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Das Institutum Divi Thomae

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Zu den seltsamsten wissenschaftlich-technischen Organisationen Amerikas gehört das „Institutum Divi Thomae“ in Cincinnati. Allein der Name ist schon merkwürdig und noch merkwürdiger ist die Entstehungsgeschichte des Instituts, dessen Laboratorien über elf amerikanische Bundesstaaten verteilt sind.

E ie Geschichte des Instituts begann in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre, als der junge George Spėri Sperti, ein Student an der technischen Fakultät der Universität von Cincinnati, vor seinem Dekan erscheinen mußte. Dieser, Professor Hermann Schneider, fragte den jungen Sperti, warum er in der letzten Zeit so selten die Vorlesungen besucht habe. Der Stipendienausschuß der Universität hatte gedroht, dem Studenten das Stipendium zu entziehen, wenn er sich nicht besserte.

Die Antwort Spertis war zwar etwas ungewöhnlich, aber sie befriedigte den Dekan. Sperti sagte nämlich, daß er die Vorlesungen nicht besuchen könne, weil er vollauf beschäftigt sei mit der Erfindung eines Elektrometers, wie ihn die großen industriellen Betriebe verlangten. Professor Schneider wußte, daß wirklicher Bedarf nach einem solchen Instrument bestand und er gewährte Sperti eine Gnadenfrist.

Einige Monate später war die Idee des jungen Studenten verwirklicht und eine große elektrische Gesellschaft bot 50.000 Dollar für die Erfindung.

50.000 Dollar waren viel Geld (vor einem Vierteljahrhundert noch mehr als heute), aber Sperti nahm sie nicht an, sondern beriet sich mit dem Dekan. Professor Schneider machte seinem Schüler einen anderen Vorschlag. Die moderne Technik erfordert großes Wissen auf den verschiedensten Gebieten. Wäre Sperti bereit, eine Gruppe junger Wissenschaftler verschiedener Fächer um sich zu sammeln, um gemeinsam fundamentale naturwissenschaftliche Forschungen durchzuführen? Sperti ließ sich vom Dekan begeistern und suchte sich eine Handvoll junger, eifriger Studenten, mit denen er in einem kleinen Raum im Physikalischen Institut zu arbeiten begann.

Das erste Problem, das die jungen Leute lösen sollten, war die Feststellung, wie Licht verschiedener Energie auf lebende Organismen wirkt. Dieses scheinbar rein theoretische Wissen fand sehr bald eine praktische Anwendung, die sich bezahlt machte. Man stellte fest, daß manche Arten von Licht Bakterien töten. Man erfand einen Lichtfilter, der zur Konservierung von Lebensmitteln diente, indem er die Enzyme tötete, die Gärung verursachten. Ein anderer Lichtfilter verstärkte den Gehalt an Vitamin D ohne jede schädliche Nebenwirkung auf die bestrahlten Lebensmittel. Ein Konservenfabrikant zahlte 300.000 Dollar für Teilrechte an den Filterpatenten.

Damit konnten Sperti und seine Kollegen ihr Unternehmen vergrößern. Mit Hilfe der Universität übersiedelten sie in ein größeres Gebäude, das ein modernes Laboratorium statt der bisherigen primitiven Einrichtungen enthielt. Kurz darauf aber begann in den Vereinigten Staaten die Wirtschaftskrise und die Leitung der Universität wollte den Betrieb einschränken.

Sperti sah sich nach Hilfe um — und fand sie. Sein Freund, Monsignore Cletus Miller, stellte ihn dem Erzbischof M. Nicholas von Cincinnati vor. Sperti schlug dem Kirchenfürsten die Schaffung einer wissenschaftlich- technischen Forschungsorganisation vor, die von der Kirche statt von der Universität gefördert werden sollte. Sperti war sicher, daß sein Unternehmen sich sehr bald selbst erhalten könnte. Dem Erzbischof gefiel dieser Gedanke und so entstand das „Institutum Divi Thomae".

Das Institut sollte sich nicht bloß mit technischen, sondern auch mit medizinischen Problemen beschäftigen und kam so zur Erforschung der Krebsknankheit. Krebs besteht in einem abnormalen Verhalten und Wuchs der Körperteilen. Bei den Vorarbeiten stellte Sperti fest, daß der deutsche Forscher und spätere Nobelpreisträger Otto Warburg einmal den Sauerstoffverbrauch der Zellen der Seeigeleier studiert hatte. Später hatte Warburg auch den Sauerstoffverbrauch von Krebszellen festgestellt und entdeckt, daß sie weniger Sauerstoff benötigen als gesunde Zellen. Wenn normale Zellen plötzlich ihren Sauerstoffbedarf ändern, werden sie bösartig. Eine Untersuchung der Gründe dieser Erscheinung könnte die Ursache des Krebses ergeben.

Sperti setzte diese Forschungen fort und fragte sich, wann tote Zellen den Sauerstoffverbrauch einstellen würden. Die Forscher richteten Licht einer bestimmten Wellenlänge auf- ein Probierröhrchen mit Hefezellen. Sie wußten, daß dieses Licht einen bestimmten Prozentsatz der Zellen töten würde. Es müßte also der Sauerstoffverbrauch im gleichen Verhältnis fallen. Aber es stellte sich die interessante Tatsache heraus, daß der Sauerstoffverbrauch auf das Doppelte stieg, als die Hälfte der Zellen tot war.

Das war merkwürdig. Die Zellen waren tot und konnten infolgedessen nicht mehr atmen. War es möglich, daß die toten Zellen einen Stoff erzeugten oder freigaben, der die Lebensvorgänge in den lebenden Zellen so sehr erhöhte, daß ihr Sauerstoffverbrauch auf das Vierfache anstieg? Man fügte eine neue Ladung lebender Zellen zu den im Probierröhrchen vorhandenen ' toten und lebenden. Auch bei den neuen verdoppelte sich der Sauerstoffverbrauch. Sperti schloß daraus, daß die toten Zellen einen Wirkstoff freigaben, dem er den Namen Biodyne (vom griechischen bios = Leben und dyne = Kraft) gab.

Im Verlauf von vielen Tausenden von Experimenten stellten die Forscher des Instituts fest, daß es verschiedene Arten von Biodynen gab. Neben denen, die den Sauerstoffverbrauch erhöhten, gab es andere, die das Zellenwachstum anregten, und wieder andere, die den Zuckerverbrauch beeinflußten.

Diese Versuche ergaben daneben die Tatsache, daß nicht die toten Zellen, sondern die Flüssigkeit, aus denen man sie entfernt hatte, die Biodyne enthielt. Sperti erinnerte sich an ein Experiment, das einige Jahre zuvor mißglückt war. Einer seiner Kollegen, John Fardon, hatte Versuche mit einem Milzextrakt unternommen. Er und Sperti hatten diesen Milzextrakt Mäusen injiziert, auf die man Krebs übertragen hatte. Nur 14 Prozent der -o behandelten Mäuse ent?

wickelten Krebs. Aber als man den Extrakt in seine einzelnen Eiweißsubstanzen zerlegte, ergab sich, daß jede von diesen die Krebsanfälligkeit erhöhte. Fardon und Sperti kamen nicht weiter.

Jetzt wußte Sperti, warum: sie hatten in jenen Versuchen die Flüssigkeit weggeschüttet, die die krebsbekämpfende Substanz enthielt. Diese, ein Biodyn, befand sich nicht im Eiweiß, sondern in der für wertlos gehaltenen Flüssigkeit.

Die nun begonnenen Experimente dauern schon , fast zehn Jahre. Mit Hilfe von biodynhaltigen Mitteln, die man Ratten und Mäusen injiziert, kann man in den Versuchstieren Widerstand gegen Krebs hervorrufen. Freilich ist noch sehr viel zu tun, ehe es auf diese Weise gelingen mag, den Massenmörder Krebs zu besiegen. Sperti ist sehr hoffnungsvoll, da die Biodyne sich in einem anderen Fall als außerordentlich wirksam erwiesen haben.

Eines Tages erlitt eine Nonne, die im Laboratorium arbeitete, bei einer Ätherexplosion schwere Brandwunden. Kollegen bestrichen diese mit einer Salbe, die sofort den Schmerz unterdrückte. Die Wunden verheilten dann narbenlos. Die Salbe hatte große Mengen der Biodyne enthalten, die unter dem Namen interzellulare Wundhormone bekannt sind. Sie werden von verletzten Zellen ausgeschieden, um den unverletzten zu helfen, neue Zellen zu bilden. Die Salbe war aus verletzten Tierlebern und Atmungsbiodynen aus Hefe auf einer fettigen Grundlage hergestellt. Sie wurde seither in vielen Tausenden von Verbrennungen mit besonderem Erfolg benützt und stellt auch ein Heilmittel für manche andere Verletzung dar, indem sie das Entstehen neuer Gewebe beschleunigt. Der Grund für ihre schmerzlindernde Wirkung ist noch unbekannt.

Zu den Erfindungen, mit denen sich

Sperti und seine Mitarbeiter beschäftigten, gehört eine neuartige tragbare Zimmersonne, eine Vorrichtung, die Trinkgläser sterilisiert, und ein Luftreiniger, der in Spitälern allgemein benützt wird. Ein Zweig des Institutum, die „Sperti Citrus Inc.“ verwendet ein neues Verfahren der Fruchtsaftzubereitung, ein anderes verwendet die Abfallprodukte von Brauereien für ein hocheiweißhaltiges Tierfutter, die sogenannte Futterhefe.

Die Liste der von Sperti auf den Markt gebrachten Produkte wächst weiter, aber er kümmert sich um ihre Auswertung nur, soweit sie der wissenschaftlichen Förderung des Instituts dienen. Dieses ist heute eine sehr umfassende Organisation, die außer dem Laboratorium in Cincinnati noch vierzehn andere in den Bundesstaaten New York, New Jersey, Michigan, Pennsylvania, Texas, Ohio, Florida, Minnesota, Kansas, Louisiana und Indiana umfaßt. Außerdem gibt es die graduierten Schulen für wissenschaftliche Forschung am Ohio-Athenaeum, und die Sperti Inc., die Firma, die für die Einkünfte des Instituts sorgt, indem sie die patentierten Erzeugnisse und Erfindungen, die die Laboratorien erschaffen, auf den Markt bringt. Über dem Ganzen steht die Institutum Divi Thomae Foundation, die das Institut mit all den angeschlossenen Körperschaften leitet und finanziell verwaltet.

George Sperti, der heute 48 Jahre alt ist, bezieht sein Gehalt so wie jeder andere Mitarbeiter an dem von ihm gegründeten Institut. Er besitzt keine Aktie der Gesellschaft, die seinen Namen trägt. Seine einzigartige Position in Amerika beruht unter anderem auf der Tatsache, daß er nicht reich sein will. Er begnügt sich mit der Erfüllung eines alten Traumes, nämlich des Traumes einer kollektiven wissenschaftlichen Arbeit, die nicht Profitzwecken, sondern der Wissenschaft und der Menschheit dienen soll.

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