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Das Unbekannte: Sein Name ist Psi

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Ein Wort begegnet uns immer öfter, ein wissenschaftliches Kunstwort, das trotzdem für weite Kreise eine faszinierende Ausstrahlung zu haben scheint: Parapsychologie. Der Buchmarkt bringt jede Menge Neuerscheinungen auf diesem Gebiet (freilich viele Second-Hand-Opera) und auch die Massenmedien haben sich seit dem spektakulären Uri-Geller-Auftritt (vgl. FURCHE 5/74) diesem Gebiet geöffnet. Was ist davon zu halten, was ist eigentlich die Parapsychologie, ist sie eine wirkliche Wissenschaft oder nur ein aufgewärmter, wissenschaftlich verbrämter Aberglaube? Womit beschäftigt sich die Parapsychologie nun wirklich und wie geht sie an die von ihr studierten Erscheinungen heran?

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Ein Wort begegnet uns immer öfter, ein wissenschaftliches Kunstwort, das trotzdem für weite Kreise eine faszinierende Ausstrahlung zu haben scheint: Parapsychologie. Der Buchmarkt bringt jede Menge Neuerscheinungen auf diesem Gebiet (freilich viele Second-Hand-Opera) und auch die Massenmedien haben sich seit dem spektakulären Uri-Geller-Auftritt (vgl. FURCHE 5/74) diesem Gebiet geöffnet. Was ist davon zu halten, was ist eigentlich die Parapsychologie, ist sie eine wirkliche Wissenschaft oder nur ein aufgewärmter, wissenschaftlich verbrämter Aberglaube? Womit beschäftigt sich die Parapsychologie nun wirklich und wie geht sie an die von ihr studierten Erscheinungen heran?

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Die Parapsychologie ist eine junge Wissenschaft: Ihre Geburtsstunde schlug 1882 mit der Gründung der Londoner SPR = Gesellschaft für Psychische Forschung. Der berühmte deutsche Biologe, Philosoph und Pa-rapsychologe Hans Driesch spracht von der Parapsychologie als der „Wissenschaft von den okkulten Erscheinungen“. Mit dieser Definition stellt Driesch den WissenschaftsCharakter der Parapsychologie klar heraus und grenzt das Gebiet somit ab vom religiösen Glauben, von irgendwelchen weltanschaulichen Systemen, die zufällig auch „Okultes“ in Öhr Lehrgebäude mit aufgenommen haben (Theosophie, Anthroposophie), vom Volks- und vom Aberglauben, wobei der Aberglaube Fehldeutungen und Mißverständnisse verschiedner Erscheinungen umfaßt.

Nach diesen notwendigen Abgrenzungen nun zum Kern der Sache: Die Parapsychologie ist eine empirische Wissenschaft, ihr Gegenstand sind die okkulten Phänomene. Was ist darunter zu verstehen? Eine gewisse Klasse von zwar durchaus normalen (das heißt, nicht pathologischen), aber sehr selten auftretenden Erscheinungen des Seelenlebens, wie zum Beispiel Gedankenübertragung, zweites Gesicht, Ahnungen, Warnträume, Künden Sterbender; dazu noch eine Gruppe psychisch gesteuerter merkwürdiger Vorgänge wie anscheinend unerklärliches Bewegen von Gegenständen, Sehen von Erscheinungen und letztlich der sogenannte Spuk.

Dieser Katalog von Phänomenen stellt quasi das Rohmaterial für den Parapsychologen dar, der diese immer wieder zu allen Zeiten und von allen Völkern behaupteten Erscheinungen wissenschaftlich erforscht, wobei die erste Frage natürlich die nach der Echtheit ist. Durch eine ganze Reihe verschiedener Methoden, Untersuchungen, Beobachtungen und Experimente wird zunächst die Faktizität (Tatsächlichkeit) einer behaupteten Erscheinung festgestellt. Wenn dies negativ ausfällt, wenn man zum Beispiel Beobachtungs-fehler, Täuschungen, Irrtümer, letztlich Betrug nachweisen kann oder wenn die Situation einfach eine genauere Untersuchung nicht erlaubt, dann wird der Fall von der Parapsychologie natürlich nicht weiter verfolgt. Es ist selbstverständlich, daß nur „echte“ Fälle den Gegenstand einer Wissenschaft bilden können, und erst, wenn die Faktizität zweifelsfrei festgestellt ist, kann versucht werden, durch entsprechende Methoden die Gesetze des Auftretens solcher Erscheinungen festzustellen: Dies und die Erklärung der Phänomene durch geeignete Modelle beziehungsweise Zurückführung auf einfachere Erscheinungen ist das eigentliche Anliegen der Parapsychologie.

In diesem Sinne hat die Parapsychologie bis jetzt das prinzipielle Auftreten einer Reihe von Phänomenen nachweisen können, wobei jedoch betont werden muß, daß jeder neu auftretende Fall trotzdem ganz genau auf seine Echtheit hin untersucht werden muß. Wenn man die Phänomengruppen systematisch anordnet, so bietet sich im Bereich des Paranormalen (wie man heute auch gerne sagt), eine Analogie zum Bereich der Normalpsychologie: In beiden Fällen empfängt das Individuum von der Außenwelt Informationen und setzt in diese Außenwelt Wirkungen. In der Parapsychologie nennt man nun mit den gebräuchlichsten wissenschaftlichen Termini die der Sinneswahrnehmung analogen Phänomene außersinnliche Erfahrung == ASE, meist simplifiziert als außersinnliche Wahrnehmung = ASW, eine Bezeichnung, die ihre Definition in sich selbst trägt: ein direkter = paranormaler Informationsgewinn unter Umgehung der normalen Sinneskanäle. Wenn hingegen das Individuum in der Umwelt auf paranormale Weise Wirkungen setzt, wenn es sich also um psychisch direkt bewirkte oder paranormale, psychisch gesteuerte Erscheinungen in der physikalischen Welt handelt, dann spricht man mit dem französischen Physiologen und Nobelpreisträger Charles Richet von Parapsychophysik, wobei man jedoch zumeist stellvertretend ein Einzelphänomen herausgreift, die PsycJio-feinese = PK, wörtlich Bewegung durch die Psyche, im übertragenen -Sinn Beeinflussung auf paranormale Weise. Um unsere Darlegung nicht zu abstrakt zu halten, sehen wir von zahlreichen schwer einzuordnenden Einzelphänomenen ab und bringen im folgenden einige Beispiele para-nonmaler Phänomene, gerne auch Psi-Phänomene genannt.

Es wurden im Laufe der Zeit unzählige Versuche auf dem Gebiet der Telepathie gemacht, also der direkten psychischen Beeinflussung eines Menschen durch' einen anderen; wenn jedoch ein materielles Substrat vorliegt, zum Beispiel ein Gegenstand oder eine Zeichnung, dann kann man nur in jenem Fall von Hellsehen sprechen, wenn kein Mensch diesen Inhalt in seinem Bewußtsedn trägt. Falls diese Bedingungen einander überschneiden, so handelt es sich um Mischversuche, die man allgemeine ASE nennt, worauf sich unsere Beispiele beziehen:

Vor gerade einem halben Jahrhundert fand in Warschau bereits der zweite Internationale Kongreß für psychische Forschung statt, in dessen Rahmen auch Experimente mit dem bekannten polnischen Hellseher St. Ossowiecki durchgeführt wurden. Dabei zeichnete der Versuchsleiter (der französische Arzt Geley) außerhalb des Versuchsraumes eine detaillerte Zeichnung (zwei gekreuzte Stichwaffen und ein gefiederter Pfeil) und nahm die Zeichnung zu sich; Ossowiecki, der sie im Wege der Sinneswahrnehmung nicht erkennen konnte, beschrieb sie zunächst verbal und skizzierte dann die Anordnung der Waffen auf einem Notizblock, wobei er betonte, mit derselben Stelle der zeichnung zu beginnen, wie es der Experimentator tat. Es ist selbstverständlich, daß dabei alle Fehlerquellen, zum Beispiel unbewußtes Flüstern usw., ausgeschaltet worden sind; über die Vermeidung solcher Fehler gibt es eine reichhaltige methodische Literatur.

Der bekannte Schriftsteller Upton Sinclair führte mit seiner Frau Craig ähnliche Experimente durch, wobei interessanterweiise Craig oft die Li-, nien der Zeichnung genau reproduzierte, ohne den Sinn zu erkennen. So zeichnet der Eperimentator einen Fußball, Craig reproduziert ihn (paranormal) ziemlich richtig, fügt aber ein Köpfchen dazu und deutet das Ganze um: Es sei ein Kälbchen mit Schabracke, wie sie es in ihrer Kindheit im Süden der USA oft gesehen habe. Oder Upton zeichnet zwei Striche und ein dunkles Gebilde daran, darstellend einen Vulkan mit Rauchwolke; die vom Land stammende Craig deutet jedoch das genau von ihr reproduzierte Gebilde umgekehrt: ein Käfer mit Fühlern daran. So gehen zahlreiche Persönlichkeitsmomente in diese Experimente mit ein.

Gerade diese Sinclair-Versuche gaben den Anstoß für systematische parapsychologische Forschung in den USA, die dann vor allem von J. B. Rhine in statistischer Art durchgeführt wurde, wobei es darum ging, daß beliebige Versuchspersonen Karten eines standardisierten Spieles von 25 Karten mit 5 Symbolen (Ze-ner-Karten) raten mußten. Diese Experimente wurden in enormer Anzahl durchgeführt; 20 Prozent Treffer sind nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung als Zufallsergebnis zu 'erwarten. Ein signifikanter Trefferüberhang spricht für ASE; die Anti-ZufallswahrscheinLichkeiten erreichten bei manchen Versuchspersonen geradezu astronomisch hohe Werte. Heute werden diese Versuche nicht mehr mit Karten, sondern mit elektrischen Anlagen durchgeführt.

Interessant sind auch Versuche auf dem Gebiet der Traumtelepathie, also die Übertragung psychischer Inhalte während des Schlafes, wobei die „gesendeten“ Bilder von der schlafenden Versuchsperson in ihre Träume eingebaut werden.

Das vielleicht problematischeste Gebiet ist das der Präkognition, das heißt, des Vorauswissens oder Vorausahnens künftiger Geschehnisse. Trotz der philosophischen Schwierigkeiten sprechen die Tatsachen für die Realität dieses Phänomens, zum Beispiel Experimente mit dem Holländer Gerard Croiset, der in der Situation der sogenannten „Platzversuche“ zum Teil sehr signifikante Resultate zeigt, die folgendermaßen Zustandekommen:

Der Versuchsleiter markiert auf dem Sitzplan eines größeren Raumes, zum Beispiel eines Theateroder Kinosaales, einen Sitzplatz und gibt einen — natürlich noch in der Zukunft liegenden — Termin an, worauf Croiset versucht, Angaben über die „Zielperson“ (— die Person, die zum verlangten Datum am bezeichneten Platz sitzen wird) zu machen; daß die Verteilung des Publikums auf die Plätze rein zufallsgemäß ist, wird duTch entsprechende Versuchsanordnung sichergestellt, zum Beispiel Durchführung des Versuchs in einer fremden Stadt, in der die Versuchsperson niemanden kennt sowie vor Beginn des Kartenverkaufs. Die Beweiskraft dieser Versuche liegt vor allem in den oft verblüffenden Einzelheiten, die Croiset sieht, und die sich nur auf die Zielperson beziehen lassen, oft auf ihre psychische Seite.

Die experimentielle Methodik in der Parapsychologie eroberte sich auch das andere große Gebiet von Phänomenen, die „physikalischen Phänomene“, mit deren Erforschung seinerzeit besonders von Schrenck-Notzing befaßt war. Seine Versuche wurden sehr in Zweifel gezogen, während die statistischen Versuche von Rhine, welcher auf diesem Sektor mit der Beeinflussung rollender oder fallender Würfel arbeitete, weitere Anerkennung fanden. Abgesehen von den Fembewegungen traten in neuerer Zeit auch andere Formen paranormaler Beeinflussung auf: Hier soll nicht von Gellers Besteckbiegen die Rede sein (da dessen Faktizität nicht feststeht), sondern von der Entwicklung auf Tonbändern und Polaroidfllmen. Jürgenson in Schweden hat als erster das Auftreten paranormaler Stimmen auf Tonbändern registriert, und der in Deutschland lebende Lette Raudive hat über 100.000 solcher Stimmenfragmente aufgenommen. Gerade dieses Phänomen konnte mit modernsten Methoden und Geräten überprüft werden, um sämtliche Fehlerquellen und Irrtumsmöglichkeiten ausschließen zu können, wodurch die Tatsächlichkeit heute feststeht. Freilich sind noch manche Bedingungen des Zustandekommens unklar; auch die Deutung des Phänomens ist noch umstritten, aber wir wollen uns in diesem Beitrag zunächst auf die Fakten beschränken und die Frage der Interpretation einstweilen noch offenlassen.'

Analog zu diesem akustischen Phänomen gibt es ein optisches: die sogenannte Gedankenphotographie: Der Amerikaner Ted Seriös ist imstande, den Film einer Polaroidkamera in einer experimentellen Situation psychisch so zu beeinflussen, daß seinen Vorstellungen entsprechende Bilder sichtbar werden. Vor zahlreichen und kompetenten Zeugen entstanden zum Beispiel die Bilder eines Höhlenmenschen, wobei in stundenlanger Anstrengung zunächst ganz schwarze Photos erzielt wurden und dann bei weiteren Versuchen jedes folgende Bild mehr Details zeigte; vorher hatte Seriös eine Skizze angefertigt, wie das paranormale Bild, das er produzieren wollte, aussehen sollte.

Abgesehen von diesen PK-Wirkungen bei Experimenten kommt es auch spontan zu psychischen Entladungen in der Außenwelt: Der Volksmund hat dafür das Wort Spuk, aber, um sich von der vorwissenschaftlichen Phase zu distanzieren,sagt man in der modernen Parapsychologie dazu gerne „wiederholte spotane Psychokinese“ (RSPK). Der bekannteste Fall dieser Art in letzter Zeit war der Fall von Rosenheim (1967/68), bei dem moderne Registrier- und Dokumentations-methoden zur Anwendung kamen, so daß auch die Faktizität dieser Erscheinungen als gesichert gelten kann. Einzelheiten wurden ausführlich auch in der Presse berichtet, besonders der koboldhafte Charakter der Erscheinungen, wie Anomalien im Telephonnetz, Zerspringen von Beleuchtungskörpern, Verspritzen der Flüssigkeit des Kopiergerätes usw., aber auch vereinzelte „Kraftakte“, wie das paranormale Verschieben des zentnerschweren Aktenschrankes. Die Erscheinungen nahmen ihren Ausgang vom Unbewußten eines damals 19jährigen Mädchens, so daß die Erklärung als psychische Entladungserscheinungen berechtigt scheint.

Durch das Studium dieser und anderer Fälle liegt eine Fülle Materials vor, das nicht mehr hinwegdiskutiert werden kann. Darüber hinaus hat die einwandfreie wissenschaftliche Methodik, welche die Parapsychologie bei ihren Untersuchungen verwendet, nach langem Widerstand nun doch zu einer endgültigen Anerkennung der Parapsychologie geführt: 1969 wurde die Parapsycho-logy Association als Mitgliedsorganisation in die American Association for the Advancement of Sciences aufgenommen. In Deutschland steht Hans Bender dem Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (Universität Freiburg im Breisgau) vor, in Holland hat W. H. C. Tenhaeff, der Doyen der europäischen Parapsychologen, das Parapsychologisch Instituut der Rijksuniversiteit Utrecht inne, und in Rom besteht an der dem Vatikan gehörenden Lateranuniversität ein Lehrstuhl für Paranormologie und Tiefenpsychologie (Andreas Resch). Parapsychologie wird auch in den Ostblockstaaten betrieben, allerdings sind die diesbezüglichen Angaben nicht durchsichtig und wurden außerdem hier stark hochgespielt.

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