diesbezüglichen EU-Richtlinien entsprechen.

Worum geht es in der Gentechnik? Im wesentlichen versteht man darunter die Verfahren, die dazu dienen, DNA-Moleküle (die als Träger der biologischen Information wirken) zu isolieren, sie zu zerlegen und neu zusammengesetzt in Empfängerzellen biologisch aktiv werden zu lassen. Solche Verfahren wurden, fußend auf wissenschaftlichen Arbeiten seit Beginn unseres Jahrhunderts, in den vergangenen vier bis fünf Jahrzehnten erforscht und entwickelt, wobei mehrere dieser Leistungen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Wie das alles zusammenhängt und welchen Nutzen für die Menschen und die Umwelt man schon daraus gezogen hat, welche großen Erwartungen aber noch in diese Neue Biologie gesetzt werden, schildert Ernst-Ludwig Winnacker, einer der führenden deutschen Biologen, in einem vor kurzem erschienenen, hochinteressanten, sehr lesenswerten und vor allem sachlich und verantwortungsbewußt geschriebenen Buch.

Große Hoffnungen setzen die Fachleute vor allem auf die Möglichkeiten der Gen-Therapie. Bei der Bekämpfung der Zuckerkrankheit ist man mit gentechnisch hergestelltem Insulin entscheidend vorangekommen. Der allein in Deutschland benötigte Jahresbedarf an Insulin ließe sich in einer gentechnischen Anlage in einer Woche herstellen, wogegen man früher dafür die Bauchspeicheldrüsen von 25 Millionen Schlachtrindern brauchte! Gegen einige Arten von Krebs konnte die Wissenschaft ebenfalls schon greifbare Erfolge erzielen, doch steht man da erst am Anfang; man weiß ja heute von über 60 Genen, die Krebs erzeugen! Das Gen, das die Mukoviszidose verursacht, eine auch in Österreich sehr verbreitete Erbkrankheit, die zu lebensbedrohender Schleimbildung in der Lunge führt, konnte schon isoliert werden.

Weiteren Leiden hofft man mit Hilfe der Gentechnik gleichfalls beizukommen, so, um nur einige zu nennen, der Hepatitis, dem Lungenemphysem, der Alzheimerschen Krankheit; sogar gegen Aids machen sich die Wissenschaftler jetzt begründete Hoffnungen.

In der Pflanzenzucht kann die Gentechnik zur Entwicklung neuer, besserer, widerstandsfähigerer Sorten führen. Ebenso kann sie in der Viehzucht Bedeutung erlangen. Im Zivilrecht konnte bisher aufgrund von Blutgruppen- und Rhesusfaktor-Tests eine Vaterschaft höchstens ausgeschlossen werden, mit Hilfe der genetischen „Strichmuster“-Methode läßt sie sich eindeutig zuordnen. Wenn Ehepaare fürchten, erbkranke Kinder zu bekommen (etwa wegen eigener Krankheit), kann die genetische Frühdiagnose bei Schwangerschaften Klarheit und Erleichterung bringen, wie jüngste Erfahrungen in Frankreich zeigen.

Allen diesen positiven Aspekten der Gentechnik stehen die Sorgen jener gegenüber, die ein Übergreifen des wissenschaftlichen Forschungsdranges auf ethisch und moralisch unzulässige Gebiete befürchten. Das amerikanische Experiment mit der „Klonierung“ menschlicher Embryozellen hat mit Recht weltweit Entsetzen ausgelöst. Man hat Angst, daß die Gentechnik dazu mißbraucht werden könnte, die Fortpflanzung von „erbgesunden“ Menschen zu fördern, denn die Sorge vor dem Schreckgespenst der Eugenik unseligen Angedenkens besteht nach wie vor.

Die Gesetzgebung bei uns wie in Deutschland und überhaupt in Europa, soweit es Gesetze auf diesem Gebiet gibt, schließt jedoch den Umgang mit menschlichen Embryonen zum Zwecke der Forschung und der Therapie ausdrücklich aus.

Die Kritik an der Gentechnik ist nicht überall von echter Sorge getragen. Allzu oft wird auch da, wo alle gesetzlichen Auflagen, alle zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen und die ethischen Grundsätze peinlich eingehalten werden, Widerstand gegen die Anwendung der Gentechnik mobilisiert, aus von Halbwissen genährter, emotionsgeladener Ablehnung.

Daß die seit Jahren in Hoechst bei Frankfurt fertige Anlage zur gentechnischen Erzeugung von Insulin noch immer nicht in Betrieb gehen kann, ist ein Beispiel dafür. (Statt dessen wird genau solches Insulin aus dem Ausland importiert.) Gerade wegen der Sorge und des Unbehagens, die in breiten Bevölkerungsschichten zu spüren sind, werden alle, die als Forscher und Manager, als Biologen, Ärzte oder Techniker mit der Gentechnik befaßt sind, das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Politiker immer wieder suchen und sich seiner würdig erweisen müssen, durch eine überzeugende, ständig von interner kritischer Betrachtung getragene Verhaltensweise.

Durch die jetzt vorliegende Fassung des Gentechnologie-Gesetzes scheint die wiederholt geäußerte Sorge, es würden Unternehmen diese zukunftsträchtige Forschung und Produktion ins Ausland verlagern, wohl nicht mehr bestehen; es könnten sich jetzt sogar gute Aussichten für hochqualifizierte Nachwuchskräfte auf dem Gebiet der Gentechnik in unserem Land eröffnen. Und das würde dem Industriestandort Österreich zugutekommen.

‘‘Am Faden des Lebens - Warum wir die Gentethnologie brauchen.

Von Emst-Ludwig Vinnacker. Piper Verlag München-Zürich, 1993, 364 S., öS 389,--

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