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Professoren als Forscher

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Naturwissenschaftlich-technische Forschung führte, was die staatliche Förderung betrifft, sehr lange ein Küm- merdäsein; dafür waren mehrere Gründe maßgebend, wie traditionelles Unverständnis, wirtschaftliche Raison in der Wiederaufbauphase, politisch schwache Interessenvertretung der Wissenschaft, mangelnde Erkennung ihrer wirtschaftlichen Bedeutung usw.

Heute gilt es jedoch nicht, diese Faktoren zu analysieren und zu bewerten, sondern Leistungen in Erinnerung zu rufen, die trotz alldem zustandegekommen sind. Meine Beispiele sind ziemlich willkürlich gewählt, sie spiegeln nur bedingt meine persönliche Präferenz wider und entsprechen eher meinen begrenzten Kenntnissen der naturwissenschaftlich-technischen Szene in Österreich.

Die beiden österreichischen Nobelpreisträger aus dem Gebiet der Biologie, Konrad Lorenz und Karl Frisch, der „Bienen-Frisch“, brauchen wohl nicht vorgestellt zu werden, ihre Leistungen sind ohnedies weithin bekannt. Außerdem ist der Erfolg Konrad Lorenz’ kein besonders glänzendes Ruhmesblatt für die österreichische Wissenschaft, denn die vergleichende Verhaltensforschung und ihr Initiator fanden erst im Ausland gebührende Aufmerksamkeit und Anerkennung.

Nun zur Technik: Die derzeitige Krise der Stahlindustrie ist nicht der einzige Anlaß, die Leistungen Herbert Trenklers von der Montanuniversität Leoben in Erinnerung zu rufen, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit an der Erfindung und Entwicklung des LD-Sauerstoff-Aufblasverfahrens, das heute einen eindrucksvollen Siegeszug um die Welt hinter sich hat, maßgebend beteiligt war. Die österreichische Professorenschaft kann diese Leistung nur eingeschränkt für sich in Anspruch nehmen, denn Trenkler war in der entscheidenden Zeit 1948-1958 Hüttendirektor der VOEST in Linz.

Bleiben wir in der Steiermark und rufen das Lebenswerk Otto Kratkys in Erinnerung. Kratky gilt als Vater der Röntgenkleinwinkelstreuung, eines Verfahrens zur Aufklärung molekularer Strukturen im Bereich von 10—104 Angstrom. Kratky hat in vier Jahrzehnten mit zahlreichen Mitarbeitern die theoretischen Grundlagen erarbeitet, Methoden zur Verwertung des Verfahrens angegeben und die notwendigen Instrumente entwickelt.

Eine Kratkykamera ist weltbekannt und wird in Österreich von einem österreichischen Betrieb hergestellt und vertrieben. Auf Kratkys Kleinwinkelstreuung beruht heute ein allgemein anerkanntes Routineverfahren zur Bestimmung von Masse, Volumen und Gestalt von Makromolekülen mit Anwendungen auf biologische und synthetische polymere Substanzen in Lösung sowie amorphen und kristallinen Festkörpern und Fasern.

Als ich im April 1979 nach den USA eingeladen wurde, um über die Zukunft des Computers und seiner Bauelemente zu diskutieren, war meine erste Station die Port Authority im World Trade Center in New York, weil dort eine besonders große und moderne Anlage die komplizierten Verkehrswege der Stadt überwacht und regelt. Zuerst wurde uns jedoch der gigantische Bau vorgestellt, der mit 420 Metern der derzeit höchste der Welt ist. Das Bauwerk war durch die äußerst ungünstigen Grundverhältnisse und Randbedingungen sehr schwierig herzustellen.

Zu meiner großen Freude erfuhr ich, daß nur durch das Schlitzwandverfahren unseres Grazer Kollegen Christian Veder diese Schwierigkeiten überwunden werden konnten. Dieses genial einfache Verfahren zur Herstellung von Bentonit-Schlitzwänden (oder Diaphragmen) ist vielseitig verwendbar. Ich erwähne nur die drei wichtigsten Anwendungen:

• Stützung und Abdichtung von Baugrubenwänden, etwa bei U-Bahnen in aller Welt, von Mailand, Paris, über London, New York und Toronto nach Tokyo und über noch weitere Städte zurück nach Wien.

• Zur Herstellung von Herdmauern unter großen Dämmen. Das prominenteste Beispiel ist der Manicouagan- Damm in Kanada mit einer Tiefe von 131 Metern.

• Als Tragelement: So.wurde ein sich setzender Pfeiler der Ponte Flaminia in Rom unterfangen und die Brücke vor dem Einsturz bewahrt.

Im Jahre 1962 erhielt dčr in England schaffende Wiener Max Perutz für die Aufklärung der Struktur des Hämoglobin den Nobelpreis für Chemie. Eine Leistung auf einem verwandten Gebiet und von ähnlichem Rang vollbrachte der Wiener Hans Tuppy während eines Forschungsaufenthaltes 1949/50 in Cambridge, als ihm in Kooperation mit Fred Sanger gelang, die Aminosäurensequenz und damit die Struktur der B- Kette des Insulins zu ermitteln. Diese Arbeit gilt aus verschiedenen Gründen als Markstein in der Entwicklung der Biochemie.

Nach der großen Arbeit über das Insulin gelang es Tuppy in Wien gemeinsam mit Herbert Michl, Universität für Bodenkultur, die Aminosäurensequenz des Hypophysenhormons Oxytocin, das die Kontraktion der Gebärmutter steuert, aufzuklären. Die Aufklärung der Struktur ermöglichte die synthetische Herstellung des Hormons und seinen Einsatz in der Geburtshilfe.

In der Physik hat Österreich eine große Tradition. Die heutigen Kenntnisse über den Aufbau der Materie wären ohne die Beiträge unserer Landsleute Erwin Schrödinger und Wolfgang Pauli höchst unvollständig. Daß diese Beiträge hauptsächlich im Ausland erarbeitet werden mußten, ist jenen mißlichen Umständen zuzuschreiben, die ich einleitend erwähnte.

Wie man heute mit noch bestehenden ungünstigen Bedingungen fertigwerden kann, hat aus der jüngeren Garde der österreichischen Physiker Helmut Rauch gezeigt. Eine leistungsfähige Methode zur experimentellen Strukturforschung ist die Interferometrie, eine Methode, bei der zwei kohärente, räumlich separierte Strahlen zur Interferenz gebracht werden, nachdem einer der Strahlen das zu untersuchende Material durchquert hat. Das Interferenzbild beinhaltet dann Information über den Aufbau der Materie.

Das erste Neutroneninterferometer stammt von Helmut Rauch. In Kooperation mit Wolfgang Treimer und dem Dortmunder Kollege?, Ulrich Bonse gelang 1974 die Demonstration von Neutroneninterferometrie an der relativ schwachen Neutronenquelle des Versuchsreaktors* am Wiener Atominstitut. Nach diesem großen Erfolg ebnete Rauch seiner Gruppe den Zugang zur leistungsfähigen Hochflußquelle am Laue-Langevin-Institut in Grenoble, wo seither faszinierende Ergebnisse erzielt wurden.

Von praktischer Bedeutung ist eine sehr empfindliche Methode der Feststellung des Wasserstoffgehaltes von Metallen. Überhaupt eröffnet die Neutroneninterferometrie der Analyse von festen Körpern, insbesondere von deren magnetischen Eigenschaften, völlig neue Möglichkeiten.

Eine der befriedigendsten Aufgaben des Professors besteht darin, seine Kenntnisse und Fähigkeiten in den Dienst des kranken Menschen zu stellen. Aus einer Fülle von Beispielen erwähne ich die Methode der Gewebeklebung mit Fibrinogen, die auf eine Anregung des Wiener Pathologen Adolf Lindner zurückgeht und in Kooperation mit zahlreichen Kollegen bis zur Fabrikationsreife entwickelt wurde.

Der Kleber besteht zur Gänze aus biologischen Substanzen, nämlich Fibrinogen, Thrombin, Blutgerinnungsfaktor XIII und Kollagen, und wird aus dem Plasma gesunder, regelmäßig kontrollierter Spender gewonnen. Die klinischen Ergebnisse sind aus nahezu allen Bereichen der Chirurgie hervorragend. Der Kleber zeigt eine sehr gute Gewebsverträglichkeit, wird vom Körper vollständig resorbiert und hat sogar in Notsituationen, in denen alle anderen Methoden versagten, zur Blutstillung geführt.

An weiteren attraktiven Beispielen-! von Beiträgen österreichischer Professoren wäre kein Mangel. Ich fasse aus den bereits vorgebrachten Beispielen zusammen: Aus einer schöpferischen Leistung entwickelt sich eine Fachrichtung, in die in zunehmendem Maße der wissenschaftliche Nachwuchs eindringt und sie erweitert. Der Professor verbleibt als Stimulator und Koordinator. Stimulantia sind neue Ideen, die nicht nur die Wissenschaft selbst, sondern auch die Organisation und Wissenschaftspolitik betreffen und z. B. zu verbesserter Integration der Fächer und internationaler Kooperation fuhren können.

Der Verfasser ist Vorstand des Instituts für Allgemeine Elektrotechnik und Elektronik an der Technischen Universität Wien. Der Beitrag ist seinem Referat zum österreichischen Professorentag im Mai 1981 entnommen.

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