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Was ist schon normal?

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Als die große Uri-Geller-Show über die heimischen Bildschirme und die der Nachbarländer flimmerte, schienen die Straßen Österreichs wie ausgestorben zu sein: Der junge Israeli, der schon die vorhergehenden Tage die Zeitungen mit Schlagzeilen versorgt hatte, konnte die große Fernsehfamilie und allerhand Zaungäste vollzählig um die TV-Geräte versammeln. Der Grund: Es ging um Parapsychologie, und die ist augenblicklich „in“, wenn auch die wenigsten wissen, was Parapsychologie eigentlich ist und womit sie sich beschäftigt?. Man weiß, daß das irgendwie mit „übersinnlichen Dingen“ zu tun haben soll, und das interessiert in unserer rationalistischen, aufgeklärten Zeit ungemein, wie die zahlreichen diesbezüglichen Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt beweisen. Daß in Wirklichkeit der Gegenstand der Parapsychologie nicht das Übersinnliche, Supranormale, sondern das Außersinnliche, Extrasensorische, Präter- oder Paranormale, somit etwas durchaus Natürliches, nur seltener Vorkommendes ist, interessiert das große Publikum nicht; darüber hinaus war diese Fernsehsendung geeignet, noch weit tiefergehende Mißverständnisse über den heutigen Stand der Parapsychologie zu provozieren.

Als erster Versuch wurde ein sogenanntes Telepathie-Experiment vorgeführt. Eine Versuchsperson fertigte eine einfache Zeichnung an — in diesem Fall war es die Skizze einer Spirale — und Geller, der von der Zeichnung keine Kenntnis haben konnte, wollte sie erraten und zeichnerisch wiedergeben. In der Wiedergabe erschienen zweimal je zwei konzentrische Kreise mit einem Mittelpunkt. Wenn dadurch die Form des Ganzen auch roh erfühlt worden ist, muß doch der Versuch als entschieden mißlungen angesehen werden. Einfache Zeichnungen könnten eingeteilt werden in runde, eclcige, spitze, irreguläre, und andere Formen. Die Wahrscheinlichkeit, eine runde Form zu wählen, ist rechnerisch 13, psychologisch noch größer, sagt also in einem Einzelfall überhaupt nichts aus. Wenn dieser Versuch als teilweise gelungen angesehen wurde, ist dies eindeutig eine falsche Information der Zu-seher; auch der Hinweis auf die von der statistischen Schule Rhines verwendeten Symbole hatte hier nichts zu suchen. Bei Versuchen zur Übertragung solcher einfacher Strichzeichnungen, wie es der längst überholten Untersuchungsmethodik der Jahrhundertwende entspricht, muß unbedingt volle Übereinstimmung zwischen Original und Wiedergabe gefordert werden, um einen Versuch als Treffer anzuerkennen; über Versuche, die in dieser Art positiv gelungen sind, gibt es eine reiche Literatur. Außerdem ist — in Ubereinstimmung mit der wissenschaftlichen Terminologie — dieser Versuch gar kein Telepathie-Experiment gewesen, sondern er gehört, weil ein materielles Substrat vorlag (die Zeichnung), zur Gruppe der AASW (= allgemeine außersinnliche Wahrnehmung), also zu einem in diesem Fall nicht differenzierbaren Oberbegriff.

Geller ist — angeblich — ein genialer „Uhrmacher“, und so erfolgte der zweite Versuch, groß angekündigt, mit einer von Geller aus 16 Uhren ausgewählten Uhr, Marke „Tiresa Automatic“, in welcher zu Versuchszwecken ein kleiner Plastikstreifen (zirka 4 X 1,5 X 0,8 mm) auf Spannung ins Räderwerk eingeklemmt worden war. Nach den Angaben des Uhrmachermeisters, der die Versuchsgegenstände präpariert hatte, konnte Geller nicht wissen, worum es bei den einzelnen Uhren ging. Tatsächlich wurde das Plastikstück nach Beendigung des Versuches, in dem die Uhr bekanntlich zu funktionieren begann, an einer anderen Stelle im Inneren des Uhrengehäuses gefunden. Wie kann nun dieser Fall bewertet werden? Es stehen drei Hypothesen zur Ausioahl: eine „normale“ (durch eine Häufung von Zufällen), eine weitere „normale“ (durch Trick oder Betrug) und schließlich die „paranormale“ Hypothese einer echten medialen Be-wirkung. Die Hypothese der zufallsmäßigen Erklärung hat eine nur sehr geringe prozentuelle Wahrscheinlichkeit, aber das genügt schon, die „paranormale“ Hypothese weitgehend zu entkräften: in anderen Fällen, bei anderen paranormal begabten Versuchspersonen (Parer-gasten) konnten Resultate erzielt werden, bei denen der Sicherheitskoeffizient, der für die Paranorma-lität zeugt, weitaus höher war. Die Trickhypothese freilich läßt sich bei dem am Fernsehschirm gebotenen Material überhaupt nicht diskutieren, weil die Versuchsanordnung völlig undurchsichtig war. Hier gilt das alte Wort im neuen Sinn: Mehr Transparenz ins Fernsehen!

Das Löffelbiegen fand ja leider nicht während der Übertragung statt; die Markierung der Löffel als Sicherung gegen Vertauschung war völlig überflüssig: die Sicherheit gegen Vertauschung und Unterschiebung liegt besser in einem Mitschneiden auf Video-Band, welches bei Bedarf zurückgespielt werden kann. An Stelle der Pseudomethodik des Ankörnens hätte man besser die Konfiguration der verwendeten Besteckstücke vor dem Versuch dokumentieren und ihre Härte — toenn schon nicht messen — so doch durch Zeugen schätzungsweise überprüfen lassen sollen. Was nach Ende der Sendung geschah, ist nur durch Zeugenaussagen erhärtet, aber nicht objektiv dokumentiert, somit von nur recht geringem Wert. Es kann sein, daß sich echte paranormale Ereignisse abgespielt haben, aber sie haben eben nur anekdotischen Wert.

Letztlich kam während der Sendung und nachher eine Reihe von Anrufen ins Studio und an die Redaktionen der Zeitungen, die sich die Sache Uri Gellers zu ihrer eigenen gemacht hatten: Uhren, die seit Jahrzehnten standen, gingen, Löffel hätten sich gebogen. Auch hier fehlt es an der entsprechenden wissenschaftlichen Dokumentation. Niemand hat den Zustand der Uhren vorher überprüft, niemand hat kontrolliert, welche Manip: Nationen an den „Wunderuhren“ durchgeführt worden waren, vom Aufziehen bis zum vehementesten Schütteln.

Beim Besteck, das sich da und dort verbogen haben soll, liegt das Problem noch deutlicher zutage: geradezu symptomatisch erscheint der Fall der Wienerin, die ein neues Besteck in modernem Styling besitzt und es für verbogen hält...

Es gab einmal — als Parallelfall zu diesem Problem — ein Trancemedium, das Anfragen, die in einem verschlossenen Kuvert abgegeben wurden, am nächsten Tag „hellseherisch“ beantwortete: in der Nacht hatte es aber, in einem Dämmerzustand oder in einer Art Halbtrance, selbst die Kuverts geöffnet und nach dem Lesen der Fragen wieder verschlossen.

Analog dazu wäre es möglich — worauf unbedingt hingewiesen sein muß —, daß einzelne TV-Zuseher der sehr starken Suggestion erlegen sind und ihr Besteck selbst, unbewußt oder mit nachfolgender Amnesie, gebogen haben. Das psychische Feld dazu war wohl stark genug, und Uri Geller gab immer wieder diesbezügliche Suggestionen, wenn er darauf hinwies, was sich gleichzeitig in „people's houses“ abspielen sollte...

Damit keine Mißverständnisse entstehen: nicht das Vorhandensein paranormaler Phänomene an sich wäre zu beweisen gewesen, sondern ihr Vorkommen bei der Person Uri Gellers. Die paranormale Begabung Gellers scheint nach dem Uhrenversuch zwar wahrscheinlich, ist aber nicht sicher. Wenn wir die Wiener Versuche in den größeren Zusammenhang anderer Versuche mit Geller einordnen, verschiebt sich das gewonnene Bild kaum: der Gesamtbericht der sogenannten Stanfort-Experimente liegt noch nicht vor, nach den durchgesickerten Teilresultaten konnten sich die Untersucher keine einhellige Meinung bilden. Jedenfalls scheint eine Reihe von einfachen Hellsehversuchen positiv ausgefallen zu sein: etwa in der Anordnung, die jeweils oben befindliche Augenzahl eines verdeckt liegenden Würfels zu erkennen (und ähnliches). Dabei soll es von 31 Versuchen 27 Treffer gegeben haben, während Geller 4 Versuche ergebnislos abbrach. Auf parapsychophysi-schem Gebiet (z. B. dem der Psycho-bzw. Telekinese, Fernbewegung) konnte Geller angeblich so labile Versuchsanordnungen wie eine Laborwaage beeinflussen.

Die im österreichischen Fernsehen gezeigten Demonstrationen haben jedenfalls mit Wissenschaft nichts zu tun, aber die Stanfort-Experimente erinnern in ihrer Anlage an die parapsychologischen Experimente vor einem halben Jahrhundert, so daß man sich nach dem Fortschritt fragt.

Es muß der Ansicht widersprochen werden, die paranormalen Phänomene nähmen, weil unerklärbar, eine Sonderstellung ein. Jede Disziplin der Wissenschaft erklärt nur insofern, als sie Komplexes auf Einfacheres, Unbekanntes auf Bekanntes zurückführt, bis sie auf — scheinbare oder tatsächliche — Urphäno-mene stößt. Nicht anders die Parapsychologie, die an ihr Rohmaterial — die paranormalen Phänomene — mit dem Rüstzeug der naturwissenschaftlichen Methoden herangeht und versucht, immer mehr Parameter in den Griff zu bekommen. Gerade davon hat man aber keinen Eindruck bekommen können: die anscheinend doch vorhandene (und wenn echte, dann starke) paranormale Begabung Gellers wird vertan, um in Stanfort das Vorhandensein von Phänomenen immer wieder zu beweisen, die schon seit Jahrzehnten bewiesen sind, statt die Bedingungen und Ursachen ihres Vorkommens zu studieren, und wird noch viel ärger vertan, um eine TV-Show abzuziehen, anstatt einen Einblick in wis-senschaftliche Methoden und Probleme zu geben.

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